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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 300

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, &nbps; AK 1/22, Beschluss v. 26.01.2022, HRRS 2022 Nr. 300


BGH AK 1/22 - Beschluss vom 26. Januar 2022

Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus.

§ 112 StPO; § 121 Abs. 1 StPO; § 122 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 16. März 2021 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. März 2021 (4 BGs 19/21) festgenommen. Seither befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls sind die Vorwürfe, der Beschuldigte habe zwischen dem 25. Dezember 2003 und dem 31. Dezember 2006 in Gambia im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung gemeinschaftlich handelnd in drei Fällen, davon in zwei Fällen heimtückisch und in einem Fall grausam, einen Menschen getötet, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben sei, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 211 Abs. 1 und 2 Gruppe 2 Variante 1, 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2021 (AK 43/21) hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Er hat den Beschuldigten für jedenfalls dringend verdächtig erachtet des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Mord und in dem anderen Fall mit Totschlag, sowie des versuchten Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit versuchtem Mord (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 211 Abs. 1 und 2 Gruppe 2 Variante 1, § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer auch über neun Monate hinaus liegen vor.

1. Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts, der Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität sowie der Versagung einer Haftverschonung wird auf den Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2021 mit den dort in Bezug genommenen Schriften und Vermerken des Generalbundesanwalts verwiesen.

Der dringende Tatverdacht wird durch die nach der Vorlage zur Sechsmonatshaftprüfung gewonnenen Ermittlungsergebnisse weiter erhärtet. So untermauert das vom Generalbundesanwalt eingeholte politikwissenschaftliche Sachverständigengutachten vom 29. Oktober 2021 die Verdachtslage zum durch den gambischen staatlichen Machtapparat im Tatzeitraum ausgeführten ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die eigene Zivilbevölkerung. Das polizeiliche Protokoll über die Aussage eines aus Gambia stammenden Zeugen, den der Beschuldigte in H. kennengelernt hatte, lässt Schlüsse auf die Authentizität und Validität von dessen Angaben bei den Interviews mit dem gambischen Auslandssender zu. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Januar 2022 Bezug genommen.

2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 1 und 4 Satz 2 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen und rechtfertigen weiterhin den Vollzug der Untersuchungshaft.

a) Auch nach der Vorlage zur Sechsmonatshaftprüfung sind die Ermittlungen hinreichend gefördert worden.

aa) Die Auswertung der Asservate ist mittlerweile vollständig abgeschlossen; am 4. Oktober 2021 sind dem Generalbundesanwalt die noch ausstehenden hierüber erstellten Vermerke überreicht worden. Das politik- und gesellschaftswissenschaftliche Sachverständigengutachten ist am 17. November 2021 bei ihm eingegangen. Die gambische Wahrheitskommission (TRRC) hat am 24. Dezember 2021 ihren Abschlussbericht veröffentlicht, dessen Auswertung durch die Bundesanwaltschaft noch aussteht. Außerdem sind drei weitere Zeugen einvernommen worden, darunter eine Zeugin im Wege der Bild-Ton-Übertragung aus der deutschen Botschaft in Dakar (Senegal) am 4. Oktober 2021.

bb) Die Maßnahmen der Rechtshilfe gestalten sich zeitlich aufwändig.

Die Erledigung der an den in Nigeria ansässigen Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS Court of Justice) sowie an die US-amerikanischen und die britischen Behörden gerichteten Rechtshilfeersuchen steht noch aus. Der Gerichtshof ist an das ihm am 27. Mai 2021 übergebene Ersuchen zuletzt mit Verbalnote der deutschen Botschaft in Abuja (Nigeria) vom 13. Oktober 2021 erinnert worden. Die US-amerikanischen und britischen Behörden sind ausweislich ihrer aktuellen Mitteilungen mit der Durchführung der erbetenen Maßnahmen weiter befasst.

Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt ein an die Vereinten Nationen gerichtetes Rechtshilfeersuchen am 15. Dezember 2021 an das Bundesamt für Justiz zur Übermittlung auf dem diplomatischen Geschäftsweg übersandt, nachdem die Voraussetzungen hierfür über die seit Beginn des Verfahrens bestehende Rechtshilfeverbindung mit der Schweizer Eidgenossenschaft geschaffen worden waren. Das schon bei Ablauf der Sechsmonatsfrist avisierte, allerdings zwischenzeitlich gegenständlich reduzierte Rechtshilfeersuchen an die Republik Gambia wird derzeit in die englische Sprache übersetzt; zuvor hatte das Bundesamt für Justiz erklärt, der erste ihm unter dem 9. September 2021 vorgelegte Entwurf sei nicht bewilligungsfähig.

cc) Wegen näherer Einzelheiten zu den Ermittlungshandlungen und Rechtshilfemaßnahmen wird auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Januar 2022 verwiesen.

b) Um das Recht des inhaftierten Beschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK) zu gewährleisten, hat der Generalbundesanwalt mit Verfügung vom 29. Oktober 2021 Tatvorwürfe, die nicht Gegenstand des vollzogenen Haftbefehls sind, aus dem Ermittlungsverfahren abgetrennt. Er hat mitgeteilt, die Anklageerhebung nicht von der Erledigung sämtlicher Rechtshilfeersuchen abhängig zu machen und gegenwärtig die Anklageschrift zu den nach der Verfahrenstrennung verbliebenen dem Beschuldigten angelasteten Taten abzufassen.

c) Unter Berücksichtigung all dessen ist das Ermittlungsverfahren bislang mit der notwendigen Zügigkeit durchgeführt worden und mit einer Anklageerhebung vor dem nächsten Haftprüfungstermin zu rechnen.

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach wie vor nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 300

Bearbeiter: Christian Becker