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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 303

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 438/21, Beschluss v. 27.10.2022, HRRS 2023 Nr. 303


BGH 2 StR 438/21 - Beschluss vom 27. Oktober 2022 (LG Erfurt)

Strafzumessung (Strafrahmenwahl; Geständnis; Doppelverwertungsverbot).

§ 46 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12. Mai 2021 im Strafausspruch hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Geschädigten P. sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweiligen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tatmehrheit mit sexuellem Übergriff in zwei Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

1. Der gesamte Schuldspruch wie auch die Strafaussprüche hinsichtlich des Besitzes kinderpornografischer Schriften sowie der zum Nachteil des Geschädigten S. begangenen Straftaten halten rechtlicher Nachprüfung stand. Hingegen begegnet der Einzelstrafausspruch zum schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zum Nachteil von P. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat im Rahmen der Strafrahmenwahl sowie bei der konkreten Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten das Geständnis des Angeklagten berücksichtigt, durch das er dem Geschädigten eine umfangreiche Aussage vor der Strafkammer erspart habe. Den Wert des Geständnisses hat es erkennbar dadurch als eingeschränkt gewichtet, dass „im vorliegenden Fall - anders als in den regelmäßig vorkommenden Fällen - hinsichtlich des Geschädigten P. keine reine Aussagegegen-Aussage-Konstellation vorliegt, sondern objektive Beweismittel in Form der an der Eichel des Angeklagten nachgewiesenen DNA des Geschädigten P. vorhanden sind“.

Diese Einschränkung des Gewichts des vom Angeklagten abgegebenen Geständnisses erweist sich vorliegend als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht reduziert damit den Wert eines Geständnisses auf seine Bedeutung als Beitrag zur Sachaufklärung und Verfahrenskürzung (vgl. BGHSt 43, 195, 209) sowie zur Abwendung von Nachteilen für das Tatopfer durch Vermeidung einer Aussage vor Gericht (vgl. dazu Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46, Rn. 41b mwN). Maßgeblich für die Bedeutung eines Geständnisses aber ist es, inwieweit darin ein Bekenntnis des Angeklagten zu seiner Tat liegt, in ihm Schuldeinsicht und Reue zum Ausdruck kommen und durch seine Ablegung das Prozessziel der Erreichung von Rechtsfrieden gefördert wird (vgl. BGH NStZ-RR 2017, 105, 106). Aus diesem Grund hätte das Landgericht an dieser Stelle für den Wert des Geständnisses in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung erklärte, ihm tue das Geschehene leid, ihm sei durch die Aussagen der Eltern des Geschädigten bewusst geworden, wie schwer er ihrem Sohn geschadet habe und er wolle sich hierfür bei den Eltern entschuldigen. Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass in einer solchen Äußerung ein eigenständiger Beitrag zur Herstellung von Rechtsfrieden liegen kann, der einhergeht mit Reue und Schuldeinsicht und der dem Geständnis des Angeklagten eine über den vom Landgericht angenommenen Wert hinausgehende Bedeutung verleiht. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die an anderer Stelle zu findende Erwägung als bedenklich, er habe für die Strafkammer durch die erneute einschlägige strafbare Handlung gezeigt, dass „der Verurteilte besonders unbelehrbar und ignorant die geltende Rechtsordnung missachtet“. Mag dies für den Tatzeitpunkt trotz mehr als zehn Jahre zurückliegender Vorverurteilung noch angenommen werden können, wäre immerhin auch an dieser Stelle das Bedauern des Angeklagten über seine Tat und die Entschuldigung in der Hauptverhandlung in den Blick zu nehmen gewesen.

b) Der Strafausspruch beruht auf diesem Rechtsfehler. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ordnungsgemäßer Würdigung des Prozessverhaltens des Angeklagten zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

c) Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs entzieht der Gesamtstrafe ihre Grundlage.

2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die im Rahmen der Gesamtstrafenbildung getroffene Feststellung, der Angeklagte stelle seine eigenen sexuellen Interessen über die Interessen der Geschädigten und setze sich über deren Interessen rücksichtslos hinweg, nicht unbedenklich ist (§ 46 Abs. 3 StGB), ebenso auch die Erwägung, eine Veränderungsmotivation mit einem entsprechenden Leidensdruck ob seiner begangenen erheblichen Straftaten habe die Kammer im Zuge der Hauptverhandlung nicht erkennen können, weswegen die Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe erforderlich sei, um angemessen auf das Unrecht zu reagieren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2022 - 5 StR 110/22, BeckRS 2022, 23173).

Im Übrigen wird der neue Tatrichter im Hinblick auf die Dauer des Revisionsverfahrens eine Kompensationsentscheidung wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in den Blick zu nehmen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 303

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede