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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 402

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 353/17, Beschluss v. 07.03.2018, HRRS 2018 Nr. 402


BGH 2 StR 353/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Aachen)

Rücktritt (Rücktrittshorizont: Definition, Anforderungen an die Feststellungen; unbeendeter Versuch nach Erreichen eines außertatbestandlichen Handlungszieles).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Erkennt der Täter, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte oder glaubt er subjektiv, dass er sein Ziel im unmittelbaren Handlungsfortgang nicht mehr erreichen kann, so liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor.

2. Fehlt es an den erforderlichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, so hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3. Der Umstand, dass ein Täter sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hat, einen (freiwilligen) Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil „wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung“ unter Einbeziehung einer Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach Aufhebung dieses Urteils und Zurückverweisung der Sache durch Senatsbeschluss vom 17. März 2016 (2 StR 544/15) hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte in einem Kaufhaus einen Pullover, steckte ihn unter seine Jacke und entfernte sich. Er wurde von einem Angestellten, der den Diebstahl beobachtet hatte, verfolgt, und rannte davon. Nachdem der Angestellte ihn eingeholt hatte, wandte der Angeklagte sich plötzlich zu ihm um und zog ein Messer mit feststehender Klinge hervor. Er nahm eine bedrohliche Körperhaltung ein und nötigte den Angestellten verbal („verpiss dich du Hurensohn“) sowie unter Vorhalt des Messers dazu, von ihm abzulassen. Anschließend setzte er seine Flucht fort. Dabei wurde er nunmehr von dem Kaufhausdetektiv, der kurz nach dem Angestellten die Verfolgung des Angeklagten aufgenommen hatte, verfolgt und schließlich eingeholt. Der Angeklagte wandte sich mit einer raschen Drehbewegung zu dem Kaufhausdetektiv, der ihn an seiner Kleidung fassen und ihn festhalten wollte, um und stach mit dem Messer in Richtung des Kopfes des Detektivs, wobei er dessen Verletzung billigend in Kauf nahm. Diesem gelang es, dem Messerstich auszuweichen; anschließend gab er „seine Bemühungen“, „den Angeklagten festzuhalten oder weiter zu verfolgen“, auf. Der Angeklagte setzte seine Flucht daraufhin fort.

2. Das Landgericht hat seine Annahme, dass es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch der gefährlichen Körperverletzung handele und ein freiwilliger Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch ausscheide, nicht tragfähig belegt.

a) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Erkennt der Täter, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte oder glaubt er subjektiv, dass er sein Ziel im unmittelbaren Handlungsfortgang nicht mehr erreichen kann, so liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201 f.; Beschluss vom 27. Februar 2013 - 4 StR 13/13, NStZ-RR 2013, 275). Fehlt es an den erforderlichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, so hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

b) Den sonach bestehenden Darlegungsanforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht.

aa) Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Ausführung des Messerstichs enthält das angegriffene Urteil nicht. Zwar ist im Rahmen der rechtlichen Würdigung festgehalten, dass der Angeklagte „beim Umwenden […] den Überraschungsmoment ausnutzen“ habe können und zuvor „keine generelle Wahrnehmung von dem Zeugen K.“ gehabt habe. Diese Erwägungen können zwar für die Überzeugung der Strafkammer sprechen, dass der Angeklagte subjektiv einen weiteren Angriff auf den von ihm - krankheitsbedingt - als körperlich überlegen wahrgenommenen Detektiv für aussichtslos gehalten habe, und dass sie deshalb von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen ist. Ausdrückliche Feststellungen, die auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten schließen lassen, enthält das angegriffene Urteil jedoch - anders als das im ersten Durchgang ergangene Urteil, in dem festgehalten war, dass der Angeklagte den Detektiv „als zu bedrohlich“ wahrgenommen habe, „um ihn mit dem Messer von sich aus weiter anzugreifen“ - nicht.

bb) Hinzu tritt, dass auch die weiteren Ausführungen zur Frage des Rücktritts vom Versuch rechtlichen Bedenken begegnen.

Das Landgericht hat die nach Lage der Dinge nicht fern liegende Möglichkeit eines unbeendeten Versuchs (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2013 - 3 StR 325/13, NStZ-RR 2014, 105) zwar hypothetisch erörtert. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass auch bei Annahme eines unbeendeten und nicht fehlgeschlagenen Versuchs ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch ausscheide, weil der Angeklagte sein außertatbestandliches Handlungsziel, seine Flucht ungehindert fortsetzen zu können, erreicht habe. Allerdings schließt der Umstand, dass ein Täter sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hat, einen (freiwilligen) Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221; Beschlüsse vom 20. September 2012 - 3 StR 367/12, NStZ-RR 2013, 105, und vom 20. November 2013 - 3 StR 325/13, NStZ-RR 2014, 105).

3. Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und entzieht dem Schuldspruch insgesamt die Grundlage. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 402

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 137 ; StV 2020, 285

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner