hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 109

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 171/21, Beschluss v. 30.09.2021, HRRS 2022 Nr. 109


BGH 2 StR 171/21 - Beschluss vom 30. September 2021 (LG Erfurt)

Konkurrenzen (Täterschaft und Teilnahme; Beihilfe: Tateinheit, Tatmehrheit, Anzahl der Beihilfehandlungen, Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten, Identität der objektiven Ausführungshandlungen); rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung; Gesamtwürdigung des Einzelfalls); Einziehung (Ermessensentscheidung).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB; § 74 StGB; Art. 20 Abs. 2 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar erfordert das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ebenso wie das Gebot aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine Erledigung des Strafverfahrens in einer angemessenen Zeitspanne. Gleichwohl führt nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots im Sinne einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Eine solche liegt vielmehr erst bei einer von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden erheblichen Verzögerung vor. Ob eine derartige Verzögerung vorliegt, bemisst sich nach einer auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls bezogenen Gesamtwürdigung.

2. Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Tatbeteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden.

3. Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Tatmehrheit ist danach anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden. Dagegen liegt nur eine einzige Beihilfe vor, wenn der Gehilfe mit nur einer Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines Anderen Hilfe leistet. Handlungseinheit liegt ferner vor, wenn sich mehrere Unterstützungshandlungen auf dieselbe Haupttat beziehen.

4. Für die Annahme von Tateinheit ist auch die teilweise Identität der objektiven Ausführungshandlungen ausreichend. Fördert eine von mehreren Beihilfehandlungen gleichzeitig zwei Haupttaten in deren Ausführungsstadium, so werden diese sowie die übrigen sich auf diese beiden Haupttaten beziehende Beihilfehandlungen zur Handlungseinheit verknüpft.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 29. Januar 2020,

a) soweit es den Angeklagten M. K. betrifft,

aa) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen schuldig ist,

bb) im Ausspruch über die Einziehung des PKW Mercedes Benz CLK 200 aufgehoben; insoweit wird von einer Einziehungsentscheidung abgesehen,

b) soweit es den Angeklagten A. K. betrifft, im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen schuldig ist.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

3. Es wird davon abgesehen, den Beschwerdeführern die Kosten ihrer Rechtsmittel aufzuerlegen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Beihilfe zum „gewerbsmäßigen Betrug“ in sieben Fällen für schuldig befunden, die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.000 € sowie eines näher bezeichneten PKW Mercedes Benz CLK 200 angeordnet. Den Angeklagten A. K. hat es wegen Beihilfe zum „gewerbsmäßigen Betrug“ in zwei Fällen schuldig gesprochen, die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt und den Wert von Taterträgen in Höhe von 1.000 € eingezogen. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts war der nichtrevidierende Mitangeklagte Mo. von einem Hintermann namens Mu. angeworben worden, nach dessen Vorgaben „Etwas“ an unterschiedlichen Orten in Deutschland abzuholen, um dieses einer dritten Person zu übergeben. Bei dem abzuholenden „Etwas“ handelte es sich um Bargeld oder Wertgegenstände von Opfern des sogenannten „Polizei-Tricks“. Hierbei werden die Opfer telefonisch unter Vorspiegelung eines „Polizeieinsatzes“ veranlasst, Bargeld und Wertgegenstände zur angeblichen Sicherung durch die „Polizei“ an einem von den Tätern bestimmten Ort zur Abholung bereitzulegen.

Da Mo. nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, wandte er sich an den Angeklagten A. K., der allerdings ebenfalls keine Fahrerlaubnis besaß und deshalb seinen Cousin, den Angeklagten M. K., als Fahrer gewann. Aufgabe von M. K. war es in den Fällen II.1 bis II.6 der Urteilsgründe, Mo. mit einem angemieteten Fahrzeug zu dem von dem Hintermann mitgeteilten Abholort und später mit der Beute zurück in die von Mo. angemietete Ferienwohnung in E. zu fahren, wo A. K. währenddessen wartete. Im Fall II.7 der Urteilsgründe fuhr M. K. sowohl Mo. als auch A. K. mit seinem eigenen Fahrzeug, dem eingezogenen Mercedes Benz CLK 200, zum Abholort, wo letzterer eine vom Geschädigten abgelegte Tüte mit Bargeld und Wertsachen an sich nahm und diese Mo. übergab. Für ihre gesamte Tatbeteiligung erhielten M. K. 4.000 € und A. K. 1.000 € von Mo., der seinerseits von dem Hintermann entlohnt wurde.

Das Landgericht hat sieben Betrugstaten zum Nachteil verschiedener Geschädigter festgestellt, wobei es aufgrund einer durchgehenden Täuschung durch die Hintermänner auch bei mehrfachen Abholungen bei einem Geschädigten von einer Tat durch die Haupttäter ausgegangen ist.

2. Während das Landgericht für die einzelnen Taten in den Fällen II.1, II.2 sowie II.5 bis II.7 der Urteilsgründe jeweils unterschiedliche Tatorte und Tatzeiten festgestellt hat, hat es zu den Fällen II.3 und II.4 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Nach mehreren angeblichen „Polizeianrufen“ wurde das Ehepaar B. am Vormittag des 28. Januar 2019 in dem Glauben an einen „Polizeieinsatz“ veranlasst, 26.000 € auf den Vorderreifen eines VW Caddy in der P. straße in E. zu legen. Gemäß dem Auftrag des Hintermannes Mu. holte Mo., gefahren von M. K., das Geld dort ab. Nachdem beide zunächst in die Ferienwohnung zurückgekehrt waren, fuhren sie gemeinsam mit A. K. nach B., um dieses Geld sowie die bei den beiden vorangegangenen Taten erlangte Beute an eine von Mu. benannte dritte Person zu übergeben. Anschließend kehrten alle drei in die Ferienwohnung zurück.

Gegen 20 Uhr des gleichen Tages veranlassten die Hintermänner den 78-jährigen Zeugen Dr. S. dazu, im Glauben an einen „Polizeieinsatz“ eine größere Menge Bargeld und Gold in einem großen Beutel in eine Papiertonne im Innenhof seiner Wohnanlage in der W. - -Straße in E. zu legen. Nach entsprechender Information durch den Hintermann ließ sich Mo. von M. K. ? alle drei Angeklagte waren inzwischen aus B. zurückgekehrt ? zu der Wohnanlage fahren, entnahm den Beutel der Papiertonne und ging zurück zum Auto, in dem M. K. wartete. Dort wurde Mo. von dem Hintermann Mu. angewiesen, einige Zeit vor Ort zu bleiben, da er einen weiteren Beutel aus derselben Papiertonne holen sollte.

Währenddessen erhielt Dr. S. von den Hintermännern die „Anweisung“, zur Adresse der ihm unbekannten Familie B. zu fahren, wo ihm an der Haustür der Zeuge B. ebenfalls auf „Anweisung“ der Hintermänner und im Glauben an einen andauernden „Polizeieinsatz“, einen Plastikbeutel mit 15.000 € Bargeld übergab. Dr. S. deponierte den Beutel weisungsgemäß und völlig arglos wiederum in besagter Papiertonne seiner Wohnanlage, wo dieser kurz darauf von Mo. abgeholt wurde, während M. K. weiterhin im Auto wartete. Danach fuhren Mo. und M. K. zurück in die Ferienwohnung, wo A. K. auf sie wartete.

Am nächsten Morgen veranlassten die Hintermänner als angebliche „Polizeibeamte“ Dr. S., weitere 30.000 € bei einem Finanzinstitut abzuholen und in die Papiertonne in der W. - -Straße zu legen. Mo. ließ sich auf „Anweisung“ des Hintermannes erneut von M. K. zu der Wohnadresse fahren, wo er den Beutel der Papiertonne entnahm, während M. K. wiederum im Fahrzeug wartete.

b) Die Strafkammer hat dieses Tatgeschehen sowohl bei Mo. als auch bei M. K. als Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen gewertet.

II.

Die Revision des Angeklagten M. K. ist teilweise begründet. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. K. führt lediglich zu einer Klarstellung des Schuldspruchs.

1. Zur Revision des Angeklagten M. K. :

a) Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.

aa) Während die rechtliche Bewertung als Tatmehrheit in den Fällen II.1, II.2 und II.5 bis II.7 der Urteilsgründe keinen Bedenken begegnet, erweist sich diese für die Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe als rechtsfehlerhaft.

(1) Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Tatbeteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Tatmehrheit ist danach anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden. Dagegen liegt nur eine einzige Beihilfe vor, wenn der Gehilfe mit nur einer Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines Anderen Hilfe leistet. Handlungseinheit liegt ferner vor, wenn sich mehrere Unterstützungshandlungen auf dieselbe Haupttat beziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2018 ? 2 StR 31/18, StV 2020, 847; BGH, Beschluss vom 17. März 2018 ? 4 StR 75/17, juris Rn. 3).

Darüber hinaus ist zu beachten, dass für die Annahme von Tateinheit auch die teilweise Identität der objektiven Ausführungshandlungen ausreichend ist (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Mai 2018 ? 2 StR 417/17, juris Rn. 4 mwN; BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2018 ? 1 StR 535/17, NStZ 2019, 154, 155; vom 25. November 1997 ? 5 StR 526/96, BGHSt 43, 317, 319; LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., § 52 Rn. 21). Fördert eine von mehreren Beihilfehandlungen gleichzeitig zwei Haupttaten in deren Ausführungsstadium, so werden diese sowie die übrigen sich auf diese beiden Haupttaten beziehende Beihilfehandlungen zur Handlungseinheit verknüpft. Insofern unterscheidet sich diese Fallkonstellation von derjenigen, bei der ein Gehilfe neben jeweils eigenständigen Beihilfehandlungen im Ausführungsstadium mehrerer Haupttaten zusätzlich eine tatübergreifende, alle Taten umfassende Mitwirkung im Vorbereitungsstadium erbringt; letztere vermag seine individuellen Tatbeiträge nicht zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zu verbinden (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 5. September 2018 - 2 StR 31/18, aaO; BGH, Beschluss vom 22. September 2008 ? 1 StR 323/08, NJW 2009, 690).

(2) Hieran gemessen hat M. K. durch eine einzige Beihilfehandlung am Abend des 28. Januar 2019 ? Fahrdienst für Mo. zum Abholort an der Wohnanlage in der W. - -Straße in E. ? sowohl den Betrug zum Nachteil der Eheleute B. als auch denjenigen zum Nachteil des Dr. S. unterstützt. In diesem Teilakt vom 28. Januar 2019 gegen 20.00 Uhr überschneiden sich die zwischen dem Vormittag des 28. Januar 2019 und dem Mittag des 29. Januar 2019 erbrachten Beihilfehandlungen des M. K. zu diesen beiden Haupttaten. Er hat durch seinen Hin- und Rückfahrdienst für Mo. und damit durch eine Unterstützungshandlung, anders als der Angeklagte Mo., dessen Tatbeitrag darin bestand, zweimal Geld aus der Papiertonne zu holen, gleichzeitig die beiden Haupttaten der Hintermänner zum Nachteil der Eheleute B. bzw. des Geschädigten Dr. S. gefördert. Durch diesen einheitlichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium werden die Unterstützungshandlungen zu beiden Haupttaten zur Handlungseinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft.

(3) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend, wobei er nach § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO davon abgesehen hat, die gleichartige Idealkonkurrenz in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus hat er klarstellend den Schuldspruch berichtigt, weil das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit nicht in der Urteilsformel aufgenommen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2006 - 3 StR 91/06, NStZ 2007, 102, 103; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 260 Rn. 25). § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der zu diesen Taten umfassend geständige Angeklagte nicht hätte wirksamer als geschehen verteidigen können.

b) Der Strafausspruch wird durch die (das Konkurrenzverhältnis betreffende) Schuldspruchänderung nicht berührt, da sich der Unrechtsgehalt der Tat und das Ausmaß der bei dem Angeklagten M. K. hervorgetretenen schädlichen Neigungen, die das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, nicht geändert haben.

c) Hingegen hält die Einziehungsentscheidung rechtlicher Prüfung nur insoweit stand, als die Strafkammer in Höhe des Tatlohnes des Angeklagten von 4.000 € die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet hat. Der Senat hat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung des jugendgerichtlichen Verfahrens von einer Einziehung des für den Abtransport der Beute im Fall II.7 der Urteilsgründe genutzten Fahrzeugs abgesehen; es ist nicht erkennbar, dass das Landgericht eine Ermessensentscheidung nach § 74 Abs. 1 StGB unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2020 ? 2 StR 44/20, juris Rn. 11 mwN).

d) Der Senat hat ? entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts ? keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung durch das Tatgericht nach Urteilserlass festgestellt.

aa) Zwar erfordert das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ebenso wie das Gebot aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine Erledigung des Strafverfahrens in einer angemessenen Zeitspanne. Gleichwohl führt nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots im Sinne einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Eine solche liegt vielmehr erst bei einer von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden erheblichen Verzögerung vor. Ob eine derartige Verzögerung vorliegt, bemisst sich nach einer auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls bezogenen Gesamtwürdigung (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Juni 2019 - 497/17 (Chirello/Deutschland), NJW 2020, 1047, 1048; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2012 ? 2 BvR 2819/11, juris Rn. 4 mwN; BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 ? 1 StR 531/12, BGHR EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 43).

bb) Hieran gemessen genügt die Verfahrensweise des Tatgerichts ab dem 25. Mai 2020 (Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft an die Verteidiger) bis zum Eingang der Akten beim Generalbundesanwalt am 15. April 2021 zwar nicht der in jugendgerichtlichen Verfahren gebotenen besonderen Beschleunigung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. September 2021 - 4 StR 308/21, juris Rn. 3; vom 3. Dezember 2002 - 3 StR 417/02, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15; Eisenberg/Kölbel, JGG, 22. Aufl., Einl. Rn. 43). Jedoch hat die eingetretene Verzögerung unter Berücksichtigung der Belastung für den Angeklagten noch kein solches Gewicht, dass die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung geboten wäre. Insbesondere erweist sich die - vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift unerwähnt gelassene - knapp drei Monate währende Abstimmung zwischen der Generalstaatsanwaltschaft und der zunächst ebenfalls beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft in Erfurt über die Durchführung von deren Revisionen zu Ungunsten aller drei Angeklagten und ihrer anschließenden Rücknahme als sachdienlich. Durch die Rücknahme der staatsanwaltschaftlichen Revisionen entfiel hier die Notwendigkeit einer Revisionshauptverhandlung, wodurch das Verfahren in seiner Gesamtheit erheblich verkürzt wurde. Auch im Übrigen ist das Verfahren über den gesamten Zeitraum vom Landgericht bzw. der Staatsanwaltschaft noch in genügender Weise betrieben worden. Zwar hat das Landgericht nach seinem Beschluss über die unzulässige Revision des Mitangeklagten Mo. im August 2020 über dessen anschließende Haftbeschwerde im September 2020 nicht unter Einsatz von Aktendoppeln verhandelt und entschieden (vgl. hierzu Nr. 167 RiStBV). Zudem hat die vor der Aktenweiterleitung erfolgte Anfrage der Staatsanwaltschaft in Erfurt an die Verteidiger, ob deren Rechtsmittel nach der Rücknahme der staatsanwaltschaftlichen Revision durchgeführt werden solle, das Verfahren weitere sechs Wochen verlängert. Insgesamt erreicht die eingetretene Verzögerung aber - auch unter Berücksichtigung des dargestellten Gesamtzeitraumes des gegen Heranwachsende gerichteten Verfahrens - hier noch kein solches Maß, dass die Feststellung von deren Rechtsstaatswidrigkeit geboten wäre.

cc) Dass der Generalbundesanwalt die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für erforderlich hält, hindert die Beschlussverwerfung nicht, weil Schuld- und Strafausspruch hierdurch nicht berührt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. September 2008 ? 2 StR 326/08, NStZ-RR 2008, 384 mwN).

2. Zur Revision des Angeklagten A. K. :

a) Der Senat hat auch hier die Entscheidungsformel klargestellt, weil - wie darlegt - Regelbeispiele nicht in der Urteilsformel aufgenommen werden. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

b) Aus den oben dargestellten Erwägungen war auch bei diesem Angeklagten die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung noch nicht geboten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 109

Externe Fundstellen: StV 2022, 387

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß