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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1175

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, StB 33/23, Beschluss v. 07.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1175


BGH StB 33/23 - Beschluss vom 7. August 2023 (OLG München)

Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung (Legalprognose bei terroristischen Verbrechen und radikalislamistischer Einstellung; fehlende Bedeutung einer nicht angeordneten Führungsaufsicht in Parallelverfahren).

§ 57 StGB; § 68 StGB; § 454 StPO

Entscheidungstenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 20. März 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Oberlandesgericht hat den Verurteilten am 29. Juni 2020 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des seit dem 6. Oktober 2021 rechtskräftigen Urteils sympathisierte der Verurteilte mit der Ahrar al-Sham, einer der größten und bedeutendsten bewaffneten Aufstandsbewegungen im syrischen Bürgerkrieg. Sie verfolgte im Tatzeitraum das Ziel, die Regierung unter Baschar al-Assad zu stürzen und einen islamistischen Gottesstaat unter Geltung der Scharia zu gründen. Hierzu ging die Vereinigung mit Waffengewalt gegen militärische und andere staatliche Einrichtungen vor, wobei mehrfach Zivilisten getötet wurden. Der Verurteilte unterstützte die Gruppierung in Kenntnis ihrer Zwecke und Tätigkeit, indem er in Absprache mit ihren Entscheidungsträgern militärische Ausrüstungsgegenstände wie Ferngläser, Nachtsichtgeräte, Zielfernrohre und Funkscanner in Deutschland ankaufte und zu der Aufstandsbewegung nach Syrien transportieren ließ.

Der Verurteile befand sich vom 23. November 2016 bis zum 1. Juni 2018 in Untersuchungshaft. Nach freiwilligem Strafantritt verbüßt er die Reststrafe seit dem 27. Januar 2022. Der Zwei-Drittel-Termin war für den 16. Januar 2023, das Strafende ist für den 17. April 2024 notiert.

Die Justizvollzugsanstalt und die Generalstaatsanwaltschaft sind einer vorzeitigen Haftentlassung des Verurteilten entgegengetreten, weil keine positive Legalprognose vorliege. Der mit der Erstellung eines Prognosegutachtens beauftragte Sachverständige hat eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit für weitere, der Anlassverurteilung ähnliche Straftaten attestiert.

Das Oberlandesgericht hat es mit Beschluss vom 20. März 2023 abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.

II.

Das statthafte (§ 454 Abs. 3 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 5 Variante 5 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1, 2 StPO) Rechtsmittel ist unbegründet.

Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung ist unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten. Der sorgfältig begründeten Entscheidung des Oberlandesgerichts ist auch eingedenk des Beschwerdevorbringens beizutreten.

1. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt die Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung voraus, dass dem Verurteilten eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Dabei sind an die Erwartung künftiger Straffreiheit umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger die durch einen möglichen Rückfall bedrohten Rechtsgüter sind. Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen der bereits erlittenen Freiheitsentziehung und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann auch bei terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass es verantwortbar ist, vom weiteren Strafvollzug abzusehen; die Voraussetzungen für eine positive Kriminalprognose dürfen in diesem Bereich nicht so hoch angesetzt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Verschonung von der Haft bleibt. Insbesondere wenn sich ein terroristischer Straftäter im Vollzug ordnungsgemäß führt und von seiner früheren Bereitschaft, Gewalttaten zu begehen oder zu fördern, glaubhaft distanziert, kann eine Strafrestaussetzung in Betracht kommen. Dazu ist es letztlich nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Vollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - StB 43/22, NJW 2022, 3729, 29 Rn. 6 mwN).

2. Diese Maßstäbe hat das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung beachtet. Es hat unter anderem die Angaben des Verurteilten im Termin zur persönlichen Anhörung am 14. Februar 2023 und in der beigezogenen Erklärung zur Person aus dem Parallelverfahren, die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt sowie das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) bewertet und ist in einer überzeugenden Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass für den Verurteilten derzeit keine hinreichend günstige Legalprognose gestellt werden kann. Dabei hat es alle prognoserelevanten Faktoren in den Blick genommen.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat es insbesondere bedacht, dass die urteilsgegenständlichen Taten viele Jahre zurückliegen und dass der familiär eingebettete, zuvor unbestrafte Verurteilte als Erstverbüßer ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten zeigt sowie über ein außergewöhnliches Bildungsniveau verfügt, welches ihm eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ohne Weiteres ermöglicht. Zutreffend hat das Oberlandesgericht diesen Umständen jedoch nur eine vordergründig protektive Wirkung zugemessen. Denn weder die Familie noch der berufliche Erfolg hielten den Verurteilten von der Begehung der Taten ab. Seine hohen technischen Fähigkeiten und seine familiär bedingten Kontakte zur Organisation Ahrar al-Sham begründen zudem eine besondere Gefährlichkeit dahin, dass er die Vereinigung erneut mit von ihr benötigten Ausrüstungsgegenständen beliefern wird.

Als entscheidend für die Rückfallgefahr hat das Oberlandesgericht jedoch zu Recht angesehen, dass der Verurteilte sich bisher nicht erkennbar von seiner radikalislamistischen Einstellung gelöst hat. Diese war ausweislich der Urteilsgründe das maßgebliche Motiv für die Unterstützung einer salafistischen Organisation. Von seiner damaligen Überzeugung, der Kampf gegen das Assad-Regime sei ein Recht aller Syrer und wer darin umkomme, ein Märtyrer, ist er bisher ebenso wenig abgewichen wie von der Ahrar al-Sham. Vor diesem Hintergrund ist es mit dem psychiatrischen Sachverständigen als Lippenbekenntnis zu bewerten, dass sich der Verurteilte als liberaler und moderater Mensch darstellt. Aus der unzureichenden Tataufarbeitung ergibt sich bei den hier in Rede stehenden terroristischen Gesinnungstaten vielmehr eine besondere Wiederholungsgefahr (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228 f.).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

3. Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

a) Zutreffend weist dieses allerdings darauf hin, dass dem Verurteilten eine mangelnde therapeutische Aufarbeitung seiner Delinquenz in der Haft nicht zum Vorwurf gemacht werden darf, soweit ihm eine solche Möglichkeit nicht zur Verfügung gestanden hat, was die Beschwerdeschrift offenlässt. Aus der Vollzugsakte geht nicht hervor, welche sozialpädagogischen Angebote die Anstalt bereithält. Die Stellungnahme der JVA M., in die der Verurteilte zwecks reibungsloser Durchführung der Hauptverhandlung im gegen ihn anhängigen zweiten Strafverfahren beim Oberlandesgericht verlegt worden ist, verhält sich hierzu nicht. Das Sachverständigengutachten erläutert lediglich, dass der Verurteilte dort physiotherapeutisch behandelt wird und nicht über seine Taten spricht, was ihm unter Mitgefangenen den Verdacht eines Sexualstraftäters eingebracht hat.

Unbeschadet der unklaren sozialtherapeutischen Angebotslage im Vollzug ist jedoch festzuhalten, dass der Verurteilte auch selbständig dazu in der Lage gewesen wäre, seine kriminogene Einstellung zu hinterfragen oder sich Hilfe von außerhalb der Anstalt tätigen Deradikalisierungsexperten zu suchen. Eine solche Offenheit ist im Explorationsgespräch mit dem Sachverständigen aber gerade nicht zutage getreten. Der Verurteilte sieht sich vielmehr als Opfer der Justiz und betont beharrlich, er habe nichts von einer Verfolgungsermächtigung betreffend die Vereinigung Ahrar al-Sham im Tatzeitraum gewusst. Damit zeigt er nur, dass er die ihn treffenden Konsequenzen seiner Delinquenz bedauert. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Taten oder wenigstens eine Bereitschaft hierzu lässt er durchweg nicht erkennen.

b) Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts, in der Parallelsache 9 St 3/20 keine Führungsaufsicht anzuordnen, für die hiesige Entscheidung unbedeutend. Dort hat der Staatsschutzsenat am 14. Februar 2023 - nicht rechtskräftig - wegen weiterer terroristischer Straftaten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem hier zugrundeliegenden Urteil auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegen den Verurteilten erkannt.

Zum einen unterliegen die Anordnung von Führungsaufsicht nach § 68 Abs. 1 StGB und die Aussetzung eines Strafrests zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB unterschiedlichen Voraussetzungen, insbesondere betreffend den Prognosezeitpunkt. Zum anderen hat der Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Entscheidung in der Sache zu treffen. In diesem Rahmen ist er an die Würdigungen anderer Spruchkörper nicht gebunden.

Es kann somit dahinstehen, ob in einer Situation wie der vorliegenden, in der gegen den Gefangenen in einer anderen Sache eine nicht rechtskräftige lange Freiheitsstrafe verhängt worden ist, eine Restaussetzung überhaupt in Betracht kommt (verneinend MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, 4. Aufl., § 57 Rn. 18).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1175

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede