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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 952

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 32/22, Beschluss v. 26.07.2022, HRRS 2022 Nr. 952


BGH StB 32/22 - Beschluss vom 26. Juli 2022 (OLG Stuttgart)

Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit.

§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB

Entscheidungstenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 2. Juni 2022 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 2. Dezember 2020 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Eine vom 13. August 2016 bis 10. Oktober 2016 im Irak erlittene Freiheitsentziehung wurde im Verhältnis 1:2 auf die Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Der Verurteilte hatte sich etwa ab Anfang 2015 zunehmend mit der Ideologie der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) identifiziert. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt stand er über Chats mit Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten des IS in Kontakt und unterstützte unter anderem ein IS-Mitglied bei der Verarbeitung von propagandistischen Reden zu Videofilmen. Spätestens zu Beginn des Jahres 2016 schloss er sich unter Billigung der Ziele und Methoden des IS der Organisation als Mitglied 1 an, der er bis zu seiner Inhaftierung im Irak am 13. August 2016 angehörte. In dieser Zeit betätigte er sich mehrfach fördernd für die Organisation. So übersandte er unter anderem einem Dritten ein Bild eines Sprengstoffgürtels mit der Aufforderung, in Deutschland einen terroristisch motivierten Anschlag zu begehen, und spähte das Premierministergebäude in E. als mögliches Anschlagsziel aus.

Der Verurteilte befindet sich in dieser Sache seit dem 21. Dezember 2017 in Haft, zunächst bis zur Rechtskraft des Urteils am 7. Januar 2021 in Untersuchungshaft, seither wird die gegen ihn verhängte Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt. Am 20. April 2021 hatte der Beschwerdeführer zwei Drittel der Strafe verbüßt. Das Strafende ist für den 17. Februar 2023 vorgemerkt. Mit Beschluss vom 20. Mai 2021 hat das Oberlandesgericht Stuttgart den Antrag des Verurteilten abgelehnt, die Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. Februar 2022 erneut beantragt, die Vollstreckung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, und nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB in die bedingte Entlassung eingewilligt. Der Generalbundesanwalt ist diesem Antrag entgegengetreten. Auch der Leiter der zuständigen Justizvollzugsanstalt hat sich gegen eine vorzeitige Haftentlassung ausgesprochen. Der durch das Oberlandesgericht Stuttgart beauftragte Sachverständige hat für den Verurteilten keine günstige Sozialprognose zu treffen vermocht. Mit Beschluss vom 2. Juni 2022 hat es den Antrag des Verurteilten auf Reststrafenbewährung abgelehnt.

2. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig, erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet.

Der Senat teilt die Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit weiterhin nicht verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB), und nimmt auf die auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgeltenden Gründe des angefochtenen, sorgfältig begründeten Beschlusses Bezug. Dem Verurteilten ist keine hinreichend günstige Legalprognose zu stellen (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3; vom 19. April 2018 - StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228; jeweils mwN).

Zu diesem Ergebnis ist das Oberlandesgericht zutreffend aufgrund einer Gesamtschau der prognoserelevanten Faktoren gelangt. Neben der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt und dem Gutachten des Sachverständigen hat es unter anderem Erkenntnisse aus dem Vollzugsplan und eine Stellungnahme von „Konex“ (Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg) berücksichtigt, bei dem der Beschwerdeführer eine Ausstiegsberatung wahrgenommen hat. Das Oberlandesgericht hat bedacht, dass der Verurteilte erstmals eine Haftstrafe verbüßt und von der bisherigen Vollstreckung derselben, insbesondere der fast dreijährigen Untersuchungshaft, nachhaltig beeindruckt ist. Auch sein weitgehend beanstandungsfreies Vollzugsverhalten und der Umstand, dass im Haftverlauf keine Anzeichen religiöser oder islamistischer Radikalisierung bzw. von Aggressionen oder Gewaltbereitschaft zutage getreten sind, hat es berücksichtigt. Das Oberlandesgericht hat insbesondere die positive Entwicklung des Verurteilten seit Bekanntgabe des Beschlusses vom 20. Mai 2021 herausgestellt. So habe der Beschwerdeführer begonnen, die verfahrensgegenständliche Tat aufzuarbeiten, und nehme dazu regelmäßig Termine bei „Konex“ wahr. Auch sei er nunmehr bereit, regelmäßig einer Arbeit nachzugehen, die er mit sehr guten Ergebnissen bewältige. Diese günstigen Umstände hat es indes nicht für durchgreifend eingeschätzt. Das Oberlandesgericht hat insbesondere die Auseinandersetzung des Verurteilten mit den Taten, derentwegen er verurteilt worden ist, als nicht ausreichend erachtet. Zum einen habe sich der Beschwerdeführer nach wie vor nicht zu seinen inneren Erlebnisvorgängen verhalten, die ihn dazu bewogen hatten, sich aus einer engen, den IS ablehnenden Familienstruktur heraus zeitweilig mit dem radikalen Islam zu identifizieren. Zum anderen wäre aus der Sicht des Oberlandesgerichts zu erwarten gewesen, dass der gewichtige Schritt, sich nach mehreren Jahren von einer hartnäckigen Leugnung der Tat zu distanzieren, von Emotionen begleitet ist. Solche fehlten indes beim Verurteilten, was darauf schließen lasse, er verschweige wesentliche Inhalte. Diese Einschätzung des Oberlandesgerichts erweist sich als zutreffend.

Anlass besteht zu dem folgendem - die überzeugende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft ergänzenden - Bemerken:

a) Entgegen dem Beschwerdevorbringen bleiben die von dem Verurteilten zu erwartenden Straftaten in dem angefochtenen Beschluss nicht im Dunklen. Der Beschwerdeführer ist unter anderem wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, konkret dem IS, verurteilt worden. Dieser verfolgt ungeachtet der militärischen Situation in Syrien und im Irak - zumindest im Untergrund - weiterhin seine terroristischen Ziele. Nachdem der Verurteilte bislang nicht offenbart hat, was ihn dazu bewogen hatte, sich zeitweilig für den IS - eine besonders gefährliche terroristische Vereinigung - zu betätigen, bleibt offen, ob und wie er sich hiervon dauerhaft distanziert hat. Die Gefahr von Straftaten nach §§ 129a, 129b StGB besteht daher weiterhin. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer mit Blick auf seine Persönlichkeitsstruktur, die nach Einschätzung des Sachverständigen auch histrionische Züge aufweist, leicht beeinflussbar ist.

b) Das Oberlandesgericht hat der nunmehrigen Bereitschaft des Verurteilten, in der Justizvollzugsanstalt einer Arbeit nachzugehen, seinem realistischeren Blick auf seine beruflichen Perspektiven in Freiheit, sowie dem Umstand, dass er sich aktiv um eine Arbeit auf dem freien Markt bemüht und dafür unter anderem an dem Projekt INSA+2 teilgenommen hat, maßgebliches Gewicht bei der Abwägungsentscheidung beigemessen. Soweit einschränkend berücksichtigt worden ist, der Beschwerdeführer trete zuweilen sehr fordernd auf und suche für Misserfolge die Schuld bei anderen, wird dies in dem angefochtenen Beschluss hinreichend durch Tatsachen belegt.

c) Mängel an der Sachkunde des Sachverständigen ergeben sich weder aus dem Beschwerdevorbringen, noch sind solche anderweitig ersichtlich.

d) Soweit der Beschwerdeführer rügt, hinsichtlich des durch das Oberlandesgericht angenommenen nicht hinreichend gesicherten sozialen Empfangsraums hätten die in Deutschland lebenden Familienangehörigen des Verurteilten angehört werden müssen, hat der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hingewiesen, dass hierzu kein Anlass bestanden hat. Denn die familiäre Einbindung hat sich auch in der Vergangenheit nicht als ausreichend stabilisierender Faktor erwiesen, den Beschwerdeführer von der Begehung von Straftaten abzuhalten.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 952

Bearbeiter: Christian Becker