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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 278

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 249/19, Beschluss v. 18.12.2019, HRRS 2020 Nr. 278


BGH 2 StR 249/19 - Beschluss vom 18. Dezember 2019 (LG Frankfurt am Main)

Verletzung des Steuergeheimnisses (Entstehen und Reichweite der Geheimhaltungspflicht).

§ 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung wird bestraft, wer unbefugt Verhältnisse eines anderen, die ihm als Amtsträger in einem Verwaltungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen bekannt geworden sind, offenbart oder verwertet. Daraus folgt, dass die strafbewehrte Geheimhaltungspflicht hier, anders als bei dem weiter gefassten Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses, nur entsteht, wenn der Täter die Kenntnis der fremden Verhältnisse in seiner Eigenschaft als Amtsträger und im Zusammenhang mit einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren erlangt hat. Dagegen genügt es nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes nicht, wenn der Täter seine Amtsstellung dazu missbraucht, um Kenntnis von ihm sonst nicht zugänglichen Behördenunterlagen nehmen zu können. Dann erfolgt die Kenntnisnahme nur „gelegentlich“ seiner Diensterfüllung, aber nicht „als Amtsträger“.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. November 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit er im Fall II.2.3. der Urteilsgründe verurteilt wurde,

b) im Ausspruch über die Gesamtgeldstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung des Steuergeheimnisses, zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 170 Euro verurteilt und angeordnet, dass 60 Tagessätze als bereits vollstreckt gelten. Außerdem hat es eine Einziehungsanordnung getroffen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. August 2019 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der Angeklagte war seit Sommer 2002 hauptamtlicher Erster Stadtrat in der Stadtverwaltung von E. In den Jahren bis 2011 verschlechterte sich sein Verhältnis zu dem damaligem Bürgermeister S. Der Angeklagte fühlte sich „ausgebootet“ und ärgerte sich über die angebliche Verschwendung öffentlicher Gelder für die Tätigkeit des Kommunikationsberaters L. und der Firma Er. bei der Planung eines Rathausneubaus und bei der Preisgestaltung für den Neubau einer Musikschule. Nach der Kommunalwahl im Jahre 2011 begann der Angeklagte, aus seiner Sicht brisante Unterlagen der Stadtverwaltung im Rathaus zu fotografieren oder zu kopieren, darunter auch Verschlusssachen und persönliche Unterlagen von Mitarbeitern. Er versorgte den Journalisten St. damit, der daraufhin kritische Artikel schrieb. St. arrangierte ein Treffen des Angeklagten mit Rechtsanwalt B., der überspitzt formulierte Leserbriefe in der Lokalpresse und Stellungnahmen auf seiner Homepage veröffentlichte. Dabei wurde vereinbart, dass der Angeklagte Rechtsanwalt B. mit Informationen versorgen und dieser sodann Missstände öffentlich anprangern sollte. Der Angeklagte wollte selbst bei der Bürgermeisterwahl kandidieren und B. wollte mittelbar durch diesen selbst Macht ausüben. B. distanzierte sich vor diesem Hintergrund von seiner Freien-Wähler-Partei und deren Mitglied Ba. Er gab seine Informationsquelle für polemische Äußerungen auch auf intensive Nachfragen durch Ba. nicht preis und berief sich dazu auf seine anwaltliche Schweigepflicht. Ab 2012 versorgte ihn der Angeklagte unmittelbar oder über St. mit Kopien oder Fotografien von Dokumenten aus der Stadtverwaltung.

Dies geschah im Frühjahr 2012 hinsichtlich des Vorgangs „Projekt Neubau/Sanierung Rathaus E.“ mit zahlreichen, im Urteil näher bezeichneten Unterlagen (Fall II.2.1. der Urteilsgründe). Im Spätsommer 2012 übergab der Angeklagte an B. das Original einer „Akte L. “, damit dieser die Akte kopieren könne. Bei den darin enthaltenen Unterlagen ging es um Zahlungen der Stadt an den Kommunikationsberater L., der mit Bürgermeister S. persönlich verbunden war (Fall II.2.2. der Urteilsgründe). Seit 2011 hatte der Angeklagte zahlreiche interne Dokumente der Stadtverwaltung fotografiert, um für den Bürgermeisterwahlkampf Informationen zu sammeln. Er brannte die Fotos auf etwa 50 CDs, die er sukzessive an B. übergab. Es handelte sich um ungeordnete Fotografien von Schriftstücken aus Akten, Notizbüchern, Kassenzetteln, aber auch von privaten Fotos, Festsetzungsbescheiden über Gewerbesteuer, ferner von Arbeitszeugnissen, Kündigungs- und Umsetzungsverträgen für Mitarbeiter, zudem „persönlich/vertraulich“ gefertigte Schreiben des Magistrats, Verträge und Anwaltsschriftsätze, den Insolvenzplan für den Fußballclub E. und Rechnungen der Fa. Er. Die Datenträger übergab er im Zeitraum von Frühjahr 2012 bis August 2013 an den Zeugen B. mit der Maßgabe, dieser solle „etwas daraus machen“ (Fall II.2.3. der Urteilsgründe).

Das Landgericht hat die Taten jeweils als Verletzung des Dienstgeheimnisses bewertet (§ 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB), im Fall II.2.3. der Urteilsgründe auch tateinheitlich als Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB).

II.

1. Die Verfahrensrüge ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. August 2019 genannten Gründen jedenfalls unbegründet.

2. Die Revision ist mit der Sachrüge nur begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Verletzung des Steuergeheimnisses im Fall II.2.3. der Urteilsgründe richtet. Die Beanstandung dieser Verurteilung zwingt aber zugleich zur Aufhebung der Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Verletzung des Dienstgeheimnisses, obwohl diese für sich genommen rechtsfehlerfrei erfolgt ist.

a) Nach § 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung wird bestraft, wer unbefugt Verhältnisse eines anderen, die ihm als Amtsträger in einem Verwaltungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen bekannt geworden sind, offenbart oder verwertet. Daraus folgt, dass die strafbewehrte Geheimhaltungspflicht hier, anders als bei dem weiter gefassten Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses (vgl. dazu MüKo-StGB/Puschke, 3. Aufl., § 353b Rn. 33), nur entsteht, wenn der Täter die Kenntnis der fremden Verhältnisse in seiner Eigenschaft als Amtsträger und im Zusammenhang mit einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren erlangt hat. Dagegen genügt es nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes nicht, wenn der Täter seine Amtsstellung dazu missbraucht, um Kenntnis von ihm sonst nicht zugänglichen Behördenunterlagen nehmen zu können. Dann erfolgt die Kenntnisnahme nur „gelegentlich“ seiner Diensterfüllung, aber nicht „als Amtsträger“ (vgl. Schönke/Schröder/Perron/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 355 Rn. 10; MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl., StGB § 355 Rn. 24; LK/Vormbaum, StGB, 12. Aufl., § 355 Rn. 18). Eine abweichende Beurteilung (vgl. SK-StGB/Hoyer, § 355 Rn. 5) würde über den Wortlaut der Norm hinausgehen.

Diese Auslegung wird durch eine spätere Gesetzesänderung bestätigt. Nach der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des § 355 StGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (BGBl. 2016 I, S. 1679; BTDrucks. 18/7457 S. 115 f.) sind die genannten Verhältnisse dem Täter auch dann als Amtsträger bekannt geworden, wenn sie sich aus Daten ergeben, zu denen er Zugang hatte und die er unbefugt abgerufen hat (§ 355 Abs. 1 Satz 2 StGB n.F.). Die Wortlautgrenze der Auslegung und das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG hatten es erforderlich gemacht, diese Begehungsweise zur Schließung einer Strafbarkeitslücke gesondert zu erfassen (vgl. BeckOK-StGB/Heuchemer, 44. Ed., § 355 Rn. 9). Die Neuregelung verdeutlicht, dass vor ihrem Inkrafttreten und außerhalb ihres Regelungsbereichs nicht jede unbefugte Kenntniserlangung des Amtsträgers von steuerlich relevanten Verhältnissen eines anderen zur Erfüllung des Straftatbestands ausreicht.

b) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht den nach der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung notwendigen Zusammenhang zwischen der Stellung des Angeklagten als Amtsträger und seiner Kenntniserlangung von den Verhältnissen eines anderen nicht berücksichtigt hat. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass ein solcher Zusammenhang bestanden hat.

c) Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass ein neues Tatgericht noch Feststellungen zu treffen vermag, die den notwendigen Zusammenhang belegen. Daher hebt er das Urteil im Fall II.2.3. der Urteilsgründe auf und verweist die Sache insoweit an das Landgericht zurück.

3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.2.3. der Urteilsgründe zwingt auch zur Aufhebung der Gesamtgeldstrafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 278

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 111

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner