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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 561

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 409/17, Urteil v. 28.02.2018, HRRS 2018 Nr. 561


BGH 2 StR 409/17 - Urteil vom 28. Februar 2018 (LG Kassel)

Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten (Wesentlichkeit des Aufklärungsbeitrages).

§ 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Milderung des Strafrahmens gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ist nur gerechtfertigt, wenn der Angeklagte mit seiner Einlassung nach der Festnahme wesentlich zur Aufklärung der Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus beigeträgt. Bei der Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der revisionsgerichtlicher Nachprüfung unterliegt.

2. Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre, die Aussage des Täters jedenfalls aber eine sicherere Grundlage für die Aburteilung der Tatbeteiligten schafft, indem sie den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt, dass ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen.

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 19. April 2017, soweit es den Angeklagten R. betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

II. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

Die insoweit entstandenen Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten V. F. und Va. F. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten V. und Va. F. hat es des Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Gegen V. F. hat es unter Einbeziehung eines früheren Urteils eine Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt, gegen Va. F. unter Einbeziehung eines früheren Urteils eine Jugendstrafe von drei Jahren. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den jeweiligen Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die Angeklagten V. und Va. F. sind Brüder, die den Angeklagten R. seit der Kindheit kennen. Sie sprachen wiederholt allgemein darüber, dass sie durch eine Straftat Geld oder Wertsachen erbeuten wollten. Va. F. erhielt von einem Unbekannten die Information, dass am Ortsrand von S. ein älteres Ehepaar wohne, das über Vermögen in einem Tresor verfüge. Va. F. überzeugte die Mitangeklagten von seinem Plan, dieses Ehepaar zu überfallen. Am 31. Oktober 2016 begaben sich die Angeklagten zum Haus der Geschädigten und beobachteten es. Am 1. November 2016 fuhren sie gegen 20.00 Uhr erneut dorthin. V. und Va. F. hatten zuvor „`eine Tüte´ Marihuana geraucht“. Die Angeklagten stellten ihr Fahrzeug außerhalb der Ortslage ab und näherten sich zu Fuß dem Wohnhaus. Sie hatten sich „jeweils mit zuvor gekauften und vorwiegend weißen Plastikmasken sowie Kabelbindern und daneben mit Latexhandschuhen und darüber gezogenen Arbeitshandschuhen ausgestattet.“ Die Kabelbinder sollten der Fesselung der Hausbewohner dienen.

Gegen 20.15 Uhr klingelte der zunächst unmaskierte Angeklagte Va. F. an der Haustür, während sich die anderen seitlich neben der Tür aufhielten und bereits maskiert waren. Die 74-jährige Nebenklägerin war allein zu Haus. In der Erwartung, dass ihr Ehemann zurückkehre, öffnete sie die Haustür. Va. F. fragte nach einem Starthilfekabel für sein Auto. Weil die Nebenklägerin ihn nicht verstanden hatte, trat sie auf ihn zu und erblickte die neben der Tür stehenden Mitangeklagten. Darauf reagierte der Angeklagte V. F. damit, dass er der Nebenklägerin eine Hand vor den Mund hielt, sie mit dem anderen Arm umfasste und ins Haus drängte. Die Täter fragten: „Wo ist Gold?“ „Wo ist Mann?“. Die Nebenklägerin bekam kaum Luft, weil V. F. ihr die Hand nicht nur vor den Mund, sondern auch vor die Nase hielt. Sie wies auf einen früher erlittenen Herzinfarkt hin. Die Angeklagten nahmen darauf aber nur insoweit Rücksicht, als der Angeklagte R. beruhigend auf sie einredete. Dann fragten sie die Nebenklägerin nach dem Tresorschlüssel. Dieser wurde aus der Küche geholt, wo die Täter 320 Euro aus dem Portemonnaie der Nebenklägerin wegnahmen. Dann öffneten sie den Tresor und entnahmen daraus Schmuck und eine Münzsammlung. Die Beute füllten sie in eine mitgebrachte Sporttasche. In der Zwischenzeit hielt der Angeklagte V. F. weiterhin die Nebenklägerin fest, während die Mittäter einen Büroraum und das Schlafzimmer durchsuchten. Anschließend brachte V. F. gemeinsam mit seinem Bruder die Nebenklägerin ins Schlafzimmer. Erst dort nahm er die Hand von ihrem Mund und fesselte sie mit Kabelbindern. Dann flüchteten die Angeklagten mit der Beute.

Während der Tatbegehung führte der Angeklagte R. in seiner Jackentasche am Schlüsselbund ein Klappmesser mit sich.

Durch den andauernden Griff mit dem Arbeitshandschuh erlitt die Nebenklägerin im Gesicht Blutergüsse und Schwellungen sowie einen blutenden Riss an der Unterlippe. Sie konnte sich alsbald von der Fesselung befreien und rief die Polizei. Diese konnte die Angeklagten mit ihrem Fahrzeug anhalten; sie wurden nach Auffinden ihrer Masken und der Tatbeute festgenommen. Der Angeklagte R. machte unmittelbar danach umfassende Angaben zur Tat, räumte seine Schuld ein und beschrieb die Tatbeiträge der Mitangeklagten.

2. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten R. als schweren Raub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB bewertet. Die Tatsache, dass es sich „bei dem am Schlüsselbund mitgeführten Klappmesser um ein eher kleines und damit vergleichsweise weniger gefährliches Werkzeug handelte, das er beiläufig bei sich hatte, ohne einen Einsatz auch nur zu erwägen“, hat es unter anderem zum Anlass genommen, von einem minder schweren Fall im Sinne von § 250 Abs. 3 StGB auszugehen. Außerdem hat es dem Angeklagten R. eine Strafrahmenmilderung gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB zugebilligt. Bezüglich der Angeklagten V. und Va. F. ist das Landgericht von Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB ausgegangen. Allen Angeklagten hat es eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zugerechnet.

II.

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Es hat Erfolg, soweit es die Strafzumessung für den Angeklagten R. betrifft.

Die Milderung des Strafrahmens gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist rechtsfehlerhaft. Diese wäre nur gerechtfertigt, wenn der Angeklagte mit seiner Einlassung nach der Festnahme wesentlich zur Aufklärung der Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus beigetragen hätte. Bei der Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der revisionsgerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre, die Aussage des Täters jedenfalls aber eine sicherere Grundlage für die Aburteilung der Tatbeteiligten schafft, indem sie den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt, dass ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2016 - 5 StR 26/16, NStZ 2016, 720 f.).

Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, indem „der Angeklagte R. bereits in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung nicht nur seinen eigenen Tatbeitrag vollumfänglich eingeräumt und darüber hinaus auch beide Mittäter benannt und auch deren Tatbeiträge sowie die vorausgegangene Tatplanung beschrieben hat“, habe „er durch sein Verhalten die Voraussetzungen von § 46b Abs. 1 StGB erfüllt.“ Im Zeitpunkt seiner Angaben seien den Ermittlungsbehörden „weder die Hintergründe der Tat noch die Beiträge der einzelnen Tatbeteiligten bekannt“ gewesen.

Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Angeklagten unmittelbar nach der Tat im Fluchtfahrzeug gestellt wurden. Dabei wurden die bei der Tat verwendeten Masken sowie die Tatbeute sichergestellt. Der Tatablauf, in den alle drei Angeklagten eingebunden waren, war bereits von der Nebenklägerin mitgeteilt worden, die dafür auch im weiteren Verfahren als Zeugin zur Verfügung stand. Zur Identität des Informanten des Va. F., dessen Mitteilungen den konkreten Tatentschluss ausgelöst hatten, hat auch der Angeklagte R. den Strafverfolgungsbehörden keine Erkenntnisse vermittelt. Nach allem ist anhand der Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen, worin das Landgericht die Wesentlichkeit des Aufklärungsbeitrags gesehen hat.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafzumessung auf diesem Erörterungsmangel beruht.

2. Soweit das Landgericht für die Angeklagten V. und Va. F. Jugendstrafen verhängt hat, zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf. Entgegen ihrer Auffassung ist nicht davon auszugehen, dass die verhängten Einheitsjugendstrafen unvertretbar milde sind. Die Urteilsgründe lassen auch nicht besorgen, dass das Landgericht die von der Revision hervorgehobenen Umstände aus dem Blick verloren hat; denn sie sind dort erwähnt.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 561

Externe Fundstellen: StV 2019, 447

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner