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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1272

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 101/22, Beschluss v. 11.10.2022, HRRS 2022 Nr. 1272


BGH 2 StR 101/22 - Beschluss vom 11. Oktober 2022 (LG Aachen)

Mittäter (Konkurrenzen: gesonderte Prüfung, tateinheitlich, tatmehrheitlich, Umfang des erbrachten Tatbeitrags, individueller Tatbeitrag, natürliche Handlungseinheit, organisatorische Einbindung des Täters in die tatausführende Bande, gleichzeitige Förderung mehrerer Taten); Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

§ 25 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 30a BtMG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Juni 2021, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Verabredung zum bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt ist,

b) aufgehoben im Ausspruch über

aa) die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. b) (Fälle 2 und 3 der Urteilsgründe),

bb) die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Verabredung hierzu sowie wegen Beihilfe hierzu“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und einen Anrechnungsmaßstab für die in Ungarn erlittene Auslieferungshaft bestimmt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Verabredung zum bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 2. a) der Urteilsgründe), die hierfür zugemessene Einzelstrafe von zwei Jahren sowie die Anrechnungsentscheidung für die erlittene Auslieferungshaft lassen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erkennen.

2. Dagegen hält die weitergehende Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und ? tatmehrheitlich hierzu - der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der rechtlichen Prüfung nicht stand (Fälle 2. b); Fälle 2 und 3 der Urteilsgründe). Das Landgericht ist rechtsfehlerhaft von zwei tatmehrheitlichen Fällen ausgegangen.

a) Es hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

aa) Der Angeklagte war Mitglied einer Bande, die sich zum Betrieb verschiedener Marihuanaplantagen zusammengeschlossen hatte. Nachdem er bei anderen Plantagen Verluste erlitten hatte, investierte er in Absprache mit seinen Tatgenossen in den Aufbau und den Betrieb einer Plantage in E. ohne partnerschaftliche Beteiligung 25.000 €. Im Gegenzug sollte er nach der ersten Ernte mit einem erwarteten Ertrag von mindestens 40 kg Marihuana 40.000 € zurückerhalten. An den erwarteten weiteren Ernten sollte er nicht partizipieren.

Daneben war der Angeklagte in erheblichem Umfang auf der Plantage tätig. Er verhandelte mit dem Hauptmieter über die Zahlungsmodalitäten des Mietzinses, besorgte die Lebensmittel für das Plantagenpersonal und kaufte Equipment für die Plantage in Baumärkten. Ferner nahm er größere Anlieferungen von Blumenerde oder Equipment vor Ort in Empfang und verbrachte diese in die Plantagenräume.

Bei der polizeilichen Durchsuchung des von der Bande angemieteten Hallenkomplexes wurden in zwei Räumen 2.324 im Wachstum befindliche Marihuanapflanzen eines Anbauzyklusses mit einem Mindestertrag von 58,1 kg Marihuana bei einem THC-Gehalt von 12,6% sichergestellt (Fall 2 der Urteilsgründe). In einem weiteren Raum befanden sich in einem mit passenden Leuchtmitteln ausgestatteten Aufzuchtzelt 2.024 in Düngeballen gesteckte Setzlinge, die dem zweiten Anbauvorgang dienten. Der Mindestertrag dieser Ernte hätte bei 50,6 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 12,6% THC gelegen (Fall 3 der Urteilsgründe).

bb) Die Strafkammer hat die Tatbeiträge des Angeklagten im Fall 2 aufgrund seines hohen Tatinteresses und seiner weiteren Beteiligung als täterschaftlich gewertet. Soweit er darüber hinaus durch die Investition von 25.000 € sowie seinen Tätigkeiten vor Ort zugleich die weiteren Ernten gefördert habe, sei sein Tatinteresse an diesen aufgrund der zuvor verabredeten Rückerstattung der 40.000 € reduziert, weshalb sich sein Beitrag zu diesen Ernten nur als Beihilfe darstelle. Da es sich um gesonderte Anbauvorgänge handele, lägen zwei selbstständige Taten vor.

b) Die - rechtsfehlerfrei getroffenen ? Feststellungen tragen zwar den jeweiligen Schuldspruch (vgl. zur Tatvollendung des Handeltreibens bei der Aufzucht von Stecklingen Senat, Beschluss vom 3. August 2011 - 2 StR 228/11, NStZ 2012, 43; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2021 ? 5 StR 337/20, juris Rn. 9) als Täter bzw. Gehilfe (vgl. zur Fortwirkung einer Anschubfinanzierung BGH, Beschluss vom 21. Juni 2018 ? 4 StR 599/17, juris Rn. 5), nicht jedoch die tatmehrheitliche Verurteilung des Angeklagten.

aa) Sind mehrere Mittäter an einer Deliktserie beteiligt, ist für jeden von ihnen gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Tatgenosse für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten ? soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt ? als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Eine darüberhinausgehende organisatorische Einbindung des Täters in die tatausführende Bande ist in diesen Fällen nicht geeignet, die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung und erbringt der Tatgenosse als Täter oder als Gehilfe im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten Einzeltaten als einheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 ? 4 StR 582/19, juris Rn. 3; Urteil vom 17. Juni 2004 ? 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.).

bb) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht. Das Landgericht hat keinen individuellen, den Anbau der in dem Aufzuchtzelt aufgefundenen 2.024 Marihuana-Stecklinge fördernden Tatbeitrag des Anklagten festgestellt. Vielmehr hat er den ersten Anbauvorgang mit 2.324 Pflanzen sowie die Aufzucht der Stecklinge des zweiten Anbauzyklusses durch seine verschiedenen Tatbeiträge gleichzeitig gefördert. Er gewährte der Gruppierung ein Darlehen über 25.000 € zur Finanzierung für den Aufbau der Marihuanaplantage, das in Höhe von 40.000 € nach der ersten Ernte ? ohne Partizipation an den weiteren Ernten - zurückfließen sollte. Seine Aktivitäten vor Ort sind keinem Anbauvorgang individuell zuzuordnen. Damit sind ihm seine Tatbeiträge als tateinheitlich begangen zuzurechnen.

3. Da ergänzende tatsächliche Feststellungen, welche eine andere Beurteilung der Konkurrenzfrage rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

4. a) In Folge der Schuldspruchänderung entfällt die Einzelstrafe von zwei Jahren im Fall 3 der Urteilsgründe. Gleichzeitig bedarf es der neuerlichen Zumessung der Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe. Dabei hindert § 358 Abs. 2 StPO das neue Tatgericht nicht, diese Einzelstrafe aufgrund der Änderung des Konkurrenzverhältnisses zu erhöhen. Die neu festzusetzende Einzelstrafe wird jedoch sowohl durch die Summe der bisherigen beiden Einzelstrafen wie auch die Höhe der Gesamtstrafe limitiert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 1995 ? 3 StR 346/95, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 7; vom 19. November 2002 ? 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; vom 7. Oktober 2020 ? 4 StR 364/20, juris Rn. 7).

b) Der Wegfall von zwei Einzelstrafen führt gleichzeitig zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

c) Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1272

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede