hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1011

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 562/21, Urteil v. 06.07.2022, HRRS 2022 Nr. 1011


BGH 2 StR 562/21 - Urteil vom 6. Juli 2022 (LG Darmstadt)

Geldstrafe (Festsetzung der Tagessatzhöhe: Gesamtfreiheitsstrafe); Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; minder schwerer Fall; Schuldumfang: Erörterungsmangel).

§ 40 StGB; § 46 StGB; § 29a BtMG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 7. Mai 2021 aufgehoben

a) im Einzelstrafausspruch zu Fall II.1 der Urteilsgründe;

b) im Fall II.2 der Urteilsgründe, soweit die Festsetzung der Höhe eines Tagessatzes unterblieben ist;

c) im Gesamtstrafausspruch.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) im Einzelstrafausspruch zu Fall II.1 der Urteilsgründe; b) im Gesamtstrafausspruch.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II.1 und II.3 der Urteilsgründe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fall II.2 der Urteilsgründe) zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten sowie die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge die Strafzumessung in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe beanstandet. Die Rechtsmittel haben den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg, im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

Das Landgericht hat - soweit für die Rechtsmittel von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Am 13. Februar 2020 (Fall II.1 der Urteilsgründe) lud der Angeklagte aus seinem BMW i8 vor der Wohnanschrift des anderweitig Verfolgten H. zwei große karierte Kunststofftaschen mit insgesamt mindestens 10 Kilogramm Marihuana mit einem THC-Gehalt von 0,11% in den Kofferraum von dessen Porsche Panamera, den der hinter einem Fenster wartende H. mittels Fernbedienung öffnete. Von dort entnahm H., nachdem sich der Angeklagte entfernt hatte, die beiden Kunststofftaschen und brachte sie in seine Wohnung. Noch am selben Tag kamen Personen zur Wohnung des H., die diese mit gefüllten Tüten verließen, der anderweitig Verfolgte H. verbrachte eine weitere Tüte zu seinem Pkw Smart und fuhr davon. Am 18. Februar 2020 betrat H., von seinem Pkw Smart kommend, mit einer augenscheinlich gefüllten Tragetasche seine Wohnung. Wenig später erschienen dort erneut Personen, die die Wohnung mit gefüllten Tüten verließen, darunter der anderweitig Verfolgte B., der mit einem schwarzen Pkw Mercedes vorfuhr, in dem wenig später 2,98 Kilogramm (netto) Marihuana mit einem THC-Gehalt von 13,3 bis 16,7% sichergestellt werden konnte.

2. Am 7. März 2020 (Fall II.2 der Urteilsgründe) verfügte der Angeklagte in seinem von ihm geführten Audi A8, mit dem er in eine Verkehrskontrolle geraten war, über 89,56 Gramm (netto) Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5,82 Gramm THC, um es gewinnbringend weiterzuverkaufen, sowie Bargeld „in szenetypischer Stückelung“ und mehrere Smartphones.

3. Am 1. Dezember 2020 (Fall II.3 der Urteilsgründe) brachte der Angeklagte aus einem von ihm zuvor gemieteten und auf einem Großparkplatz abgestellten Mercedes Sprinter insgesamt drei große karierte Taschen mit insgesamt 29.978,55 Gramm (netto) Cannabis-Blüten in ein von ihm ebenfalls gemietetes Fahrzeug und fuhr damit auf einen anderen Parkplatz in D., wo er festgenommen und die Cannabis-Blüten sichergestellt wurden. In dem Mercedes Sprinter wurden insgesamt 77,76 Kilogramm Cannabis-Blüten sichergestellt, weitere 994,3 Gramm (netto) in dem vom Angeklagten bewohnten Einfamilienhaus. Die Blüten enthielten einen THC-Gehalt zwischen 0,11 und 0,72%, mithin einen Gesamtwirkstoffgehalt von 142,1 Gramm. „Bei circa 107 Kilogramm der sichergestellten Cannabis-Blüten handelte es sich um eine seltene Cannabis-Sonderzüchtung mit einem hohen Cannabigerol-Gehalt (DBG) mit einem Verkehrswert von 9 bis 12 € je Gramm, mithin einem Gesamtwert von mindestens 900.000 €. Etwa drei Kilogramm dieser Cannabis-Blüten enthielten neben THC auch CBD und sind vom selben Verkaufswert. (…) Der Angeklagte beabsichtigte die Betäubungsmittel, die sich auch entsprechend vermarkten lassen, gewinnbringend weiterzuverkaufen“.

4. Die Strafkammer hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte in allen drei Fällen durch den Drogenhandel seinen gehobenen Lebensstandard finanzieren wollte. Seine Einlassung, die Betäubungsmittel in Fall II.3 der Urteilsgründe sei für Leute bestimmt, die diese auch aus medizinischen Gründen zum Eigenkonsum hätten erwerben wollen, sei nicht zu widerlegen gewesen; Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Weitergabe zum Besprühen mit neuen psychoaktiven Substanzen bestünden nicht. Art und Qualität der in Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe sichergestellten Rauschmittel ergebe sich aus einem Gutachten des Hessischen Landeskriminalamtes. Hinsichtlich Fall II.1 der Urteilsgründe habe die Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten die Menge und den THC-Gehalt des gelieferten Marihuanas geschätzt, wobei sie maßgeblich auf die Wirkstoffmengen der im Fall II.3 der Urteilsgründe sichergestellten Cannabis-Blüten „im Hinblick auf die identische Verpackung, auffällige bis zum oberen Rand gefüllte große karierte Tragetaschen, jede mit etwa 10 Kilogramm Cannabisblüten gefüllt“ abgestellt hat. Für eine größere Menge mit einem höheren Wirkstoffgehalt hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Insbesondere könne aus dem fünf Tage später beim anderweitig Verfolgten B. sichergestellten Marihuana nicht darauf geschlossen werden, der Angeklagte habe mit diesem vergleichbares Marihuana geliefert, zumal der anderweitig Verfolgte H. zwischenzeitlich das Haus unbemerkt über einen Hintereingang hätte verlassen können und tatsächlich am 18. Februar 2020 „mit einer gefüllten großen Tragetasche offensichtlich mit Rauschgift befüllt in seine Wohnung“ zurückgekehrt sei.

II.

Zur Revision des Angeklagten:

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum dem Fall II.3 der Urteilsgründe betreffenden Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Dem Grunde nach unterliegen alle cannabishaltigen Produkte der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, auf den Wirkstoffgehalt kommt es nicht an (Prinzip der „Positivliste“; BGH, Urteil vom 24. März 2021 - 6 StR 240/20 Rn. 21 mwN). Dass die vom Angeklagten in den Verkehr gebrachten Cannabis-Blüten, soweit ihr Gehalt an Tetrahydrocannabinol 0,2% nicht überstieg, ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken gedient haben könnten, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen, ist auch nach der Einlassung des Angeklagten - Verkauf an Endabnehmer zum Eigenkonsum - auszuschließen.

3. Indes hält der Strafausspruch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

a) Zu Fall II.2 der Urteilsgründe hat die Strafkammer hinsichtlich der verhängten Einzelgeldstrafen die Festsetzung der Tagessatzhöhe unterlassen. Dieser bedarf es aber auch dann, wenn - wie hier - aus der Einzelgeldstrafe und Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 - 4 StR 504/20).

b) Im Fall II.1 der Urteilsgründe hat die Strafkammer dem Angeklagten strafschärfend angelastet, dass die an den anderweitig Verfolgten H. gelieferten „Drogen komplett in den Umlauf gelangten“. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes des § 29a Abs. 1 BtMG berücksichtigt und dadurch gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hat. Dass Betäubungsmittel in nicht geringem Umfang in den Handel gelangen, ist dem Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG immanent.

c) Die deswegen gebotene Aufhebung des Strafausspruchs in Fall II.1 der Urteilsgründe entzieht zugleich dem Gesamtstrafausspruch die Grundlage. Die auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und haben Bestand.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe beschränkt. Das Rechtsmittel hat teilweise, nämlich zu Fall II.1 der Urteilsgründe, Erfolg.

1. Der Einzelstrafausspruch zu Fall II.3 der Urteilsgründe begegnet entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht zu besorgen, die Strafkammer könnte die große Menge der gehandelten Cannabis-Blüten nicht mit bestimmendem Gewicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt haben. Vielmehr hat die Strafkammer „im Hinblick auf die Art und die Menge des in Rede stehenden Rauschgifts“ das Vorliegen eines minderschweren Falles im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG verneint und bei der konkreten Strafbemessung lediglich dem CBG- und CBD-Gehalt „trotz der großen Menge und des hohen Verkaufswertes der Betäubungsmittel“ keine gesonderte Straferschwernis beigemessen.

2. Demgegenüber kann die Einzelstrafe zu Fall II.1 der Urteilsgründe keinen Bestand haben. Insoweit lassen die Urteilsgründe besorgen, dass die Strafkammer bei der Strafrahmenwahl und der Einzelstrafbemessung von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen ist. Die Annahme, es habe sich um Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von (mindestens) 0,11% gehandelt, leidet an einem durchgreifenden Erörterungsmangel.

Der von der Strafkammer gezogene Schluss aus der in den Fällen II.1 und II.3 verwendeten „identischen Verpackung“ trägt schon für sich genommen nicht. Bei den verwendeten karierten Tragetaschen handelt es sich ausweislich der Urteilsgründe um solche, die aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt sind und bei Einbruchsdiebstählen und Betäubungsmitteltransporten Verwendung finden. Darüber nimmt die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick, dass es sich bei den in Fall II.3 der Urteilsgründe gehandelten Cannabis-Blüten, deren Wirkstoffgehalt die Strafkammer für die Schätzung des Wirkstoffgehalts in Fall II.1 der Urteilsgründe zugrunde gelegt hat, um eine seltene Sonderzüchtung handelt, für die - worauf der Angeklagte selbst hingewiesen hat - (nur) ein „spezieller Markt“ besteht. Anhaltspunkte dafür, dass der vom Angeklagten in Fall II.1 der Urteilsgründe ein dreiviertel Jahr zuvor belieferte H. Teil dieses „speziellen Marktes“ sein könnte, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Vielmehr ist nach den getroffenen Feststellungen, die auf einer Observation des Verkaufsgeschehens aus der Wohnung des anderweitig Verfolgten H. beruhen, davon auszugehen, dass dieser jedenfalls üblicherweise „normales“ Marihuana guter Qualität veräußerte, so wie er es auch an den gesondert Verfolgten B. getan hat, bei dem entsprechende Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Warum es sich bei den vom Angeklagten gelieferten Betäubungsmitteln ausnahmsweise um etwas Anderes gehandelt haben könnte, lassen die Urteilsgründe ebenso unerörtert wie den Umstand, dass beim Angeklagten in Fall II.2 der Urteilsgründe immerhin knapp 90 Gramm (netto) Marihuana mit einem höherem Wirkstoffgehalt aufgefunden wurden.

3. Die Aufhebung der Einzelstrafe in Fall II.1 zieht die Aufhebung auch des Gesamtstrafausspruchs nach sich.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1011

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede