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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 488

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 150/21, Beschluss v. 01.03.2022, HRRS 2022 Nr. 488


BGH 2 StR 150/21 - Beschluss vom 1. März 2022 (LG Wiesbaden)

Teileinstellung bei mehreren Taten (sexueller Missbrauch von Kindern).

§ 154 Abs. 2 StGB; § 176 StGB a.F.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. Dezember 2020

a) wird das Urteil aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 1 bis 4, 8 und 29 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) wird das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte - der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, - des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb, - der sexuellen Nötigung in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, und - des sexuellen Missbrauchs von Kindern in siebzehn Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in weiteren sechs Fällen, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in dreiundzwanzig Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.

1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren hinsichtlich sechs Einzelfällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein (Fälle 1 bis 4, 8 und 29 der Urteilsgründe).

a) Die Feststellungen des Landgerichts lassen keine abschließende Bewertung zu, ob die sexuellen Handlungen des Angeklagten in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe durch flüchtige Berührung des Geschädigten am Penis (Fall 1) beziehungsweise durch Berührung am Gesäß (Fall 2), jeweils über der Bekleidung, von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB waren.

b) In den Fällen 3, 4 und 8 der Urteilsgründe ist das Landgericht jeweils von einem Einwirken des Angeklagten auf ein Kind durch Reden im Sinne von § 176 Abs. 4 Var. 4 StGB a.F. (jetzt § 176a Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StGB n.F.) ausgegangen, obwohl der Angeklagte „nur mit jeweils einem Satz und somit nicht dauerhaft auf die Kinder einwirkte“. Ob dies durch andere Umstände aufgewertet wird, so dass dadurch die Bagatelluntergrenze zur Tatbestandserfüllung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB überschritten wird, ist fraglich.

c) Im Fall 29 der Urteilsgründe hat das Landgericht der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs die vom 1. April 2004 bis zum 4. November 2008 geltende Fassung des § 176 StGB zugrunde gelegt; bei der festgestellten Tatzeit „im Zeitraum zwischen 2003 und 2004“ hätte das Landgericht im Zweifel die vom 1. Januar 1999 bis zum 31. März 2004 geltende Gesetzesfassung zugrunde legen müssen. Danach hätte es auch zu prüfen gehabt, ob ein in der damaligen Gesetzesfassung noch vorgesehener minder schwerer Fall vorliegt.

2. a) Die Teileinstellung des Verfahrens führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall der Einzelstrafen in den genannten Fällen.

b) Der Senat schließt angesichts der verbleibenden Einzelstrafen aus, dass das Landgericht ohne die entfallenen Einzelfreiheitsstrafen von vier Monaten (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe) beziehungsweise sechs Monaten (Fälle 1, 2, 8 und 29 der Urteilsgründe), die im Sinne des § 154 StPO, insbesondere neben den deutlich höheren Einzelstrafen wegen einer Reihe von Verbrechen, nicht beträchtlich ins Gewicht fallen, auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte (§ 354 Abs. 1 analog StPO).

c) Der Maßregelausspruch bleibt von der Teileinstellung ebenfalls unberüht.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 488

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß