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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 180

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, AK 47/22, Beschluss v. 15.12.2022, HRRS 2023 Nr. 180


BGH AK 45-47/22 - Beschluss vom 15. Dezember 2022

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Die Beschuldigten wurden am 16. Mai 2022 (E.), 17. Mai 2022 (K.) und 18. Mai 2022 (C.) aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2022 (E. [6 BGs 40/22], C. [6 BGs 42/22]) und 13. Mai 2022 (K. [6 BGs 45/22]) festgenommen. Seit dem 17. Mai 2022 (E.) bzw. 18. Mai 2022 (C., K.) wird gegen sie ununterbrochen Untersuchungshaft vollzogen.

Jeweiliger Gegenstand der Haftbefehle ist der Vorwurf, der bzw. die Beschuldigte habe sich an verschiedenen Orten der Bundesrepublik Deutschland als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKPC) beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, und zwar - der Beschuldigte C. spätestens seit September 2015 insbesondere in A., F., M., N., S., St. und U., - die Beschuldigte E. spätestens seit Januar 2003 insbesondere in F., Kö., Ma. und O., darüber hinaus im Ausland, nämlich in Am. (Niederlande) und I. (Türkei), sowie - der Beschuldigte K. von Sommer 2014 bis Dezember 2018 insbesondere in B., Br. und H. .

II.

Für jeden der Beschuldigten liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus vor.

1. Gegenstände des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO sind die drei vorgelegten und vollstreckten Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2022 und 13. Mai 2022, zu deren Anpassung oder Erweiterung nur das gemäß § 126 Abs. 1 oder 2 StPO zuständige Gericht befugt ist. In welchem Umfang eine Befugnis des Haftprüfungsgerichts bestehen kann, einen im Haftbefehl geschilderten Lebenssachverhalt innerhalb der nämlichen prozessualen Tat zu ergänzen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn auf den nunmehr namentlich gegen die Beschuldigte E. erhobenen, in tatsächlicher Hinsicht erweiterten Vorwurf, sie sei auch nach September 2017 in überregional leitender Kaderfunktion für die DHKPC tätig gewesen (s. dazu Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 15. November 2022 S. 4 ff.), kommt es für die vorliegende Haftfrage nicht an. Das in den vollstreckten Haftbefehlen jeweils geschilderte Tatgeschehen trägt die Fortdauer der Untersuchungshaft.

2. Die Beschuldigten sind der ihnen jeweils angelasteten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung DHKPC verfolgt das Ziel, durch „bewaffneten Kampf“ einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine marxistisch-leninistisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung unter ihrer Kontrolle zu schaffen. Sie verübte seit dem Jahr 1994 zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge, die insbesondere gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Angehörige türkischer Justizbehörden und der türkischen Armee, aber auch gegen angebliche „Verräter“ sowie - getreu ihrer Zielsetzung, den „US-Imperialismus“ bekämpfen zu wollen - gegen die amerikanische Botschaft gerichtet waren.

Die DHKPC ist außerhalb der Türkei ebenfalls aktiv, vor allem in Westeuropa. Hier bestehen in erster Linie ihrer Europaführung untergeordnete, nach Ländern, Regionen und Gebieten strukturierte Organisationseinheiten, die von Parteifunktionären oder -komitees geleitet werden. Dabei ist Deutschland in drei Regionen eingeteilt. Die Aufgabe der innerhalb dieser „Rückfront“ aktiven Kaderpersonen ist es insbesondere, finanzielle Mittel zu beschaffen und auf diese Weise die terroristischen Anschläge in der Türkei zu unterstützen. Daneben obliegt es ihnen, in Europa Kämpfer zu rekrutieren, für deren Ausstattung zu sorgen und einen Rückzugsraum für Mitglieder der Gruppierung zu schaffen. Zudem sind sie für den Nachrichtenaustausch zwischen der von Westeuropa aus agierenden DHKPC-Führung und den Einheiten in der Türkei zuständig. Bei alledem bedienen sie sich einer äußerst konspirativen Arbeitsweise und bewegen sich in einem klandestinen Netzwerk aus Organisationsmitgliedern und -unterstützern.

bb) Die Beschuldigten gehörten der Leitungsebene der DHKPC an und betätigten sich in Kenntnis deren Ziele, Programmatik und Methoden innerhalb der „Rückfront“ für die Organisation wie folgt:

(1) Der Beschuldigte C. war von September 2015 bis mindestens Mai 2017 als Verantwortlicher der Vereinigung für deren Region Süd eingesetzt, unter anderem bestehend aus den Gebieten A., F. /D., M., N., S., St. und U. In dieser Zeit führte er den organisationsinternen Decknamen „Mak. ". Auf die Arbeit der Gebietsverantwortlichen in der Region Süd sowie sonstiger Kader und Aktivisten in seinem Zuständigkeitsbereich nahm er bestimmenden Einfluss. Er stand mit ihnen in regelmäßiger persönlicher Verbindung, koordinierte ihre Arbeit, gab ihnen Anweisungen und ließ sich über die Entwicklung in den Räumen und Gebieten berichten. Er selbst war gegenüber der Deutschland- und der Europaführung der DHKPC berichtspflichtig; seinerseits erhielt er von der ihm übergeordneten Funktionärsebene Weisungen, für deren Umsetzung er bei den ihm nachgeordneten Aktivisten Sorge trug. Zu seinem Aufgabenbereich als Regionsverantwortlicher zählten zudem namentlich die Beschaffung und Weiterleitung von Finanzmitteln, die Durchführung von und die Teilnahme an Schulungen von Kadern und Aktivisten sowie Propagandaaktivitäten für die Vereinigung und deren Tarnvereine.

In der Zeit von Januar 2016 bis Oktober 2016 war der Beschuldigte C. zusätzlich auf der Ebene des Deutschlandkomitees als höchstem Entscheidungsgremium der DHKPC im Bundesgebiet aktiv. Dabei beteiligte er sich an regelmäßigen Sitzungen des Deutschlandverantwortlichen mit den drei Regionsverantwortlichen („Vierer-Versammlungen“).

Auch nach Mai 2017 blieb der Beschuldigte C. der DHKPC zugehörig und weiter in den Strukturen der „Rückfront“ tätig, etwa durch die organisatorische Unterstützung von Propagandaveranstaltungen.

(2) Die Beschuldigte E. war von spätestens Januar 2003 bis mindestens April 2004 zunächst unter dem Decknamen „Ay.“ in leitender Position im zentralen Pressebüro der Vereinigung für Westeuropa in Am. (Niederlande) aktiv. So erteilte die Beschuldigte auf Geheiß der Organisationsführung, mit der sie in unmittelbarem Kontakt stand, Weisungen an weitere Mitarbeiter des Büros, überwachte die Umsetzung und berichtete hierüber. Ferner nahm sie Gelder aus den Gebieten oder von der Europaführung entgegen, um diese für das Pressebüro zu verwenden oder an die Organisationsführung weiterzuleiten. Darüber hinaus erhielt sie Berichte der verantwortlichen Funktionäre der „Rückfront“ und übermittelte diese der Organisationsführung. Des Weiteren war sie mit der Verschlüsselung des Nachrichtenaustauschs der Vereinigungsmitglieder betraut.

Ab März 2014 wurde die Beschuldigte E., die nach April 2004 weiterhin der DHKPC zugehörig geblieben war und nunmehr organisationsintern unter den Decknamen „Ol.“ sowie „Fe.“ auftrat, für die Vereinigung federführend als Organisatorin des Konzerts des vereinigungsnahen Musikerkollektivs „G.“ am 28. Juni 2014 in O. tätig.

In der Zeit von Dezember 2015 bis mindestens Februar 2016 war sie sodann unter dem Decknamen „Fe.“ für Gebietsarbeiten im Raum I. (Türkei) verantwortlich. Die Aufgaben der Beschuldigten erstreckten sich dabei unter anderem auf Schulungsmaßnahmen für Organisationsmitglieder, das Erstellen von Kolumnen in Parteiorganen, Propagandaaktionen, Arbeiten an Programmen zur Ausbildung von Guerillakriegern und die Kaderbildungspolitik. So war sie etwa mit dem vierwöchigen Unterricht des damaligen Europaverantwortlichen der DHKPC, dem rechtskräftig verurteilten As., betraut.

Spätestens im Januar 2017 übernahm die Beschuldigte E. - weiterhin unter dem Decknamen „Fe.“ - die Funktion der Deutschlandverantwortlichen der DHKPC, die sie jedenfalls bis September 2017 ausübte. Sie war insbesondere in die Finanzmittelbeschaffung eingebunden, den Gebietsleitern sowie den Verantwortlichen der Jugendorganisation der Vereinigung in Deutschland gegenüber weisungsbefugt und nahm turnusmäßig deren Rechenschaftsberichte entgegen. Über regelmäßige Zusammenkünfte und Nachrichtenaustausch mit den Regions- und Gebietsverantwortlichen koordinierte und überwachte sie die Umsetzung der Anweisungen der Organisationsund Europaführung zu Spendensammlungen, Veranstaltungen, Kundgebungen und Protestaktionen, Schulungsaktivitäten sowie personellen Veränderungen unter den Kadern.

Auch nach September 2017 blieb die Beschuldigte E. der Vereinigung zugehörig und bis in das Jahr 2022 in den Strukturen der „Rückfront“ aktiv, beispielsweise durch die organisatorische Unterstützung von Propagandaveranstaltungen.

(3) Der Beschuldigte K. war zunächst von Sommer 2014 bis Sommer 2015 Mitglied eines Jugendkomitees auf der Ebene der Europaorganisation und sodann bis Februar 2017 als Verantwortlicher der Vereinigung für das Gebiet H. und - zumindest zeitweise - zugleich für die Region Nord eingesetzt, unter anderem bestehend aus diesem und den Gebieten Br. und B. Dabei führte er zumeist den organisationsinternen Decknamen „Si. ". In seiner Funktionärsposition nahm er auf die übrigen in seinem Zuständigkeitsbereich tätigen Kader und Aktivisten der DHKPC bestimmenden Einfluss. Er stand mit ihnen in regelmäßiger persönlicher Verbindung, koordinierte ihre Arbeit, gab ihnen Anweisungen und ließ sich über die Entwicklung in den Gebieten und Räumen berichten. Er selbst war gegenüber der Deutschlandführung der DHKPC und der dieser übergeordneten Europaführung berichtspflichtig; seinerseits erhielt er von der ihm übergeordneten Funktionärsebene Weisungen, für deren Umsetzung er bei den ihm nachgeordneten Aktivisten Sorge trug. Zu seinem Aufgabenbereich als Regionsverantwortlicher Nord gehörten zudem namentlich die Beschaffung und Weiterleitung von Finanzmitteln, die Durchführung von und die Teilnahme an Schulungen von Kadern und Aktivisten sowie Propagandaaktivitäten für die Vereinigung und deren Tarnvereine.

Phasenweise, von Januar bis Oktober 2016, war der Beschuldigte K. im Rahmen seiner Verantwortlichkeit für die Region Nord auf der Ebene des Deutschlandkomitees der DHKPC als dessen höchstes Entscheidungsgremium im Bundesgebiet aktiv und nahm in diesem Zusammenhang an regelmäßigen „Vierer-Versammlungen“ teil. Zumindest im Februar 2017 hatte er zusätzlich zu seiner leitenden Kaderfunktion in H. zeitweise die Verantwortung für einen weiteren Arbeitsbereich außerhalb der Region Nord.

Auch nach Februar 2017 blieb der Beschuldigte K. der Vereinigung zugehörig und bis Ende 2018 weiter in den Strukturen der „Rückfront“ tätig, so mitunter durch die organisatorische und rhetorische Unterstützung von Propagandaveranstaltungen.

cc) Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Haftbefehle Bezug genommen.

b) Der dringende Verdacht ergibt sich hinsichtlich der - DHKPC als ausländischer terroristischer Vereinigung aus den Strukturermittlungen, die der Generalbundesanwalt in den „Sachakten Struktur“ zusammengetragen hat; überdies trafen in den zurückliegenden Jahren Oberlandesgerichte vielfach Feststellungen zur Geschichte, Organisation und Betätigung der DHKPC in der Türkei sowie in Europa als Grundlage rechtskräftiger Verurteilungen wegen Straftaten gemäß §§ 129a, 129b StGB, - mitgliedschaftlichen Beteiligung der Beschuldigten insbesondere aus der Auswertung des internen elektronischen Schriftverkehrs der DHKPC, der bei den Festnahmen zum einen des zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten As. im Dezember 2016, zum anderen einer weiteren, sich in Deutschland aufhaltenden örtlichen Kaderperson im Dezember 2017 sichergestellt worden ist, darüber hinaus aus Erkenntnissen, die aufgrund der Sichtung im Internet zugänglicher Quellen durch das Bundeskriminalamt gewonnen worden sind, betreffend die Beschuldigte E. ferner aus den Ergebnissen der Durchsuchung des zentralen Pressebüros der Vereinigung in Am. im April 2004 sowie aus Behördenzeugnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz vom Juli 2015.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Haftbefehle, die zugrundeliegenden Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 9. Mai 2022 (K.) bzw. 10. Mai 2022 (C., E.) und dessen zusammenfassende Vermerke „zum Ergebnis der bisherigen Ermittlungen“ vom 9. Mai 2022 verwiesen.

Die seit dem Vollzug der Untersuchungshaft durchgeführten Ermittlungen haben, wie in der Zuschrift des Generalbundeanwalts vom 15. November 2022 dargelegt, die Verdachtslage für die Beschuldigten C. und E. verfestigt, für den Beschuldigten K. jedenfalls nicht abgeschwächt.

c) In rechtlicher Hinsicht sind die Beschuldigten auf der Grundlage des oben unter II. 2. a) geschilderten und in Bezug genommenen Sachverhalts dringend verdächtig jeweils der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB. Die DHKPC stellt auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses insgesamt eine Vereinigung in diesem Sinne dar (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10, BGHR StGB § 129b Vereinigung 1).

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung liegt vor. Das Bundesministerium der Justiz hat mit Schreiben vom 24. Januar 2011 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener oder künftiger Taten von Mitgliedern der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKPC erteilt, wenn die Tat durch eine im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches ausgeübte Tätigkeit begangen wird (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2014 - AK 25/13, juris Rn. 13). Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat diese Ermächtigung am 3. Juli 2015 dahin neu gefasst, dass sie keine Beschränkung mehr auf im Inland ausgeführte Taten enthält. Somit erstreckt sie sich auf die von der Beschuldigten E. mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Jahren 2003 und 2004 sowie 2015 und 2016 im Ausland vorgenommenen Beteiligungshandlungen. Die nachträgliche Erweiterung der Ermächtigung ist dabei verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 29).

3. Bei den Beschuldigten bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO und der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO.

a) Bei Würdigung der Umstände ist jeweils die Gefahr zu bejahen, dass der bzw. die Beschuldigte sich, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen werde.

Die drei Beschuldigten haben im Fall ihrer Verurteilung jeweils empfindliche, einen hohen Fluchtanreiz begründende Strafen zu erwarten. Hinzu kommt, dass es sich bei der DHKPC nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis um eine Organisation handelt, die auf strikt konspiratives Verhalten ausgerichtet ist, zu dem auch die Schleusung von Kaderpersonen und Kämpfern, die Ausstattung von Funktionären und Mitgliedern mit missbräuchlich genutzten oder falschen Ausweispapieren sowie die Unterbringung von im Untergrund agierenden Aktivisten in konspirativen Wohnungen zählt. Die Beschuldigten sind, wie in den gegen sie ergangenen Haftbefehlen und den Vermerken des Generalbundesanwalts vom 9. Mai 2022 beschrieben, dringend verdächtig, sich im Rahmen ihrer Kadertätigkeiten jeweils auch mit derartigen Aktivitäten befasst zu haben, die dazu dienten, Schleusungen und Schmuggelfahrten zu organisieren. Deshalb verfügen sie mit großer Wahrscheinlichkeit über geeignete Kontakte und Anlaufstellen, die ihnen im Fall einer Flucht hilfreich sein würden (vgl. zum für die Annahme der Fluchtgefahr maßgebenden Verdachtsgrad BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11). Ferner waren die Beschuldigten C. und E. im Bundesgebiet vor ihrer Festnahme ohne festen Wohnsitz; für beide ist ein Beschäftigungsverhältnis nicht ersichtlich.

Dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen bei keinem der Beschuldigten ausreichende fluchthindernde Faktoren gegenüber. Zwar sind sie nicht vorbestraft. Den Beschuldigten E. und K. war das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren im Grundsatz bekannt. Die Beschuldigte E. verfügt in Deutschland seit 2009 über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis; nach dem Vorbringen ihres Verteidigers hat sie im Inland zahlreiche Verwandte und ist in der alevitischen Gemeinde bundesweit integriert. Der Beschuldigte K. hatte vor seiner Festnahme einen festen Wohnsitz und war durchgängig bei zwei angesehenen deutschen Unternehmen erwerbstätig; außerdem haben er und seine - wenngleich mutmaßlich jedenfalls DHKP-C-affine - Ehefrau eine kurz vor der Inhaftierung geborene gemeinsame Tochter. All diesen Umständen kommt jedoch kein solches Gewicht zu, dass sie die Fluchtgefahr beseitigen könnten. Das gilt umso mehr, als sich aus der grundsätzlichen Kenntnis der Beschuldigten von ihrer Strafverfolgung nicht der Schluss ziehen lässt, sie seien sich über die Intensität der Ermittlungen und damit über die Wahrscheinlichkeit ihrer Verurteilung sowie das für diesen Fall jeweils zu erwartende Strafmaß im Klaren gewesen.

Dass die Lebensgefährtin des Beschuldigten C. im Inland eine Wohnung unterhält, die ihm als Anlaufstelle diente, hat von vorneherein allenfalls geringe Bedeutung, weil seine Partnerin nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen der DHKPC ebenfalls zumindest nahesteht (s. Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 15. November 2022 S. 8 ff.).

b) Außerdem kann die gegen die Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO auf den dort geregelten Haftgrund der Schwerkriminalität gestützt werden. Denn die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der jeweiligen Tat ohne die weitere Inhaftierung des bzw. der Beschuldigten vereitelt werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 15/22, juris Rn. 11 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 37, jeweils mwN).

4. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist bei keinem der Beschuldigten erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen hinsichtlich der Beschuldigten vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die weitere Vollstreckung der Haftbefehle. Der Aktenbestand ist außergewöhnlich umfangreich; er umfasst derzeit 233 Stehordner, von denen 45 das Personenverfahren und 188 das Strukturverfahren betreffen. Die Ermittlungen sind bislang mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:

a) Anlässlich der Festnahme der Beschuldigten ist im Mai 2022 bei Durchsuchungsmaßnahmen umfangreiches Beweismaterial - insbesondere in elektronischer Form - sichergestellt worden. Aufgrund der Kennverhältnisse zwischen den Beschuldigten sowie des Umstandes, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit in jüngerer Zeit teilweise zeitlich überschneidend der Führungsspitze der DHKPC in Deutschland angehörten und in dieser Funktion gemeinsam die Zwecke der terroristischen Vereinigung förderten, ist die Untersuchung der sichergestellten elektronischen Speichermedien und schriftlichen Aufzeichnungen jeweils im Hinblick auf alle drei Beschuldigten geboten gewesen. Die diesbezüglichen Auswertungsarbeiten des Bundeskriminalamts haben sich vor allem aufgrund des Umfangs des gesicherten digitalen Datenbestandes und des weitgehend fremdsprachigen Beweismaterials besonders zeit- und arbeitsaufwändig gestaltet. So sind beim Zugriff im Mai 2022 unter anderem 14 Mobiltelefone, fünf Tablets, acht Laptops, diverse DVDs und CDs, zehn externe Festplatten, zahlreiche USB-Sticks und Micro-SD-Karten, mehrere SIM-Karten, Flyer, Plakate und Werbematerial mit Bezug zur „G.“ sowie schriftliche Unterlagen, ferner Geldbeträge sichergestellt worden. Die Speicherkapazität der bislang gesicherten und zu Auswertezwecken besonders aufbereiteten Datenträger beläuft sich auf etwa zehn Terabyte. Dass es sich bei den zu sichtenden Sprachnachrichten und Texten vornehmlich um türkischsprachige handelt, macht die Hinzuziehung mehrerer Dolmetscher erforderlich.

Wegen der für handschriftliche Notizen zu klärenden Verfassereigenschaft ist eine daktyloskopische Spurensuche angeordnet und ein Handschriftengutachten in Auftrag gegeben worden. Zu diesem Zweck hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 11. Oktober 2022 - nach mehrmaliger Verlängerung der Stellungnahmefrist für die Verteidigung auf deren Antrag - die Beschlagnahme von im Rahmen der Postkontrolle vorgelegten Briefen für den Schriftenvergleich angeordnet.

Hinsichtlich der seit Verkündung der Haftbefehle durchgeführten Ermittlungen wird im Übrigen auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 15. November 2022 verwiesen. Das Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten K. gibt Anlass zu dem Bemerken, dass die Ermittlungsbehörden auch im Hinblick auf die Wahrung der Anordnungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO nicht zu einer Aufstellung gehalten sind, wann wie viele Polizeibeamte und Dolmetscher mit welchen Maßnahmen befasst gewesen sind; der Auffassung, die Anzahl von (bis zu) vier sachbearbeitenden Ermittlungspersonen und (bis zu) drei Übersetzern sei per se ungenügend, ist ebenso wenig beizutreten.

b) Um das Recht der inhaftierten Beschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK) zu gewährleisten, hat der Generalbundesanwalt darauf hingewirkt, dass das Bundeskriminalamt den elektronischen und nichtelektronischen Schriftverkehr zunächst vorläufig und stichprobenhaft auswertet. Bei einem erheblichen Teil des Beweismaterials ist die Auswertung nunmehr bereits geschehen.

Der Generalbundesanwalt hat zuletzt mitgeteilt, die Anklageschrift sei in abschließender Bearbeitung, er werde sie in der gegenwärtigen (50.) Kalenderwoche fertigstellen.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit für keinen der Beschuldigten außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

III.

Vor dem dargelegten Hintergrund kann die Entscheidung ohne die vom Beschuldigten K. angeregte mündliche Haftprüfung vor dem Senat (§ 122 Abs. 2 Satz 2, Abs. 7, § 118a StPO) ergehen; denn maßgebliche weitere Erkenntnisse sind dadurch nicht zu erwarten.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 180

Bearbeiter: Fabian Afshar