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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 808

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 32/18, Beschluss v. 26.07.2018, HRRS 2018 Nr. 808


BGH AK 32/18 - Beschluss vom 26. Juli 2018

Dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland; Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 121 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwaig erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 18. Januar 2018 vorläufig festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2018 (Az.: 5 BGs 8/18) seither in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich zumindest von Juni bis August 2013 in dem syrischen Dorf Türkmin an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("Junud al Sham") beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).

Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren unter dem 12. April 2018 gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben, die es am 18. April 2018 übernommen hat. Eine Anklage wurde bisher nicht erhoben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich (Beschluss vom 27. Juni 2018 - ErmRi GS 56/18).

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

a) Die Vereinigung Junud al Sham

Bei der Junud al Sham (auch "Junud ash Sham", übersetzt: "Soldaten Syriens") handelt es sich um eine Gruppierung, die im August 2013 erstmals medial in Erscheinung trat und die auf Seiten der islamistischen Gegner des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Ihr Anführer ist der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügt und als lokaler Emir einer in Dagestan operierenden Gruppierung fungiert hatte. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich im Jahr 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörigen westlicher Staaten, zur Auswanderung nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen.

Er sah seine Verbündeten vor allem in weiteren in Syrien kämpfenden Gruppierungen kaukasischer Herkunft und unterhielt unter anderem enge Beziehungen zu Saifullah Al-Shishani, der sich im Juli 2013 mit mehrheitlich nordkaukasischen Kämpfern von einer anderen jihadistischen Organisation, der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" (JAMWA), getrennt hatte, nachdem diese sich dem sog. "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) zugewandt hatte. Die Junud al Sham führte mit Saifullah Al Shishani und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um Abu Musa Al Shishani gemeinsame Operationen durch und blieb - trotz enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen wie etwa der Jabhat al Nusra, der sich wiederum Saifullah Al Shishani angeschlossen hatte, oder gemeinsamen Aktionen mit dem ISIG - selbständig, ohne sich einer anderen Gruppierung unterzuordnen. Die Eigenständigkeit der Organisation bekräftigte Abu Walid mit einer am 30. Juni 2014 über Twitter veröffentlichten Audiobotschaft, in der er erklärte, Emir einer eigenen Gruppe zu sein, die sich schon seit zwei Jahren in Syrien aufhalte und auch Kämpfer aus Deutschland in ihren Reihen habe. Die Junud al Sham bekennt sich zudem dazu, "junge Mujahidin, die aus der ganzen Welt zum Jihad kommen", zu trainieren.

Anführer der Vereinigung ist - wie dargelegt - Muslim Abu Walid, dem sein Stellvertreter Abu Turab Shishani sowie mehrere Kommandeure zur Seite stehen. Die Stärke der Gruppierung ist nicht bekannt; die Anzahl der Kämpfer wird auf mehrere Hundert geschätzt.

Ziel der Junud al Sham ist der Kampf gegen die "Ungläubigen" in Syrien und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates dort und in den angrenzenden Ländern sowie darüber hinaus letztlich auch im Kaukasus. Dieses Ziel sucht sie durch militärische Operationen zu erreichen. Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit der Jabhat al Nusra am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil, den Muslim Abu Walid befehligte. Im März 2014 führte die Vereinigung eine weitere Operation in der Nähe von Latakia namens "Anhöhe Turm 45" durch.

b) Die Tathandlungen des Beschuldigten Der Beschuldigte reiste mit seiner Ehefrau und ihren gemeinsamen zwei Kindern in der Nacht zum 31. Januar 2013 aus Deutschland aus und begab sich zunächst nach Istanbul, wo die Familie mehrere Monate blieb. Spätestens im Juni 2013 reiste der Beschuldigte - wie von vornherein beabsichtigt - mit seiner Familie in das syrische Dorf Türkmin und schloss sich dort der Junud al Sham an. Er unterwarf sich unmittelbar nach seiner Ankunft bei der Organisation dem Willen der für ihn Verantwortlichen, gliederte sich in das tägliche Leben der Gemeinschaft ein und entfaltete förderliche Handlungen zur Verwirklichung der Ziele der Vereinigung. So absolvierte er zunächst eine Waffenausbildung und wirkte anschließend gemeinsam mit dem weiteren Mitglied der Vereinigung X. an der Vertreibung der ursprünglichen Dorfbewohner in Türkmin aus ihren Häusern mit, da diese für die Unterbringung der Mitglieder der Vereinigung und ihrer Familien benötigt wurden. Darüber hinaus nahm er an Kampfhandlungen der Junud al Sham teil. Auf dem Weg zu einem Einsatz mit seinem Geländewagen vom Typ Nissan löste sich aus Unachtsamkeit des Beschuldigten zumindest ein Schuss aus der von ihm mitgeführten Waffe, der zu einer Verletzung des Beschuldigten am Bein führte.

2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Aussagen der richterlich vernommenen Zeugen C. B., R. B. sowie der weiteren Zeugen M. B., J., P. und M. Pa. Der Zeuge Pa., der wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Junud al Sham rechtskräftig verurteilt worden ist, hat den Beschuldigten auf Lichtbildern wiedererkannt und bekundet, ihn im fraglichen Zeitraum als Mitglied der Vereinigung in Türkmin gesehen zu haben. Darüber hinaus folgt der dringende Tatverdacht aus dem Chatverkehr der Ehefrau des Beschuldigten Bo. mit ihrer Mutter C. B., den Ergebnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, den Finanzermittlungen, die insbesondere Geldtransfers in der fraglichen Zeit ins Ausland belegen, dem Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Mai 2014, den Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom April 2014 und April 2016 sowie den sonstigen bisherigen Ermittlungsergebnissen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Darlegungen in dem Haftbefehl Bezug genommen.

3. Danach besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat, indem er sich der Junud al Sham als Mitglied anschloss, eine Waffenausbildung durchlief und für die Organisation tätig war. Deutsches Strafrecht ist aus den im Haftbefehl ausgeführten Gründen anwendbar; die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB liegt vor.

4. Beim Beschuldigten bestehen aus den in dem Haftbefehl zutreffend dargelegten Erwägungen, auf die der Senat ergänzend Bezug nimmt, die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) sowie darüber hinaus der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO): Der Beschuldigte hat eine langjährige Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Diesem stehen keine hinreichenden persönlichen und sozialen Bindungen entgegen, welche die Annahme rechtfertigen, der Beschuldigte werde sich dem Verfahren in Deutschland stellen. Zwar lebte der Beschuldigte mit seiner Ehefrau und ihren inzwischen drei Kindern in einer Lebensgemeinschaft in T., jedoch haben ihn Frau und Kinder nicht von der Ausreise abgehalten, sondern ihn begleitet. Zudem unternahm der Beschuldigte nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Jahr 2014 einen weiteren Ausreiseversuch, bei dem er einen für jihadistische Kampfgenossen bestimmten Geländewagen vom Typ Nissan Pathfinder über die türkischsyrische Grenze bringen wollte; der Plan scheiterte nur aufgrund eines Motorschadens des Fahrzeugs. Auch in der Folgezeit hat er sich den Ermittlungen des Zeugen KHK G. zufolge wiederholt mit dem Gedanken getragen, in ein muslimisches Land auszuwandern; seine Auslandskontakte würden ein solches Vorhaben erleichtern. Unter diesen Umständen ist zu erwarten, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen und sich ins Ausland absetzen wird. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der Beschuldigte bereits geraume Zeit vor seiner Verhaftung aus der Ordnungsverfügung der Stadt T. vom 24. Oktober 2014 von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Kenntnis hatte, da er erst mit seiner vorläufigen Festnahme von der Dringlichkeit des Verdachts erfahren hat.

Weniger einschneidende Maßnahmen i.S.d. § 116 StPO kommen nicht in Betracht.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Seit der Verhaftung des Beschuldigten wurden umfangreiche Ermittlungen durchgeführt, in deren Rahmen zahlreiche Beweismittel auszuwerten waren. Dabei handelt es sich vor allem um umfangreiche Daten in elektronischer Form und ausländischer Sprache, die auf dem Smartphone des Beschuldigten und weiteren Asservaten sichergestellt worden sind und deren Aufbereitung, Übersetzung und islamwissenschaftliche Bewertung sich zeitaufwändig gestaltet hat und noch nicht vollständig abgeschlossen werden konnte. Auch stehen noch Zeugenvernehmungen und Ermittlungen zu den Flugreisen des Beschuldigten im Jahr 2013 aus. Das Bundeskriminalamt geht nach einer Mitteilung vom 15. Juni 2018 davon aus, dass die Asservatenauswertung bis Mitte Juli 2018 und die Zeugenvernehmungen bis spätestens Anfang August 2018 abgeschlossen sein werden.

Danach ist das Verfahren bisher mit der in Haftsachen gebotenen Intensität beschleunigt und gefördert worden. Der Senat geht davon aus, dass vor einer etwaig erforderlich werdenden weiteren Haftprüfung Anklage erhoben sein wird, sollten sich an der bisherigen Verdachtslage durch die weiteren Ermittlungsmaßnahmen keine maßgeblichen Änderungen ergeben.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 808

Bearbeiter: Christian Becker