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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 434

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 223/21, Beschluss v. 18.01.2022, HRRS 2022 Nr. 434


BGH 2 ARs 223/21 2 AR 166/21 - Beschluss vom 18. Januar 2022

Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Anfechtungsantrang gegen eine Verlegungsanordnung); Verlegung eines Strafgefangenen (maßgebliches Landesrecht; Zuständigkeit: örtlich, Verweisungsbeschluss, Bindungswirkung, willkürliche Verweisungsentscheidung;); Abweichen vom Vollstreckungsplan (Verlegung in ein anderes Bundesland: Einigung der obersten Vollzugsbehörden, verwaltungsinterne Voraussetzung).

§ 14 StPO; § 109 StVollzG; § 110 StVollzG; § 26 StrVollstrO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Verlegung eines Gefangenen in die Vollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes bedarf als länderübergreifende Verlegung zwar gemäß § 26 Abs. 2 Satz 3 StrVollstrO einer Einigung der obersten Vollzugsbehörden beider Länder. Die erforderliche Einigung regelt die Verlegung aber nur im Verhältnis der beteiligten Länder zueinander. Sie ist selbst noch keine Verlegungsanordnung, sondern bildet lediglich eine bundesstaatlich notwendige und lediglich verwaltungsinterne Voraussetzung für die Anordnung der (einseitig nicht umsetzbaren) länderübergreifenden Verlegung, die im Außenverhältnis zum Strafgefangenen weiterhin nur nach Maßgabe des einschlägigen Landesrechts durch die danach zuständige Behörde angeordnet werden kann.

2. Wurde ein Strafgefangener aus einer Justizvollzugsanstalt in eine Justizvollzugsanstalt in einem anderen Bundesland verlegt, findet das für diese Justizvollzugsanstalt maßgebliche Landesrecht Anwendung. Dem Landesrecht kommt nur eine räumlich auf das Staatsgebiet des jeweiligen Bundeslandes begrenzte Geltung zu und es erfasst grundsätzlich alle Personen, die sich innerhalb des Staatsgebietes befinden.

3. Zwar ist ein Beschluss, durch den das Verfahren an eine andere Strafvollstreckungskammer verwiesen wird, entsprechend § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich bindend. Eine Bindungswirkung tritt jedoch nicht ein, wenn die Verweisungsentscheidung willkürlich erscheint, namentlich, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, an welche die Sache verwiesen worden ist, unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt oder die Verweisung sonst inhaltlich grob und offensichtlich fehlerhaft ist.

Entscheidungstenor

Für die Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen die Anordnung seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Bautzen ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg zuständig.

Gründe

I.

Der wegen Mordes und anderer Delikte zu lebenslanger Freiheitsstrafe sowie mehreren zeitigen Freiheitsstrafen verurteilte Antragsteller befand sich seit dem Jahr 2008 ununterbrochen in Strafhaft in verschiedenen Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen. Am 14. Dezember 2020 wurde er gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 HStVollzG aus Sicherheitsgründen von der Justizvollzugsanstalt Kassel I nach Baden-Württemberg in die Justizvollzugsanstalt Offenburg verlegt. Dabei bestand zwischen den an dieser Entscheidung beteiligten Justizministerien beider Bundesländer Einigkeit darüber, dass er nur vorübergehend dort verbleiben sollte. Ein konkreter Zeitrahmen, innerhalb dessen eine Rück- oder Weiterverlegung erfolgen sollte, wurde nicht festgelegt. Im Mai 2021 erkundigte sich die stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt Offenburg beim baden-württembergischen Justizministerium, wie es mit dem Antragsteller „weitergehen“ solle und ob eine Rückverlegung in den hessischen Justizvollzug beabsichtigt sei. Das baden-württembergische Justizministerium teilte der JVA Offenburg zunächst mit, dass ihre Anfrage an das hessische Justizministerium weitergeleitet worden sei, und unterrichtete sie sodann Ende Juni 2021 dahingehend, dass man in Hessen für den Antragsteller einen Platz in Sachsen in der JVA Bautzen organisiert habe, und sie gebeten werde, ihm dies zu eröffnen. Die stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt Offenburg suchte den Antragsteller daraufhin am 28. Juni 2021 zu einem Gespräch auf und teilte ihm mündlich mit, „dass das hessische Ministerium beschlossen habe, dass er in die JVA Bautzen verlegt werde“. Seine Nachfrage zu den „Hintergründen der Verlegung“ vermochte sie nicht zu beantworten, da es „sich um eine Entscheidung aus Hessen“ handele.

Am 30. Juni 2021 beantragte der Verteidiger des Antragstellers bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg, die seinem Mandanten „am 28. Juni 2021 seitens der JVA Offenburg mündlich eröffnete Verfügung über seine Verlegung in die JVA Bautzen aufzuheben“ und die Vollziehung dieser Maßnahme einstweilen auszusetzen. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, die Voraussetzungen für eine Verlegung lägen nicht vor; jedenfalls aber sei die getroffene Verlegungsverfügung ermessensfehlerhaft, weil die Belange des Antragsstellers nicht in gebotener Weise Berücksichtigung gefunden hätten.

Mit Beschluss vom 7. Juli 2021 gab das Landgericht Offenburg das Verfahren zur Entscheidung über die Anträge des Antragstellers „gemäß § 83 VwGO i.V.m. den §§ 17, 17a GVG“ an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel ab. Zur Begründung führte es aus, die Justizvollzugsanstalt Offenburg habe keine eigene Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs getroffen, sondern dem Antragsteller lediglich die Entscheidung des hessischen Justizministeriums mitgeteilt, weshalb nicht das Landgericht Offenburg, sondern das Landgericht Kassel zuständig sei.

Am 8. Juli 2021 wurde der Antragsteller per Einzeltransport in die Justizvollzugsanstalt Bautzen überführt.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2021 erklärte sich die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel für örtlich unzuständig und legte die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Es vertritt die Auffassung, die Verlegung sei im Außenverhältnis zum Antragsteller eine Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Offenburg gewesen, auch wenn damit lediglich eine „ministerielle Vorgabe“ umgesetzt worden sei. Gemäß § 110 StVollzG sei daher das Landgericht Offenburg örtlich zuständig.

II.

Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Landgerichts Offenburg (Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe) und des Landgerichts Kassel (Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt am Main) gemäß § 14 StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

III.

Zuständig für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg.

Nach der Verlegung des Strafgefangenen in die Justizvollzugsanstalt Bautzen ist der nach § 114 Abs. 2 StVollzG gestellte Aussetzungsantrag gegenstandslos geworden, so dass nur noch über den gegen die Verlegungsanordnung gerichteten Anfechtungsantrag entschieden werden muss.

1. Die Anordnung der Verlegung eines bereits in den Strafvollzug eingewiesenen Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt ist eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs und kann daher mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 Abs. 1 StVollzG angefochten werden (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 - 2 ARs 151/18, NStZ-RR 2018, 392 mwN). Über den Antrag entscheidet nach § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme erlassen hat (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG), ihren Sitz hat.

2. Die angefochtene Maßnahme ist von der Justizvollzugsanstalt Offenburg getroffen worden. Soweit diese der Ansicht ist - und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg -, sie habe keine eigene Entscheidung getroffen, sondern dem Verurteilten nur eine Entscheidung des hessischen Justizministeriums mitgeteilt, geht dies fehl.

a) Der Antragsteller wurde am 14. Dezember 2020 aus der Justizvollzugsanstalt Kassel I in die Justizvollzugsanstalt Offenburg verlegt. Auch wenn zwischen den beteiligten Justizministerien Einigkeit darüber bestand, dass er nur vorübergehend dort verbleiben sollte, handelte es sich nicht lediglich um eine zeitlich begrenzte Überstellung, sondern eine Verlegung, denn der Antragsteller sollte auf unbestimmte Zeit in die Justizvollzugsanstalt Offenburg aufgenommen werden. Dies hatte zur Folge, dass die Zuständigkeit auf die Justizvollzugsanstalt Offenburg überging (vgl. hierzu Arloth in Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 8 Rn. 2). Über seine Weiterverlegung in die Justizvollzugsanstalt Bautzen war somit nach baden-württembergischen Landesrecht zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 BWJVollzGB III).

b) Das für diese Justizvollzugsanstalt maßgebliche Landesrecht findet insbesondere auch dann Anwendung, wenn der Strafgefangene zuvor aus einem anderen Bundesland dorthin verlegt wurde. Dem Landesrecht kommt nur eine räumlich auf das Staatsgebiet des jeweiligen Bundeslandes begrenzte Geltung zu und es erfasst grundsätzlich alle Personen, die sich innerhalb des Staatsgebietes befinden (vgl. BVerfGE 11, 6, 19; F. Kirchhof in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. Ergänzungslieferung, Art. 83 Rn. 67; a.A. OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 1996, 188, 189).

c) Was die Verlegung eines Gefangenen in die Vollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes betrifft, bedarf eine solche länderübergreifende Verlegung zwar gemäß § 26 Abs. 2 Satz 3 StrVollstrO einer Einigung der obersten Vollzugsbehörden beider Länder. Die erforderliche Einigung regelt die Verlegung aber nur im Verhältnis der beteiligten Länder zueinander. Sie ist selbst noch keine Verlegungsanordnung, sondern bildet lediglich eine bundesstaatlich notwendige und lediglich verwaltungsinterne Voraussetzung für die Anordnung der (einseitig nicht umsetzbaren) länderübergreifenden Verlegung, die im Außenverhältnis zum Strafgefangenen weiterhin nur nach Maßgabe des einschlägigen Landesrechts durch die danach zuständige Behörde angeordnet werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 - 2 ARs 151/18, NStZ-RR 2018, 392).

d) In vorliegender Sache hat die stellvertretene Leiterin der Justizvollzugsanstalt Offenburg die Verlegung (mündlich) angeordnet, indem sie dem Antragsteller in dem Gespräch am 28. Juni 2021 der Sache nach eröffnete, dass er in die Justizvollzugsanstalt Bautzen verlegt werde. In dieser Erklärung liegt die Verlegungsentscheidung der zuständigen Behörde und nicht lediglich die Bekanntgabe einer von einer anderen Behörde getroffenen Verlegungsanordnung.

Auch wenn die stellvertretende Anstaltsleiterin dem Antragsteller mitteilte, das Land Hessen habe beschlossen, ihn in die JVA Bautzen zu verlegen, ändert dies nichts daran, dass sie letztlich in Umsetzung dieser Vorgabe die Verlegungsanordnung selbst gegenüber dem Antragsteller getroffen hat. Das entspricht der Regelung im Vollstreckungsplan Baden-Württembergs unter Ziff. 4.5.1., wonach der Leiter der abgebenden Justizvollzugsanstalt auch über landesübergreifende Verlegungen entscheidet.

3. Örtlich zuständig ist damit nach § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer am Sitz der Justizvollzugsanstalt Offenburg, mithin die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg, die auch nach der zwischenzeitlichen Durchführung der Verlegung bestehen bleibt (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 - 2 ARs 151/18, NStZ-RR 2018, 392).

4. Die damit begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Offenburg ist auch nicht nachträglich durch den Verweisungsbeschluss vom 7. Juli 2021 entfallen. Eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel ist hierdurch nicht begründet worden. Zwar ist ein Beschluss, durch den das Verfahren an eine andere Strafvollstreckungskammer verwiesen wird, entsprechend § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich bindend. Eine Bindungswirkung tritt jedoch nicht ein, wenn die Verweisungsentscheidung willkürlich erscheint, namentlich, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, an welche die Sache verwiesen worden ist, unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt oder die Verweisung sonst inhaltlich grob und offensichtlich fehlerhaft ist (Senat, Beschluss vom 4. September 2018 - 2 ARs 151/18, NStZ-RR 2018, 392).

So liegt es hier. An der verfahrensgegenständlichen Verlegung des Antragstellers waren die Justizvollzugsanstalt Offenburg, die Justizvollzugsanstalt Bautzen und die Justizministerien der Länder Baden-Württemberg und Hessen sowie des Freistaats Sachsen beteiligt. Keine dieser Behörden hat ihren Sitz im Bezirk der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel. Allein der Umstand, dass der Antragsteller früher in der Justizvollzugsanstalt Kassel I inhaftiert und von dort aus Ende 2020 in die Justizvollzugsanstalt Offenburg verlegt worden war, ist offensichtlich nicht geeignet, die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel für die verfahrensgegenständliche Weiterverlegung in die Justizvollzugsanstalt Bautzen zu begründen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 434

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß