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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 394

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 1/22, Beschluss v. 22.02.2022, HRRS 2022 Nr. 394


BGH StB 1/22 - Beschluss vom 22. Februar 2022

Erfolglose sofortige Beschwerde gegen die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit.

§ 57 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 2. Dezember 2021 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 21. März 2019 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; das Urteil ist seit dem 28. April 2020 rechtskräftig.

Nach den getroffenen Feststellungen gründete der Verurteilte als einer von zwei Anführern im November 2012 im syrischen Aleppo eine militant-islamistische Kampfgruppe, die Katiba“ ", und befehligte sie fortan als „Emir“. Die Gruppierung kämpfte für den Sturz des Assad-Regimes und erstrebte die Umwandlung Syriens in einen islamischen Staat unter dem Recht der Scharia. Zu diesem Zweck verübten ihre Mitglieder Anschläge, wobei sie Tötungen in Kauf nahmen. Im Straßenbild zeigten sie sich mit Sturmgewehren des Typs AK 47. Die Gruppe betrieb eigene Medienarbeit und finanzierte sich über Einnahmen aus einer Ölquelle. Mit dem Erstarken der Terrororganisation „Islamischer Staat“ wandte sich der Verurteilte ab dem Herbst 2013 jener Vereinigung zu, bevor er im Jahr 2015 nach Deutschland floh.

Das Oberlandesgericht hat es mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests nach - am 10. Dezember 2021 erreichter - Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

2. Der Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten ist (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB), weil dem Verurteilten keine hinreichend günstige Kriminalprognose gestellt werden kann (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3; vom 19. April 2018 - StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228, jeweils mwN), ist beizutreten. Der Senat nimmt auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug, die auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgelten. Einzugehen ist auf zweierlei:

a) Entgegen der darin geäußerten Ansicht hat das Oberlandesgericht bei der Gefährlichkeitsprognose zu Recht als negativen Umstand eingestellt, dass sich der Verurteilte nicht von einem islamistisch geprägten Weltbild und dem „Dschihad“ distanziere.

Was den Tatzeitraum betrifft, ergibt sich eine solche Überzeugung bereits aus den im Urteil rechtskräftig getroffenen Feststellungen. Nach diesen gründete und befehligte er, wie aufgezeigt, eine militant-islamistische Kampfeinheit. Soweit der Beschwerdeführer hierzu ausführt, dies sei nicht zwangsläufig damit verbunden gewesen, dass er selbst militant-islamistisch eingestellt war, ist dem nicht zu folgen. Das äußere Tatbild lässt insoweit hinreichende Rückschlüsse auf die innere Tatseite zu. Hinzu kommt Folgendes: Selbst wenn der Verurteilte damals eine fundamentalistische Einstellung aus taktischen Erwägungen nur vorgetäuscht hätte, um im syrischen Bürgerkrieg Verbündete und Geldgeber zu erlangen, würde dies nicht eine mindere Gefährlichkeit zum Ausdruck bringen. Denn dann wäre er allein um des persönlichen Vorteils willen bereit gewesen, die abgeurteilte terroristische Straftat zu begehen.

Der Verurteilte ist zudem bisher nicht dazu bereit, die von ihm begangene Tat aufzuarbeiten. Er lehnt es ab, sich mit der eigenen Delinquenz zu befassen und sich davon zu distanzieren. Damit fehlt es an jeglichem äußeren Beleg dafür, dass er von seiner früheren Einstellung Abstand genommen hat. Außerdem verhält er sich im Vollzug aggressiv. Auch wenn er zuletzt in einem Strafverfahren wegen Bedrohung eines Mitgefangenen freigesprochen wurde, beging er in der Haft vielfach Disziplinarverstöße, die geahndet wurden.

Diese Umstände bilden jeweils Indizien für eine fortbestehende militant-islamistische Einstellung und eine damit einhergehende Gefährlichkeit. Sichere Belege für eine solche sind entgegen dem Beschwerdevorbringen im Rahmen einer Ablehnungsentscheidung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht erforderlich. Die Strafvollstreckungsgerichte müssen vielmehr eine Gesamtwürdigung vornehmen und ihre Prognoseentscheidung durch konkrete Tatsachen belegen, die das Risiko einer Strafaussetzung als vertretbar oder unvertretbar erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 2 BvR 2961/12 u.a., juris Rn. 28). Zweifel am Vorliegen von zugunsten des Inhaftierten wirkenden tatsächlichen Umständen gehen zu seinen Lasten, die In dubio-Regel gilt hier nicht (s. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - StB 45/20, juris Rn. 8 mwN; MüKoStGB/ Groß/Kett-Straub, 4. Aufl., § 57 Rn. 55).

b) Das Oberlandesgericht hat vor seiner Entscheidung von der Hinzuziehung eines Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO absehen dürfen. Kann im Einzelfall, wie beim Verurteilten, wegen besonderer Umstände eine Reststrafaussetzung offensichtlich nicht verantwortet werden und zieht sie das Gericht deshalb nicht in Betracht, ist eine Beurteilung der von ihm ausgehenden Gefahr mittels einer Sachverständigenbegutachtung nicht erforderlich (s. BGH, Beschluss vom 3. September 2020 - StB 26/20, juris Rn. 8 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 394

Bearbeiter: Christian Becker