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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 447

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 2/23, Beschluss v. 22.02.2023, HRRS 2023 Nr. 447


BGH AK 2-5/23 - Beschluss vom 22. Februar 2023

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (Fluchtgefahr; Verdunkelungsgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129 StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Die Beschuldigten sind am 6. April 2022 aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. sowie 5. April 2022 (3 BGs 190/22, 3 BGs 198/22, 3 BGs 199/22, 3 BGs 209/22) festgenommen worden und befinden sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand der Haftbefehle ist jeweils der Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und der Begehung weiterer Delikte, insbesondere gefährlicher Körperverletzungen. Der Senat hat mit Beschluss vom 3. November 2022 (AK 36-39/22) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen bei allen vier Beschuldigten vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).

1. Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts, der diesen belegenden Umstände und der rechtlichen Bewertung wird auf die fortgeltenden Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 3. November 2022 Bezug genommen. Die seitdem angefallenen Ermittlungsergebnisse haben den dringenden Tatverdacht erhärtet und weiter konkretisiert. Beispielsweise deutet die Auswertung sichergestellter Mobiltelefone darauf hin, dass die Gruppierung “ “ am 29. März 2019 gegründet wurde und sich der Beschuldigte K. bereits zu diesem Zeitpunkt einbrachte. Zudem haben sich zusätzliche Indizien dafür ergeben, dass sie noch im Jahr 2022 fortgeführt und Bekleidung mit einer entsprechenden Aufschrift beschafft wurde.

Soweit in der Stellungnahme eines Verteidigers das Ergebnis von Zeugenaussagen abweichend bewertet wird, ändert dies nichts an der derzeitigen Einschätzung durch den Senat. Eine abschließende Beurteilung der Beweismittel bleibt einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten.

2. Die in dem früheren Beschluss bereits näher dargelegten Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr bestehen weiter fort. Dies gilt für den Beschuldigten K. unabhängig davon, dass die Jugendgerichtshilfe in ihrem schriftlichen Bericht geäußert hat, es sollte insgesamt das Jugendstrafrecht Anwendung finden. Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand liegt nicht fern, dass im Falle einer Verurteilung wegen der im Haftbefehl genannten Taten unter Anwendung von Jugendstrafrecht das Tatgericht eine die bisherige Dauer der Untersuchungshaft deutlich übersteigende Jugendstrafe verhängt (§ 17 Abs. 2, § 105 Abs. 1 JGG). Mithin ist ein Fluchtanreiz weiterhin gegeben.

Überdies läge neben dem zusätzlichen Haftgrund der Verdunkelungsgefahr noch der subsidiäre Haftgrund der Schwerkriminalität im Sinne des § 112 Abs. 3 StPO vor. Hierfür genügt die - hier bestehende - Gefahr, dass ohne Festnahme der Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 31 mwN). Dass Zeugen bereits im Ermittlungsverfahren vernommen worden sind, lässt die Gefahr einer Beeinflussung vor einer etwaigen Vernehmung in einer Hauptverhandlung nicht entfallen.

Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände kann der Zweck der Untersuchungshaft bei keinem der Beschuldigten durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

3. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen weiterhin die Haftfortdauer. Dies ergibt sich aus den bereits im Beschluss vom 3. November 2022 dargelegten Erwägungen, namentlich daraus, dass sich die Auswertung der für die Sachverhaltsaufklärung bedeutsamen technischen Asservate angesichts ihres erheblichen Umfanges auch im Folgenden äußerst aufwändig gestaltet hat. Daneben sind zahlreiche andere Asservate gesichtet und weitere Zeugen vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Januar 2023 und die dort aufgeführten Vermerke verwiesen. Angesichts der sich daraus ergebenden konkreten Datenmengen und Anzahl von eingesetzten Ermittlungsbeamten ist der außergewöhnlich hohe Ermittlungsumfang im Einzelnen nachvollziehbar.

Wie der Generalbundesanwalt im selben Schreiben mitgeteilt hat, hat er trotz noch fortlaufender Ermittlungen bereits mit der Fertigung der Anklageschrift begonnen und plant, Ende dieses Monats Anklage zu erheben.

4. Der andauernde Vollzug der Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits weiterhin nicht zu der Bedeutung der Sache und den zu erwartenden Strafen außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 447

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede