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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 26

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 283/18, Beschluss v. 26.09.2018, HRRS 2019 Nr. 26


BGH 2 StR 283/18 - Beschluss vom 26. September 2018 (LG Köln)

Aufhebung des Urteils und der Feststellungen.

§ 353 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. Februar 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Die Revision beanstandet zu Recht die Verletzung des Beweisantragsrechts. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung beantragte der sich nicht einlassende Angeklagte die Einholung eines morphologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass auf dem Video der Überwachungskamera aus dem Edeka-Markt in K. zum Tatgeschehen am 1. Oktober 2016 eine andere Person als er zu sehen ist. Dieses werde ergeben, dass er bereits aufgrund seiner körperlichen Statur im September/Oktober 2016 die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen habe, da der Täter auf dem Video eine andere (Körper-)Statur aufweise als er selbst. Der Sachverständige werde aufgrund des vorliegenden Bildmaterials die im Beweisantrag genannten Feststellungen treffen können.

Das Landgericht hat den Beweisantrag zurückgewiesen, weil das angegebene Beweismittel völlig ungeeignet sei. Es sei nicht möglich, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, die er für sein Gutachten bedürfe. Es könne dahinstehen, ob die von der Verteidigung eingereichten Lichtbilder überhaupt die Körperstatur abbildeten, die der Angeklagte am Tattag gehabt habe. Selbst wenn man dies unterstelle, könne das unter Beweis gestellte Beweisergebnis mit dem angebotenen Beweismittel nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielt werden. Die Videoaufzeichnungen seien von mäßiger Qualität und relativ unscharf. Aus ihnen ließen sich keine individualtypischen Merkmale des größeren und nach den Bekundungen der Zeugen männlichen Täters erkennen. Der Täter sei vollständig vermummt, trage eine langärmelige, nicht enganliegende Jacke mit einer Kapuze, die einige Zentimeter ins Gesicht rage, und eine nicht enganliegende Hose. Im Gesicht sei der Täter maskiert, freie Gesichtspartien seien nicht zu erkennen. Welche Schuhe der Täter trage, lasse sich aufgrund der Unschärfe der Aufzeichnung nicht erkennen. Es lasse sich weiterhin überhaupt nicht sagen, ob der Täter seine Körperstatur unter der Hose und Jacke möglicherweise durch straffe Kleidung bzw. Bandagen verengt oder durch weitere Kleidung künstlich verbreitert habe oder ob er seine Körperhöhe durch Einlagen in den Schuhen oder durch das Tragen dick besohlter Schuhe habe größer erscheinen lassen.In den Urteilsgründen hingegen hat das Landgericht zur Frage der Vereinbarkeit der Körperstatur des Angeklagten mit dem auf der Videoaufzeichnung von der Tat zu sehenden Erscheinungsbild des Täters unter anderem Folgendes ausgeführt:

„Aus den Videoaufzeichnungen der Tat … und den Zeugenaussagen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte A. aufgrund seiner Körperstatur nicht der Täter sein kann. Die Körperstatur des Angeklagten ist mit den Zeugenaussagen … zum Aussehen und der Statur des männlichen Täters sowie mit den Aufzeichnungen in Einklang zu bringen. Dabei mag es dahinstehen, ob die von der Verteidigung eingereichten Lichtbilder … überhaupt die Körperstatur abbilden, die der Angeklagte am 1.10.2016 hatte. Diese Körperstatur kann ohne Weiteres mit den Aufzeichnungen und den Bekundungen der Zeugen in Einklang gebracht werden.“

2. Darin liegt ein Verstoß gegen das Beweisantragsrecht. Dabei kann dahinstehen, ob das Landgericht den Beweisantrag mit der Begründung zurückweisen durfte, der angebotene Sachverständigenbeweis sei ungeeignet, weil die Videoaufzeichnungen von mäßiger Qualität und relativ unscharf seien, oder ob es zuvor - wie die Revision meint - verpflichtet gewesen wäre, im Freibeweisverfahren einen Sachverständigen zu befragen, ob dieser anhand des vorliegenden Bildmaterials Aussagen zur Identität des Angeklagten als Täter hätte machen können (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 284/11, BGH NStZ 2012, 345, 346; Beschluss vom 31. Juli 2013 - 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116). Denn die Strafkammer setzt sich in den Urteilsgründen, in denen sie im Rahmen der Beweiswürdigung zur Täterschaft des Angeklagten auch die Videoaufzeichnungen zu der Feststellung heranzieht, die Körperstatur des Angeklagten sei mit dem Aussehen des männlichen Täters der Tat vom 1. Oktober 2016 in Einklang zu bringen, in Widerspruch zur Ablehnung des Beweisantrags, die sie damit begründet, der Aufzeichnung fehle die notwendige Qualität, um Grundlage eines beantragten Sachverständigengutachtens zu sein.

Das Landgericht hat die Zurückweisung des Beweisantrags damit begründet, das vorhandene Videomaterial biete keine ausreichende Grundlage für eine sachverständige Beurteilung. Der Angeklagte, der die Einholung des Sachverständigengutachtens zum Ausschluss seiner Täterschaft beantragt hatte, durfte angesichts dieser Begründung davon ausgehen, dass das Landgericht die (insoweit als Grundlage für ein Sachverständigengutachten nicht als tauglich angesehenen) Videoaufzeichnungen im Rahmen seiner Beweiswürdigung seinerseits nicht (zu seinen Lasten) heranziehen würde. Wäre das Landgericht erst später zu der im Urteil dargelegten Überzeugung von der Vereinbarkeit von Angeklagtenstatur und Täteraussehen im Video gekommen, wäre es gehalten gewesen, den Angeklagten darauf hinzuweisen und den Beweisantrag gegebenenfalls neu zu bescheiden.

Angesichts des offensichtlichen Widerspruchs der Urteilsbegründung zur Ablehnung des Beweisantrags liegt eine Verletzung des Beweisantragsrechts vor, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwingt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ordnungsgemäßer Erhebung des Beweises und einem dem Beweisantrag entsprechenden Ergebnis der Beweiserhebung eine Täterschaft des Angeklagten nicht angenommen und ihn deshalb freigesprochen hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 26

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 103

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner