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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 848

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 570/18, Beschluss v. 02.07.2019, HRRS 2019 Nr. 848


BGH 2 StR 570/18 - Beschluss vom 2. Juli 2019 (LG Aachen)

Zurücknahme und Verzicht (Zurücknahme des Angeklagten nach Einlegung durch den Verteidiger).

§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Dass das Rechtsmittel von seinem Verteidiger eingelegt worden war, ist für die Wirksamkeit der Rücknahme durch den Angeklagten ohne Belang; der erklärte Wille des Angeklagten geht stets vor.

2. Die wirksame Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar geworden.

Entscheidungstenor

Es wird festgestellt, dass die gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Januar 2018 eingelegte Revision des Angeklagten wirksam zurückgenommen worden ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten Revision eingelegt und diese am 8. Mai 2018 begründet. Mit einem handschriftlich verfassten Schreiben vom 9. Juli 2018 hat der Angeklagte gegenüber dem Landgericht erklärt: „Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich mit sofortiger Wirkung meinen Widerspruch/Einspruch sowie die Revision von meiner Verurteilung zurückziehe!! Ich nehme das Urteil von 5 Jahren und 9 Monate an… Ich habe damals Mist gebaut, den ich nicht wieder rückgängig machen kann. Ich möchte mich nun meinem Fehler stellen. Ich bitte daher darum meine Verurteilung nun rechtskräftig werden zu lassen“. Auf eine durch das Landgericht veranlasste Rückfrage erklärte der Angeklagte gegenüber der Justizvollzugsanstalt, dass er das Schreiben nicht selbst verfasst habe, sondern von einem Mitgefangenen habe schreiben lassen; er wolle „weiterhin, dass die Revision bestehen bleibt“. Vor diesem Hintergrund vertritt der Verteidiger die Auffassung, dass die Revision nicht rechtswirksam zurückgenommen worden sei. Überdies spreche der Angeklagte auch nicht „hinreichend“ die deutsche Sprache, um die „Inhalte von Schriftsätzen zur Kenntnis zu nehmen“.

2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1). Da der Verteidiger dies in Zweifel gezogen hat, ist die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. November 2005 - 2 StR 522/05, BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 11, und vom 8. Oktober 2015 - 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180; BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 3 StR 6/19, BeckRS 2019, 4519).

a) Dass das Rechtsmittel von seinem Verteidiger eingelegt worden war, ist für die Wirksamkeit der Rücknahme durch den Angeklagten ohne Belang; der erklärte Wille des Angeklagten geht stets vor (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 1988 - 4 StR 316/88, BGHR StPO § 302 Abs.1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7 und Senat, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 353/11, BeckRS 2011, 27090).

b) Die Rücknahmeerklärung des Angeklagten wahrt die hierfür erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 302 Rn. 7 mwN). Er hat sich hierfür nach eigenen Angaben eines Mitgefangenen als Schreibhilfe bedient und das Schreiben sodann eigenhändig unterzeichnet, was ein freibeweislicher Abgleich mit seiner Unterschrift unter dem Protokoll über seine polizeiliche Beschuldigtenvernehmung bestätigt (Bl. 80 d.A.). Dass dem Angeklagten von dem - nicht näher bekannt gemachten - Mitgefangenen absprachewidrig eine Rücknahmeerklärung untergeschoben worden sei, wird nicht geltend gemacht.

c) Die Rücknahmeerklärung ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf die Beendigung des Revisionsverfahrens sowie auf den Eintritt der Rechtskraft gerichtet. Dies belegt die gebotene Würdigung von Wortlaut und Gesamtsinn der Erklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 1996 - 1 StR 487/96, BeckRS 1996, 31090889). Hiermit ist der Vortrag des Beschwerdeführers, mit der Erklärung sei allein eine Beanstandung des Haftregimes nach § 119 Abs. 5 StPO gemeint gewesen, unvereinbar.

d) Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte eine Erklärung unterschrieben hat, die ihm wegen unzureichender Sprachkenntnisse unbekannt gewesen war. Dies liegt schon eingedenk seines nahezu vierzigjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner langjährigen beruflichen Einbindung hier nicht nahe (vgl. UA S. 4). Entsprechend waren im Ermittlungsverfahren weder bei Beschuldigtenvernehmungen noch bei Verteidigergesprächen mangelnde Sprachkenntnisse offenbar geworden (vgl. Bl. 80 d.A.). Besonders Gewicht kommt im Rahmen dieser freibeweislichen Würdigung dem Beschluss der Strafkammer vom 5. Oktober 2017 zu (Anlage 1 zum Hauptverhandlungsprotokoll). Das Landgericht hat hier die Sprachkenntnisse des Angeklagten im Einzelnen gewürdigt und nachvollziehbar dargelegt, dass der Angeklagte der deutschen Sprache mächtig ist. Insbesondere habe der Angeklagte in der von der Strafkammer durchgeführten Haftprüfung Deutsch gesprochen und „den deutlichen Eindruck erweckt“, er verstehe die Verfahrensabläufe. Ausweislich des Protokolls über diese durchgeführte Haftprüfung ließ sich der Angeklagte dort ohne Dolmetscher näher zur Sache ein (Bl. 499 d.A.).

e) Die wirksame Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar geworden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 - 2 StR 461/94, NStZ 1995, 356, 357, vom 28. Juli 2004 - 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 und vom 17. Oktober 2017 - 2 StR 410/17, NStZ 2018, 615, 616). Eine möglicherweise nachträglich eingetretene Willensänderung ist bedeutungslos.

3. Nach wirksamer Rücknahme der Revision hat der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 848

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 286

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner