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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 101

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 34/17, Beschluss v. 12.12.2017, HRRS 2018 Nr. 101


BGH 2 StR 34/17 - Beschluss vom 12. Dezember 2017 (LG Köln)

Zurücknahme und Verzicht (keine analoge Anwendung auf Verfahrensbevollmächtigte von Nebenklägern).

§ 302 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 302 Abs. 2 StPO bestimmt, dass ein Verteidiger zur Zurücknahme eines Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt wurde, einer ausdrücklichen Ermächtigung bedarf. Diese Vorschrift gilt nach ihrem Wortlaut nicht für Verfahrensbevollmächtigte von Nebenklägern.

2. Eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht. Mit der Sonderregelung wird im Hinblick auf die Wirkung der Zurücknahme des Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt worden war, dessen Schutz vor den Folgen einer unerwünschten Zurücknahme bezweckt. Es besteht kein Grund zu einer entsprechenden Anwendung, weil der Normzweck des Schutzes des Angeklagten vor dem Eintritt der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen Strafurteil, auf den Nebenkläger nicht ebenso zutrifft.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Köln vom 4. Oktober 2017, mit dem die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. Juli 2016 als unzulässig verworfen wurde, wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Revision der Nebenklägerin gegen das vorgenannte Urteil wirksam zurückgenommen ist.

Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten am 29. Juli 2016 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen hat die Nebenklägerin mit einem am 4. August 2016 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten Revision eingelegt und die Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 hat das Landgericht die Revision der Nebenklägerin erstmals als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss hat die Nebenklägerin 1 durch ihre Verfahrensbevollmächtigte am 9. Dezember 2016 die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt. Daraufhin hat der Senat durch Beschluss vom 23. Mai 2017 (NStZ-RR 2017, 230 f.) den Revisionsverwerfungsbeschluss des Landgerichts aufgehoben. Mit Schriftsatz vom 7. September 2017 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Nebenklägerin die Revision zurückgenommen, da kein Kontakt zur Mandantin bestehe und eine Besprechung des Urteils und der Revisionsbegründung nicht möglich sei.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 4. Oktober 2017 die Revision erneut als unzulässig verworfen, weil in der Frist gemäß § 345 Abs. 1 StPO keine Begründung abgegeben worden sei. Es hat ausgeführt, die Zurücknahme sei unwirksam. Diese bedürfe „gemäß § 302 Abs. 2 StPO“ einer ausdrücklichen Ermächtigung. Die Vorschrift sei auf Nebenklagevertreter entsprechend anzuwenden. Danach genüge die vorab erteilte Vollmacht der Nebenklägerin nicht, die nur allgemein zur Rücknahme von Rechtsmitteln erteilt worden sei. Vielmehr müsse eine Ermächtigung zur Zurücknahme des konkreten Rechtsmittels gefordert werden, die nicht vorliege.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 346 Abs. 2 StPO ist zulässig und begründet. Die Zurücknahme der Revision war wirksam. Dies steht der nachfolgenden Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig entgegen.

§ 302 Abs. 2 StPO bestimmt, dass ein Verteidiger zur Zurücknahme eines Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt wurde, einer ausdrücklichen Ermächtigung bedarf. Diese Vorschrift gilt nach ihrem Wortlaut nicht für Verfahrensbevollmächtigte von Nebenklägern (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 1964 - 2 Ws 372/64, JMBl. NW 1965, 23; MüKo-StPO/Allgayer, 2016, StPO § 302 Rn. 40; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 302 Rn. 68; LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 90; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 302 Rn. 29; ohne Begründung anders OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. April 2000 - 1 Ws 197/99, NStZ-RR 2001, 246). Eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht.

Mit der Sonderregelung des § 302 Abs. 2 StPO wird im Hinblick auf die Wirkung der Zurücknahme des Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt worden war, dessen Schutz vor den Folgen einer unerwünschten Zurücknahme bezweckt. Dieselbe Erwägung liegt der Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 3 StPO zugrunde, dass ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel nicht ohne dessen Zustimmung zurückgenommen werden kann (vgl. RG, Urteil vom 22. Mai 1896 - Rep. 1788/96, RGSt 28, 385, 386). § 302 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 StPO sind spezielle Vorschriften zum Schutz des Angeklagten. § 302 Abs. 2 StPO gilt hingegen nicht für den Vertreter des Nebenklägers. Es besteht kein Grund zu einer entsprechenden Anwendung, weil der Normzweck des Schutzes des Angeklagten vor dem Eintritt der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen Strafurteil, auf den Nebenkläger nicht ebenso zutrifft.

Das Strafurteil gegen den Angeklagten wird bei Eintritt der Rechtskraft durch Zurücknahme des Rechtsmittels gemäß § 449 StPO vollstreckbar. Die Zurücknahme entfaltet daher für ihn eine besondere Wirkung, die nach Einlegung des Rechtsmittels zu seinen Gunsten nur dann durch dessen Zurücknahme eintreten soll, wenn er dies ausdrücklich wünscht. Der Nebenkläger erstrebt dagegen mit seinem Rechtsmittel eine Änderung der Entscheidung zum Nachteil des Angeklagten. Die Zurücknahme dieses Rechtsmittels beschwert den Nebenkläger weniger. Die Interessenlage ist deshalb nicht derart gleich gelagert, dass eine Analogie zu der Sonderbestimmung des § 302 Abs. 2 StPO gerechtfertigt wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Sätze 1 und 3 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 101

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 45 ; StV 2018, 798

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner