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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 187

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 273/17, Beschluss v. 13.12.2017, HRRS 2018 Nr. 187


BGH 2 StR 273/17 - Beschluss vom 13. Dezember 2017 (LG Schwerin)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (erforderliche Darstellungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 24. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alte Geschädigte Ende Juni 2015 kennen. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig an den Wochenenden in dessen Wohnung in H., wobei es auch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 10. Juli 2015, dem Tag ihres 14. Geburtstags, fuhr sie erneut zum Angeklagten. Nachdem beide zunächst gemeinsam bei einem Freund Alkohol konsumiert hatten, begaben sie sich zur Wohnung des Angeklagten. Dort äußerte dieser, er wolle mit der Geschädigten schlafen. Trotz deren wiederholter Weigerung kniete er sich auf sie und versuchte, ihre Beine zu spreizen. Weil ihm dies zunächst nicht gelang, kniff er ihr in die Beine. Dann zog er sie nach und nach vollständig aus, wobei er ihre Handgelenke festhielt und so ihre Versuche unterband, sich gegen ihn zu stemmen und ihn zu treten. Als der Angeklagte sich entkleidete, versuchte die Geschädigte zu fliehen, wurde jedoch vom Angeklagten am Arm festgehalten und ins Gesicht geschlagen. Er schubste sie auf das Bett, setzte sich auf sie, hielt sie fest und drückte gegen ihren Widerstand mit seinen Füßen ihre Beine auseinander. Unter Schmerzen gab sie ihre als aussichtslos erkannte Gegenwehr auf. Daraufhin vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Anschließend begab sich die Geschädigte ins Badezimmer, um sich zu waschen. Den Rest der Nacht verbrachte sie in der Wohnung des Angeklagten, während dieser auf der Couch des Wohnzimmers schlief. Am nächsten Morgen reiste sie ab. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten noch wiederholt, wobei es bis zum 20. August 2015 noch mehrfach zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 21. August 2015 beendete die Geschädigte die Beziehung mit dem Angeklagten wegen dessen Alkoholkonsums und der damit einhergehenden Aggressivität und Eifersucht.

Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, aufgrund der Bekundungen der Geschädigten als überführt angesehen.

2. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der Vergewaltigung der Geschädigten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).

In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO).

b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.

(1) Bereits die Erwägungen des Landgerichts zur Aussageentstehung sind nicht tragfähig begründet.

Die Geschädigte, die gegenüber der Polizei erstmals am 19. Februar 2016 Angaben zum Tatgeschehen machte, hat als Erklärung dafür angegeben, sie habe über das Geschehen zunächst niemandem berichtet, da sie der Auffassung gewesen sei, es habe sich um keine Vergewaltigung gehandelt, weil eine solche immer mit der Ermordung des Opfers verbunden sein müsse. Sie habe zum Tatzeitpunkt gedacht, der Angeklagte dürfe sich nehmen, was er wolle (UA S. 12). Diese - auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Geschädigten - nicht nachvollziehbare und mit den von ihr behaupteten Widerstandshandlungen auch unvereinbare Vorstellung hat das Landgericht keiner ausreichend kritischen Würdigung unterzogen. Den Umstand, dass die Geschädigte das Tatgeschehen erst sieben Monate später offenbarte, hat es lediglich als Ausdruck eines durchgemachten „Erkenntnisprozesses“ gewertet, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein (UA S. 23).

(2) Die Jugendkammer hat sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussagen der Geschädigten nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die Zeugin in der Hauptverhandlung angegeben hat, den Angeklagten nach dem sexuellen Übergriff vom 10. Juli 2015 weiterhin besucht und bis zum 20. August 2015 mit ihm mehrfach einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (UA S. 7). Zwar hat das Landgericht gesehen, dass die Zeugin diese sexuellen Kontakte in zwei polizeilichen Vernehmungen ausdrücklich abgestritten hatte. Über diesen Widerspruch hinaus hat es jedoch diesen gegen eine stattgefundene Vergewaltigung sprechenden Umstand nicht in den Blick genommen. Dazu hätte auch schon deshalb besonderer Anlass bestanden, weil die Geschädigte in der Hauptverhandlung angegeben hat, sie leide noch heute unter der Tat und die sexuelle Beziehung mit ihrem derzeitigen Freund sei dadurch belastet, dass bei ihr die Bilder aus der Tatnacht immer „hochkommen“ (UA S. 8).

(3) Auch die Aussageanalyse des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Insoweit hat die Jugendkammer ausgeführt, dass die Aussage der Geschädigten eine Reihe von Realkennzeichen enthalte und bezüglich des Kerngeschehens konstant sei. Soweit die Strafkammer in der Aussage der Zeugin, der Angeklagte habe sie unmittelbar vor dem Ausziehen in die Beine gekniffen, ein „originelles Detail“ gesehen hat (UA S. 26), hat sie jedoch verkannt, dass die Geschädigte dies erstmals in der Hauptverhandlung berichtet hat. In ihren polizeilichen Vernehmungen hatte sie lediglich angegeben, der Angeklagte habe sie ausgezogen und ihr den Mund zugehalten, da sie geschrien habe (UA S. 28). Bezüglich eines vom Landgericht als wichtig eingestuften Details des Kerngeschehens fehlt somit die Aussagekonstanz.

Als weiteres wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium hat das Landgericht herangezogen, dass die Schilderung der Zeugin mit subjektiven Empfindungen verwoben sei (UA S. 26). Dabei übersieht es, dass auch insofern die Angaben der Geschädigten nicht konstant sind. Während sie in den polizeilichen Vernehmungen geschildert hatte, das vaginale Eindringen des Angeklagten habe ihr sehr wehgetan (UA S. 28), hat sie in der Hauptverhandlung angegeben, sie habe dadurch Schmerzen gehabt, dass sie dem Angeklagten bei dessen Versuch, ihre Beine auseinanderzudrücken, Widerstand entgegengesetzt habe (UA S. 7). Diese Schmerzen seien auch letztlich Auslöser dafür gewesen, den Widerstand aufzugeben.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 187

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede