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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1108

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 27/20, Beschluss v. 25.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1108


BGH StB 27/20 - Beschluss vom 25. August 2020 (OLG Stuttgart)

Aufrechterhaltung des Haftbefehls; Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 2. Juli 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 21. Juni 2018 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2018 (OGs 222/18) in Untersuchungshaft. Gegenstand des auf die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität gestützten Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe ab August 2016 bis zu seiner Festnahme das PKK-Gebiet F. geleitet und sich hierdurch als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB). Der Senat hat mit Beschluss vom 24. Januar 2019 (AK 56/18) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den Angeklagten aufgrund der am 17. April 2019 begonnenen Hauptverhandlung am 15. Januar 2020 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Über die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten ist noch nicht entschieden. Am 2. Juli 2020 hat das Oberlandesgericht auf einen Antrag auf Aufhebung, hilfsweise Außervollzugsetzung des Haftbefehls beschlossen, dass der Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug bleibe. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Angeklagten, mit der er sein zuvor beantragtes Ziel weiterverfolgt. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel mit näheren Ausführungen nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Aufhebung, hilfsweise Außervollzugsetzung des Haftbefehls zurecht abgelehnt.

1. Der - vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellte - dringende Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO ist durch das bereits vorliegende erstinstanzliche Urteil ausreichend belegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 - StB 12/18, NStZ-RR 2018, 255 mwN; vom 8. Januar 2004 - StB 20/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 4).

2. Jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO, zu dem sich weder die Beschwerdeschrift noch die ergänzende Stellungnahme vom 25. August 2020 verhalten, dauert fort. Bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift ist nach den Gesamtumständen die Gefahr begründet, dass ohne den Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung der Tat gefährdet sein könnte (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f. mwN). Ob darüber hinaus eine Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht, wofür vieles spricht, bedarf letztlich keiner Entscheidung.

Die infolge des Urteils in Aussicht stehende Reststrafe von noch rund zehn Monaten lässt einen Fluchtanreiz nicht entfallen. Wie insbesondere den die Nichtabhilfe begründenden Erwägungen des Oberlandesgerichts zu entnehmen ist, besteht für den Angeklagten zumindest nicht die naheliegende Erwartung, dass die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt werde. Aus den dort dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen wird, vermögen die mit der Beschwerde geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und das Alter des 63-jährigen Angeklagten ebenfalls die Besorgnis nicht zu entkräften, dass er sich im Fall seiner Freilassung dem weiteren Verfahren entziehen werde. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Vorbringen, er habe vor seiner Inhaftierung - letztlich rund vier Jahre - am selben Ort gewohnt, Vorladungen beachtet, Kontakt mit dem Jobcenter gehalten und Arzttermine wahrgenommen. Der Fluchtgefahr entgegenwirkende tragfähige Bindungen folgen daraus nicht.

Vor dem Hintergrund der persönlichen Umstände des Angeklagten und seiner nach den Urteilsgründen langjährigen Einbindung in die Strukturen der PKK erscheint auch ein Untertauchen im Inland nach wie vor möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 - StB 18/20, juris Rn. 11). Insgesamt kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 StPO) als ihren Vollzug erreicht werden.

3. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits weiterhin nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Zwar kann auch insoweit die Möglichkeit der Strafaussetzung von Bedeutung sein. Allerdings fehlen ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit einer solchen zu rechnen ist. Der Tatsache, dass der Angeklagte bisher in Deutschland nicht bestraft worden ist, stehen das sich aus dem Tatvorwurf ergebende Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und die gegen eine Strafaussetzung sprechende Einschätzung des Oberlandesgerichts aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen unmittelbaren Eindrucks gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 - StB 12/18, NStZ-RR 2018, 255 f. mwN).

Im Übrigen sind die mit der Dauer der Untersuchungshaft steigenden Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache und an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund (s. etwa BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 f.) beachtet worden. Die Hauptverhandlung ist innerhalb von rund neun Monaten an 44 Verhandlungstagen und damit - selbst ohne Berücksichtigung von Urlaubszeiten - an durchschnittlich mehr als einem Tag pro Woche durchgeführt worden. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Anschluss an die Urteilsverkündung ist nicht ersichtlich. Inzwischen liegen die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Revision mit Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Juli 2020 vor.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1108

Bearbeiter: Christian Becker