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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 587

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 10/23, Beschluss v. 08.03.2023, HRRS 2023 Nr. 587


BGH AK 10/23 - Beschluss vom 8. März 2023

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen); Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Konkurrenzen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 89a StGB; § 129a StGB; § 129b StGB; § 22a KrWaffKG

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Kammergericht übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte ist am 16. August 2022 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. August 2022 (2 BGs 411/22) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe seit April 2019 in B. und Syrien durch vier selbstständige Handlungen (1.) eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er es unternommen habe, zum Zweck der Unterweisung im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen sowie in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gedient hätten, aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen in diesem Sinne erfolgt seien, (2. bis 4.) in drei Fällen sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b StGB zu begehen, davon in zwei Fällen (Nr. 3 und 4) zugleich einen Vertrag über das Überlassen von Kriegswaffen ohne Genehmigung nach § 4a Abs. 2 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen abgeschlossen, strafbar gemäß § 89a Abs. 1, 2 und 2a, § 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 7 Variante 3 KrWaffKG i.V.m. Teil B Nr. 29 Buchst. c und Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG, §§ 52, 53 StGB.

Der Generalbundesanwalt hat wegen der vorstehenden Taten unter dem 22. Februar 2023 Anklage zum Kammergericht erhoben. In der Anklageschrift hat er dem Angeschuldigten - über den Haftbefehl hinausgehend - eine weitere mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung durch die Anstiftung eines anderen zum Erwerb einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und von Munition vorgeworfen.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO ist der vollzogene Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. August 2022, zu dessen Anpassung oder Erweiterung nur der gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige Strafsenat des Kammergerichts befugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2022 - AK 6/22, juris Rn. 5 mwN). Auf den dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Februar 2023 darüber hinaus angelasteten Vorwurf erstreckt sich die Haftprüfung nicht. Auf diese zusätzliche Tat kommt es indes für die Haftfortdauerentscheidung nicht an; denn der im Haftbefehl erhobene Vorwurf trägt den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

2. Der Angeschuldigte ist der ihm dort zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestentwicklung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weitere Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete.

Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Die Vereinigung setzte ihre Ziele durch offenen militärischen Bodenkampf im Irak und in Syrien sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge, aber auch durch Entführungen, Erschießungen und spektakulär inszenierte, grausame Hinrichtungen durch. Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und errichtete einen Geheimdienstapparat; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch in Gegnerschaft zum IS stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung.

Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es dem IS zudem, weite Teile im Norden und Osten Syriens unter seine Gewalt zu bringen.

Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Die irakischen Sicherheitskräfte erklärten im Dezember 2017 den Krieg gegen den IS für beendet, nachdem sie in einem letzten Schritt die Kontrolle von Gebieten an der syrisch-irakischen Grenze vollständig zurückerlangt hatten.

Auch in Syrien büßte der IS im Laufe des Jahres 2018 große Gebiete ein. Ende 2018 verblieb dem IS nur noch ein kleines Territorium im Raum Baghuz in der Provinz Deir Ezzor, in das sich die IS-Kämpfer zurückziehen konnten. Am 9. Februar 2019 begann die finale Offensive der Syrian Democratic Forces (SDF) um den Ort Baghuz, wobei sie Luftunterstützung durch die Anti-IS-Koalition erhielten. Am 23. März 2019 kapitulierten dort die letzten IS-Kämpfer; tausende von ihnen sowie zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern interniert. Damit brach das territoriale Kalifat des IS mit quasi staatlichen Strukturen zusammen. Weitere Rückschläge erlitt die Vereinigung durch die Tötung ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi und ihres offiziellen Sprechers in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 im Rahmen einer US-amerikanischen Militäraktion in der syrischen Provinz Idlib.

Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht vollständig zerstört. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet Syrien/Irak, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an: So benannte er kurz nach der Tötung der beiden Führungspersonen einen neuen Sprecher und einen neuen Emir, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund heraus. Schätzungen zufolge verfügt er im Kerngebiet weiterhin über 4000 bis 6000 aktive Kämpfer. In den Jahren 2019 bis 2021 verübte er mehrere tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak in Form von Sturm- und Raketenangriffen sowie Selbstmord- und Sprengstoffanschlägen. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus. Daneben nahm er gezielt Tötungen und Hinrichtungen von Einzelpersonen wie beispielsweise sunnitischen Stammesältesten, Kämpfern des SDF und solchen des syrischen Regimes vor.

Der IS ist auch weiterhin in der Provinz Idlib aktiv. So gelang es der Vereinigung Ende Dezember 2017 nach tagelangen Kämpfen mit der Hai´At Tahrir Al-Sham (HTS), die in dieser Provinz militärisch, wirtschaftlich und politisch stark vertreten war, dort mehrere Dörfer einzunehmen. In den Jahren 2018 bis 2021 folgten zahlreiche Kämpfe zwischen beiden Gruppierungen, ohne dass der IS aus der von der HTS kontrollierten Region vollständig verdrängt werden konnte.

Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen durch den IS außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika sowie in der Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan unterstreicht er seinen Anspruch, ein global agierender Akteur zu sein.

bb) Der Angeschuldigte reiste als Asylbewerber am 24. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein, während seine Partnerin und spätere nach islamischem Ritus angetraute Ehefrau mit Familienangehörigen in der Provinz I. in Syrien verblieb. Spätestens seit Beginn des Jahres 2019 identifizierte er sich mit der Ideologie und den Zielen des IS. Seine Partnerin war zu diesem Zeitpunkt bereits IS-Mitglied. Beide hatten den Wunsch, für die Organisation zu kämpfen und als Märtyrer zu sterben, wobei sie sich hierin gegenseitig bestärkten. Vor diesem Hintergrund plante der Angeschuldigte Anfang 2019, nach Syrien zurückzukehren, um sich dort dem IS anzuschließen und sich für die Vereinigung am bewaffneten Dschihad zu beteiligen. Seine Partnerin vermittelte ihm zu diesem Zweck eine Kontaktperson, die ihn - im Sinne eines Vertrauensbeweises - aufforderte, ein bekanntes Mitglied der Vereinigung zu benennen. Nachdem der Angeschuldigte den als Kämpfer für den IS gefallenen Ehemann seiner Partnerin als Kontakt angegeben hatte, wurde er durch den IS bei seinen Ausreisebemühungen unterstützt.

(1) Am 21. April 2019 reiste der Angeschuldigte von Deutschland über Griechenland und die Türkei nach Syrien, um sich dort dem IS anzuschließen und sich im Kampf sowie in der Begehung eines Attentates unterweisen zu lassen, wobei er davon ausging, wie seine Partnerin infolge derartiger Aktivitäten zu sterben. Am 1. Mai 2019 traf er in deren Nähe ein und heiratete sie noch im selben Monat nach islamischem Ritus.

(2) Kurz nach seiner Ankunft schloss der Angeschuldigte sich dem IS an, stellte sich als Kämpfer der Vereinigung zur Verfügung und wurde in eine namentlich noch nicht bekannte Organisationseinheit der Vereinigung eingebunden.

Nachdem der Angeschuldigte bei dem Versuch eines illegalen Grenzübertritts in die Türkei am 29. oder 30. Juni 2019 von einer Mauer gestürzt war, sich dabei den Oberschenkelhals gebrochen hatte und daher zunächst nicht mehr als Kämpfer des IS einsatzbereit war, entschied er, sich auf andere Weise für ihn zu betätigen. So unterstützte er im August 2019 im Interesse der Vereinigung mindestens in zwei Fällen weibliche IS-Mitglieder bei deren Versuch, aus dem Lager H. zu fliehen. Zeitgleich bereitete er in Absprache mit der Organisation seine Rückkehr nach Deutschland vor, um seine Verletzung medizinisch versorgen zu lassen, im Anschluss zum IS nach Syrien zurückzukehren und für diesen als Kämpfer zur Verfügung zu stehen.

Nur wenige Wochen nach der Ankunft des Angeschuldigten in Deutschland am 17. Oktober 2019 nahm ein IS-Mitglied in Syrien Kontakt zu ihm auf und bat ihn, sich für die in den Lagern inhaftierten „Schwestern“ einzusetzen. Zu diesem Zweck kontaktierte er einen Hawaladar des IS, um aus Deutschland einen Geldbetrag von 300 oder 400 € ins Lager zu überweisen, wobei bislang offengeblieben ist, ob das Geld auch tatsächlich transferiert wurde.

Daneben gelang es dem Angeschuldigten, seinen früheren Mitbewohner in B. als Unterstützer des IS zu gewinnen, indem dieser als Mittelsmann für mehrere Hawala-Transaktionen an den Bruder und die Ehefrau des Angeschuldigten fungierte. Auch übersandte er seinem Mitbewohner mehrere Propagandavideos der Vereinigung, darunter zwei Hinrichtungsvideos. Der Mitbewohner erklärte sich in der Folgezeit bereit, weitere Hawala-Transfers nach Syrien zu tätigen. Über eine andere Person transferierte der Angeschuldigte zudem im Januar 2020 in zwei weiteren Fällen Geldbeträge in Höhe von 100 € und 155 USD an eine Frau, die sich im Lager H. aufhielt.

(3) Bereits Ende 2019 bemühte sich der Angeschuldigte, Kriegswaffen und Munition für den IS zu erwerben, um diese - auch gemeinsam mit seiner Ehefrau - im bewaffneten Kampf für die Organisation einzusetzen. Zu diesem Zweck nahm er am 28. Dezember 2019 Kontakt zu einer unbekannten Person in Syrien auf und erwarb von dieser am 4. Januar 2020 ein Sturmgewehr des Typs MPi KmS-72 zum Preis von 175 USD sowie fünf Magazine und Munition. Die Gegenstände, die Anfang Januar 2020 an Mittelsmänner des Angeschuldigten in Syrien ausgeliefert wurden, ließ er bei seiner Ehefrau in Syrien lagern.

(4) Am 13. April 2020 kaufte der Angeschuldigte zwei weitere Sturmgewehre des gleichen Typs sowie einen chinesischen Nachbau einer AK-47 („Typ 56“) nebst zwei Magazinen und 20 Schuss Munition zum Gesamtpreis von 400 USD, wobei alle Gegenstände noch am selben Tag erneut an einen Kontaktmann von ihm übergeben wurden.

cc) Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 2022, die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 4. August 2022 sowie dessen Zuschrift vom 7. Februar 2023 Bezug genommen.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die Erkenntnisse zum Bürgerkrieg in Syrien und zur außereuropäischen Vereinigung „Islamischer Staat“ beruhen auf den - vom Generalbundesanwalt in Sonderbänden zusammengetragenen - Ergebnissen von Strukturermittlungen, insbesondere Sachverständigengutachten sowie Auswertungsberichten und -vermerken des Bundeskriminalamts.

bb) Die Handlungen des Angeschuldigten, der sich zur Sache nicht eingelassen hat, ergeben sich im Wesentlichen aus der Auswertung des im Rahmen seiner Festnahme sichergestellten Mobiltelefons. So tauschte er sich mit seiner jetzigen Ehefrau mittels WhatsApp über den gemeinsamen Wunsch aus, als Märtyrer für den IS im Kampf zu sterben. Daneben wurden über 900 Dateien mit einem direkten Bezug zum IS sichergestellt. Mehrere hundert Dateien zeigen Gewalttaten der Organisation auch in Form von Hinrichtungen; in weiteren Videos wird direkt zu Gewalt- und Terroraktivitäten aufgerufen. Ferner fanden sich auf seinem Mobiltelefon Fotos von Ausweisimitaten mit Bezug zur Vereinigung sowie ein Rundschreiben des IS. Auch wurden mehrere Selbstportraits des Angeschuldigten festgestellt, auf denen er sich mit aufwärts gerichtetem Zeigefinger abbilden ließ. Dass dem Angeschuldigten in Syrien der Anschluss an den IS tatsächlich gelungen war, ergibt sich ferner aus einem telefonischem Kontakt mit einem weiteren IS-Mitglied, das innerhalb der Vereinigung für die Frauen der „Märtyrer“ zuständig war. Dritten gegenüber gab der Angeschuldigte zudem selbst an, vom „Islamischem Staat im Irak und Sham“ zu sein. Darüber hinaus belegen die Chatnachrichten mit mehreren weiblichen IS-Mitgliedern, die im Lager H. inhaftiert waren, dass er seine diesbezüglichen Unterstützungshandlungen im Interesse der Organisation vornahm.

Dass der Angeschuldigte sich nach seiner erneuten Rückkehr nach Deutschland im Oktober 2019 weiterhin als Mitglied für den IS betätigte, indem er versuchte, Dritte für diesen zu gewinnen, ergibt sich aus mehreren WhatsApp-Nachrichten mit seinem früheren Mitbewohner in B. sowie drei weiteren Personen. Seine Unterstützungshandlungen für weibliche IS-Mitglieder im Lager H. werden durch Chat-Nachrichten mit einem „A.“ bestätigt. Der Erwerb von Kriegswaffen, Magazinen und Munition durch den Angeschuldigten wird durch entsprechende Chat-Nachrichten mit dem nicht näher identifizierten Waffenverkäufer „Ab.“ im Januar und April 2020 belegt. Diese Umstände werden durch die weiteren Ermittlungsergebnisse bestätigt, nach denen der Angeschuldigte über seinen Bruder nachfolgend im Oktober 2020 weitere Magazine erwarb.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. August 2022 und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Februar 2023 verwiesen.

c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich daraus Folgendes:

aa) Mit Blick auf die unter 2. a) bb) (1) geschilderten Sachverhalte hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 2a i.V.m. Abs. 1 und 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Denn er verließ die Bundesrepublik Deutschland, um sich nach Syrien zu begeben, wo der IS Ausbildungslager unterhielt, in welchen Unterweisungen der in § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB genannten Art durchgeführt wurden. Er war fest entschlossen, sich nach der militärischen Ausbildung in derartigen Lagern für den IS als aktiver militärischer Kämpfer zu beteiligen und als Märtyrer im Kampf zu sterben. Diese Kampfhandlungen waren zudem geeignet, die innere Sicherheit des syrischen Staates zu beeinträchtigen. Somit lag auch die nach § 89a Abs. 2a StGB geforderte doppelte Absicht beim Angeschuldigten vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2019 - AK 36/19, juris Rn. 14; vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 37; vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, BGHSt 62, 102 Rn. 23 ff).

bb) Wegen der unter 2. a) bb) (2) bis (4) geschilderten Sachverhalte hat sich der Angeschuldigte daneben mit großer Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), davon in zwei Fällen tateinheitlich wegen Abschlusses eines Vertrages über das Überlassen von Kriegswaffen ohne Genehmigung (§ 22a Abs. 1 Nr. 7 Variante 3 KrWaffKG i.V.m. Teil B Nr. 29 Buchst. c und Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG) strafbar gemacht.

(1) Der Angeschuldigte ist hochwahrscheinlich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) schuldig, indem er sich dem IS anschloss und sich für ihn betätigte (vgl. zu den Anforderungen: BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 - AK 56/19, juris Rn. 28; vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 35 mwN; vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 28 f.; vom 21. April 2022 - AK 18/22, juris Rn. 5).

Er begab sich aus eigenem Antrieb in das Herrschaftsgebiet der Vereinigung, wobei er sowohl im Rahmen der Ausreise aus dem Bundesgebiet als auch bei der erneuten Einreise nach Deutschland die Unterstützung von IS-Mitgliedern in Anspruch nahm. Zwar hielt er sich damit nur für knapp ein halbes Jahr im Herrschaftsgebiet des IS auf; jedoch plante er von Beginn an, nach seiner medizinischen Heilbehandlung in Deutschland zur Vereinigung in Syrien zurückzukehren, mit seiner Ehefrau, die dort verblieben und selbst IS-Mitglied war, weiterhin am Verbandsleben teilzuhaben und als jederzeit kampfbereites Mitglied zur Verfügung zu stehen. Nach seiner erlittenen Verletzung änderte er die Art und Weise seiner Beteiligungshandlungen für die Organisation und setzte sie nach seiner Rückreise nach Deutschland fort.

(2) Tateinheitlich hierzu hat sich der Angeschuldigte in zwei Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen unerlaubten Abschlusses eines Vertrages über das Überlassen von Kriegswaffen gemäß § 22a Abs. 1 Nr. 7 Variante 3 KrWaffKG i.V.m. Teil B Nr. 29 Buchst. c und Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG strafbar gemacht.

(a) Unter Strafe steht hiernach der Abschluss eines Vertrages über den Erwerb oder das Überlassen ohne Genehmigung nach § 4a Abs. 2 KrWaffKG, mithin von sogenannten Auslandskriegswaffengeschäften, sofern der Beteiligte vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus handelt (vgl. MüKoStGB/Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 82 mwN; Steindorf/Heinrich, Waffenrecht, 11. Aufl., § 22a KrWaffKG Rn. 23). § 4a Abs. 2 KrWaffKG normiert eine Genehmigungspflicht für einen „Vertrag über das Überlassen von Kriegswaffen, die sich außerhalb des Bundesgebietes befinden“. Für die Vollendung ist der tatsächliche Abschluss des Überlassungsvertrages erforderlich, selbst wenn der Vertrag nach § 134 BGB nichtig sein sollte (BGH, Urteil vom 27. Juli 1993 - 1 StR 339/93, BGHR KWKG § 22a Abs. 1 Vertragsschluss 1; Steindorf/Heinrich, Waffenrecht, 11. Aufl., § 22a KrWaffKG Rn. 23 mwN; MüKoStGB/Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 90 mwN). Dagegen ist es für die Annahme einer vollendeten Tat unerheblich, ob der bindend geschlossene Vertrag tatsächlich auch durch die Lieferung der Waffen erfüllt worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Februar 1996 - 3 StR 374/95, juris Rn. 3; MüKoStGB/Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 86 mwN).

(b) Das Handeln des Angeschuldigten verwirklicht diese Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch, dass er am 4. Januar 2019 zum Kaufpreis von 175 USD ein Sturmgewehr des Typs MPk KmS-72 nebst Magazinen und Munition sowie am 13. April 2020 zwei weitere Sturmgewehre des vorgenannten Typs und einen chinesischen Nachbau einer AK 47 (Typ 56) erneut nebst Magazinen und Munition zum Gesamtpreis von 400 USD erwarb.

cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor. Einer Verfolgungsermächtigung nach § 89a Abs. 4 StGB bedarf es hingegen nicht, weil sich der Tatvorwurf auf eine im Inland begangene Tat bezieht (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 41 mwN; vom 8. August 2019 - StB 19/19, juris Rn. 31).

dd) Das Delikt des § 89a Abs. 2a StGB steht in Realkonkurrenz gemäß § 53 Abs. 1 StGB zu den drei Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB, da es dem Angeschuldigten vor seiner Ausreise nach Syrien im April 2019 nicht gelungen war, sich dem IS anzuschließen; dies geschah erst nach seiner Ankunft in Syrien. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat im Sinne von § 89a Abs. 2a StGB bereits beendet. Die beiden ebenfalls verwirklichten Tatbestände nach dem KrWaffKG stehen in Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, da sich der Angeschuldigte auch nach seiner erneuten Einreise ins Bundesgebiet als Mitglied für den IS betätigte.

ee) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Hinsichtlich der Fälle 1, 3 und 4 ergibt sich dies aus §§ 3, 9 Abs. 1 StGB, da der Angeschuldigte die Tathandlung in Deutschland vornahm (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 48 mwN; vom 24. Februar 2021 - AK 6/21, juris Rn. 39). Für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland folgt dies aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, weil der Angeschuldigte im Inland festgenommen worden ist, die Tat auch in Syrien - als Anschluss an eine terroristische Organisation gemäß Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 - mit Strafe bedroht ist (s. zum Ganzen, Beschluss vom 3. März 2021 - AK 10/21, juris Rn. 42 mwN) und ein Auslieferungsverkehr mit Syrien derzeit nicht stattfindet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2022 - AK 13/22, juris Rn. 16). Daneben sind die Voraussetzungen des § 129b Abs. 1 Satz 2, Variante 1 und 4 StGB erfüllt.

3. a) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem mithin gegebenen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der kinderlose Angeschuldigte verfügt im Inland nicht über familiäre Bindungen von Gewicht; seine Ehefrau und zahlreiche Familienmitglieder leben in Syrien. Er hat zudem in zahlreichen Chat-Nachrichten bekräftigt, erneut zu seiner Familie und zum IS nach Syrien ausreisen zu wollen. Daneben hat er Kontakte zu Schleusern, die ihm bereits in der Vergangenheit eine Einreise nach Syrien und eine Rückreise nach Deutschland ermöglicht haben.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich der Angeschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.

b) Zudem besteht - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung - der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO. Der Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, mithin einer Katalogtat des § 112 Abs. 3 StPO, dringend verdächtig. Nach den vorgenannten Umständen des Einzelfalls ist eine Fluchtgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1965 - 1 BvR 513/65, NJW 1966, 243; s. auch BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 26; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.; vom 9. Juni 2020 - AK 12/20, juris Rn. 37).

c) Dieser Fluchtgefahr kann durch andere fluchthemmende Anordnungen nicht genügend begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft nicht auf der Grundlage weniger einschneidender Maßnahmen im Sinne von § 116 StPO erreicht werden kann.

4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Das Ermittlungsverfahren ist, auch nach der Festnahme der Angeschuldigten am 16. August 2022, mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Die Auswertung der im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung sichergestellten Mobiltelefone des Angeschuldigten hat sich besonders umfangreich gestaltet. Allein auf dem sichergestellten Mobiltelefon mussten Daten in einem Umfang von mehr als 63 GB technisch aufbereitet werden. Darunter befanden sich über 200 Chatverläufe mit mehr als 13.000 Nachrichten allein im Nutzungszeitraum September 2021 bis August 2022 sowie über 40.000 Mediendaten. Die mehrheitlich in arabischer Sprache vorliegenden Kommunikationsdaten werden seit November 2022 parallel von drei Dolmetschern übersetzt, wobei die Auswertung andauert und voraussichtlich Ende März 2023 fertiggestellt sein wird. Der Generalbundesanwalt hat gleichwohl bereits unter dem 22. Februar 2023 Anklage erhoben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 7. Februar 2023 und den Übersichtsvermerk des Landeskriminalamts B. vom 19. Januar 2023 Bezug genommen.

5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 587

Bearbeiter: Karsten Gaede