HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 744
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 485/21, Urteil v. 25.05.2022, HRRS 2022 Nr. 744
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 25. Juni 2021 werden verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen der Staatskasse zur Last.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen beanstanden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft die Verurteilung wegen Vergewaltigung. Die Revision des Angeklagten und die ausschließlich zu dessen Gunsten eingelegte - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte mit der später Geschädigten M. -R. seit Juni 2018 eine Paarbeziehung, die zunächst positiv verlief. Nach ca. zehn Monaten kam es wegen der grundlosen Eifersucht des Angeklagten zu zunächst verbalen Streitigkeiten, die am 1. Januar 2020 in einen ersten körperlichen Übergriff mündeten, bei dem der Angeklagte der Geschädigten dreimal mit der Faust ins Gesicht schlug und ihr den Arm verdrehte. Am 13. August 2020 kam es zu einem weiteren körperlichen Übergriff, bei dem der Angeklagte der Geschädigten erneut ins Gesicht schlug und in deren Schlafzimmer urinierte. Zwei Wochen später trat der Angeklagte mehrfach auf die Geschädigte ein, beleidigte sie als Hure und drohte sie umzubringen. Auch diesen Übergriff nahm die Geschädigte nicht zum Anlass, die Beziehung zu beenden.
Am Abend des 22. Januar 2021 gegen 23.30 Uhr traf der Angeklagte alkoholisiert in der Wohnung der Geschädigten ein, um mit dieser in ihren 30. Geburtstag hineinzufeiern. Alsbald kam es zum Streit, weil der Angeklagte der Geschädigten vorwarf, vor seiner Ankunft einen Liebhaber in der Wohnung empfangen zu haben. Während der über mehrere Stunden währenden Streitigkeiten tranken beide zusammen eine kleine Flasche Wein á 0,25 l und rauchten Joints. Gegen 3.35 Uhr wollte die Geschädigte zu Bett gehen, während der Angeklagte Geschlechtsverkehr mit ihr haben wollte. Sinngemäß äußerte er, sie dürfe nicht zu Bett gehen, sie sei eine Hure und müsse mit ihm schlafen. Die Geschädigte erklärte unter Tränen, keinen Geschlechtsverkehr zu wollen, er solle aufhören. Daraufhin entwickelte sich ein Kampfgeschehen, dessen Reihenfolge im Einzelnen nicht feststellbar war. Die Geschädigte kratzte den Angeklagten massiv an der hinteren Schulter, im Gesicht, an den Armen sowie der Rückseite der Oberschenkel und riss ihm zwei seiner Dreadlocks aus. Der Angeklagte schlug ihr unter anderem mit der Faust ins Gesicht, drückte ihr seine Finger in die Augen und kratzte sie im Stirnbereich bis diese schließlich die Gegenwehr aufgab und den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr über sich ergehen ließ.
Am nächsten Tag erstattete die Geschädigte auf Drängen ihrer Mutter, der sie zunächst nur von den Körperverletzungshandlungen berichtet hatte, Strafanzeige. Auf der Polizeistation T. zeigte sie dann auch den erzwungenen Geschlechtsverkehr an, woraufhin in der Uniklinik B. eine gynäkologische Untersuchung erfolgte, bei der auch DNA-Spuren des Angeklagten gesichert wurden. Auch gegenüber der behandelnden Ärztin machte die Geschädigte - ebenso wie anschließend gegenüber den Kriminalbeamten des Polizeipräsidiums S. - Angaben zu dem erzwungenen Geschlechtsverkehr.
2. In der Hauptverhandlung hat die Geschädigte lediglich bekundet, nach einer körperlichen Auseinandersetzung und einer anschließenden Versöhnung sei der Geschlechtsverkehr freiwillig erfolgt. Im Übrigen hat sie von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Angeklagte hat sich eingelassen, an das eigentliche Tatgeschehen rauschbedingt keine Erinnerung mehr zu haben. Das Landgericht hat sich gleichwohl von einem stattgefundenen erzwungenen Geschlechtsverkehr überzeugt. Es ist davon ausgegangen, die Geschädigte habe in der Hauptverhandlung falsch ausgesagt, um den Angeklagten vor Strafverfolgung zu schützen.
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sind unbegründet. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die von beiden Revisionsführern beanstandete Beweiswürdigung frei von Rechtsfehlern.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem Vergewaltigungsgeschehen gewonnen aufgrund der Vernehmungen der Mutter der Geschädigten, der behandelnden Ärztin und der polizeilichen Vernehmungsbeamten, denen gegenüber die Geschädigte unmittelbar nach der Tat konstant detailreiche Angaben zu dem erzwungenen Geschlechtsverkehr gemacht hatte. Die Aussagen der Geschädigten im Vorfeld der Hauptverhandlung wurden zudem bestätigt durch die objektive Spurenlage. So ließen sich die kräftigen Kratzspuren an der Hinterseite des Oberschenkels des Angeklagten nur damit erklären, dass dieser sich bereits entkleidet hatte, die Geschädigte sich also nicht nur im Vorfeld, sondern auch während der sexuellen Annäherung gewehrt hat. Darüberhinaus bestätige ein Brief der Geschädigten vom 23. März 2021 an den in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten die Annahme, die Geschädigte sei in der Hauptverhandlung „schlicht umgefallen“, um sich selbst die Chance auf eine baldige gemeinsame Zukunft zu bewahren.
In dem Brief heißt es:
„Wegen der Anzeige: Ich habe nur die Körperverletzung angezeigt. Ich hatte alles erzählt was passiert ist der Polizei. Und die Anzeige wegen Vergewaltigung ist von denen. Das nennt man Anzeige in Öffentlichen interesse. Das kann ich also nicht zurück nehmen. Ich müsste sagen das das nicht passiert ist. Ist es aber Dian und sonst würde ich Probleme kriegen.
Das beste ist die Wahrheit zu sagen auch das das Passiert ist weil du/wir Drogen und Alkohol konsumiert haben. Ich will dich bei mir haben. Aber mit Ehrlichkeit. Und ein neu Anfang ohne Alkohol und Drogen. Jetzt haben wir diese Chance.
Ich liebe dich.“
2. Warum die - nicht nur mögliche, sondern sogar naheliegende - Beweiswürdigung des Landgerichts willkürlich oder lückenhaft sein soll, erschließt sich aus den Revisionsbegründungen nicht.
Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, inwiefern der von der Revision angeführte Umstand, dass die 30-jährige Geschädigte im Alter von 14 oder 15 Jahren schon einmal vergewaltigt worden war, die Gefahr von unbewussten Falschzuordnungen begründen sollte.
Ebensowenig war das Landgericht bei den hier getroffenen Feststellungen gehalten, nähere Ausführungen dazu zu machen, ob für den Angeklagten ein „etwaig entgegenstehender Wille“ der Geschädigten erkennbar war.
Auch im Übrigen sind - wie vom Generalbundesawalt im Einzelnen ausgeführt - Lücken oder Fehler in der tatrichterlichen Würdigung nicht ersichtlich.
3. Die Strafzumessungserwägungen sind rechtsfehlerfrei.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 744
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß