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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1013

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 66/22, Beschluss v. 26.04.2022, HRRS 2022 Nr. 1013


BGH 2 ARs 66/22 2 AR 40/22 - Beschluss vom 26. April 2022

Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (örtliche Zuständigkeit in Jugendsachen: Umzug des Angeklagten, keine abgabehindernden Erschwernisse für das Verfahren, keine erhebliche Verzögerung der Verfahren zu besorgen).

§ 42 JGG; § 108 JGG

Entscheidungstenor

Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Oberhausen zuständig.

Gründe

Die Jugendschöffengerichte der Amtsgerichte Gelsenkirchen und Oberhausen streiten über die Zuständigkeit für die weitere Verhandlung und Entscheidung in einem bei dem Amtsgericht Gelsenkirchen anhängigen Jugendstrafverfahren.

1. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Jugendschöffengerichten bestehenden Streits gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 108 Abs. 1 JGG als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil die Amtsgerichte Gelsenkirchen (Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm) und Oberhausen (Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf) in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.

2. Für die Verhandlung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Oberhausen zuständig. Die Voraussetzungen für eine Abgabe gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 108 Abs. 1 JGG liegen vor, weil der Angeklagte seinen Aufenthaltsort dauerhaft nach Anklageerhebung gewechselt hat; die Abgabe ist auch zweckmäßig. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift vom 28. Februar 2022 u. a. Folgendes ausgeführt:

„Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG ? der hier in Verbindung mit § 108 JGG anwendbar ist ? kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält, wenn dieser seinen Aufenthalt wechselt. Der in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass Heranwachsende sich vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, darf grundsätzlich nur durchbrochen werden, wenn sonst erhebliche Erschwernisse das Verfahren belasten würden (vgl. Senat, Beschluss vom 8. September 2015 ? 2 ARs 142/15, NStZ-RR 2015, 353 m. w. N.).

So liegt der Fall hier. Der Angeklagte ist nach Erhebung der öffentlichen Klage und Eröffnung des Hauptverfahrens in den Bezirk des Amtsgerichts Oberhausen gezogen und hält sich seitdem dort auf. Die Verfahrensabgabe ist sachlich begründet, da die Jugendgerichtshilfe am neuen Aufenthaltsort des Jugendlichen zu beteiligen ist. Dass der Angeklagte mittlerweile Volljährig ist (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 5. August 2015 ? 2 ARs 42/15, juris Rn. 2), steht der Verfahrensabgabe hier nicht entgegen, weil der Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe im Hinblick auf die Sanktionswahl, insbesondere der Frage ob noch schädliche Neigungen vorliegen, angesichts der länger zurückliegenden Taten besondere Bedeutung zukommt […]. Dagegen liegen abgabehindernde erhebliche Erschwernisse für das Verfahren […] nicht vor. Insbesondere ist eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens im Hinblick auf einen erhöhten Aufwand zur Einarbeitung nicht zu besorgen (vgl. hierzu: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 1996 ? 1 Ws 150/96, NStZ-RR 1996, 348 m. w. N.). Obschon beide beteiligten Gerichte das Verfahren als „Umfangsverfahren“ charakterisieren, handelt es sich bei Lichte betrachtet um acht identische einfach gelagerte Fälle des Warenbetrugs. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung dürfte sich somit in Grenzen halten (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Mai 2014 ? 2 ARs 118/14, juris Rn. 5). Hinzu kommt, dass die erforderliche […] Einarbeitungszeit aufgrund des Dezernatswechsels bei dem abgebenden Gericht ohnehin erneut anfallen würde. Daher kann dem Umstand, dass dieses Gericht bereits längere Zeit mit dem Verfahren befasst ist (vgl. hierzu etwa Senat, Beschluss vom 15. Januar 2015 ? 2 ARs 275/14, StraFo 2015, 163), vorliegend nur noch eine untergeordnete Bedeutung zugemessen werden. Die Abgabe des Verfahrens an das Wohnsitzgericht wäre auch logistisch nicht unzweckmäßig, weil sie sich auf die Anreise der acht Zeugen aus Bayern, Berlin, Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen nicht auswirkt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2021 ? 2 ARs 131/21, NStZ-RR 2021, 294, 295 m. w. N.; vom 28. April 2020 ? 2 ARs 58/20, juris Rn. 3).“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1013

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede