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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1176

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 115/17, Beschluss v. 27.07.2017, HRRS 2017 Nr. 1176


BGH 2 StR 115/17 - Beschluss vom 27. Juli 2017 (LG Bonn)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 4. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung“ unter Einbeziehung mehrerer Einzelgeldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte R. befanden sich am 23. November 2014 gegen 04.30 Uhr auf dem Weg zur Wohnung des R. Sie kamen dabei am Gelände eines ihnen bekannten Autohauses vorbei. R., der seit einigen Tagen mit dem Gedanken gespielt hatte, in das Autohaus einzusteigen, weihte den Angeklagten in seine Pläne ein und überredete ihn mitzumachen. In Umsetzung ihres sodann gemeinsam gefassten Entschlusses gelangten sie gegen 05.00 Uhr in das Autohaus, überwältigten den schlafenden Inhaber, stülpten ihm ein schwarzes T-Shirt über den Kopf und fesselten ihn mit Klebeband und Kabeln an Händen und Füßen. Sie forderten den Nebenkläger auf, ihnen den Code für den Tresor zu nennen, um an das hierin befindliche Bargeld zu gelangen. Da sie die Zahlenkombination nicht erfuhren, schlugen und traten sie zeitgleich auf den am Boden liegenden Geschädigten ein. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrfach. Der gesondert Verfolgte R. drohte dem Nebenkläger zudem damit, ihm die Finger abzuschlagen und - nachdem er den Geschädigten mit einer (möglicherweise nicht brennbaren) Flüssigkeit übergossen hatte - ihn anzuzünden. Frustriert über die Erfolglosigkeit aller Bemühungen griff R. schließlich - für den Angeklagten überraschend - zu einem „harten“ Gegenstand und schlug dem Geschädigten auf den Hinterkopf, so dass dieser zusammenbrach.

Mit aus den Räumlichkeiten des Autohauses an sich gebrachten 1.750 Euro Bargeld, einem Mobiltelefon und einem Flachbildfernseher verließen schließlich der Angeklagte und der gesondert Verfolgte R. den Tatort mit dem auf dem Hof stehenden Pkw Land Rover des Geschädigten.

b) Der Angeklagte hat bestritten, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Er habe sich gegen Mitternacht von R. verabschiedet und sei nach Hause gegangen. Gegen 06.00 Uhr habe R. bei ihm geklopft und ihm einen Pkw Land Rover gezeigt. R. habe gefragt, ob er ihm einen Abnehmer für einen Pkw Land Rover, der „von der Straße müsse“, organisieren könne. Der Angeklagte sei interessiert gewesen und habe eine Probefahrt mit dem Fahrzeug unternommen. Nachdem es ihnen nicht gelungen sei, das Fahrzeug bei einem Onkel des R. unterzustellen, hätten sie das Fahrzeug auf einem Feldweg abgestellt, auf dem es dann gefunden wurde. Sie seien sodann zu Fuß zu einer Tankstelle gegangen und später mit einem Bus zurückgefahren. Im Bus habe R. ihm ein Mobiltelefon verkauft, das er später seinem Bruder gegeben habe.

Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten als Schutzbehauptung gewertet und seine Überzeugung von der Mittäterschaft des Angeklagten im Wesentlichen auf die für glaubhaft erachtete Aussage des gesondert Verfolgten R. gestützt. Diese Aussage werde zudem durch gewichtige Beweisanzeichen bestätigt, nämlich durch im Pkw Land Rover sichergestellte DNA-Spuren des Angeklagten, durch das beim Bruder des Angeklagten sichergestellte Mobiltelefon des Geschädigten und durch Videoaufzeichnungen aus den Überwachungskameras der Tankstelle und des Autohauses. Zwar seien die auf sämtlichen Videoaufzeichnungen abgebildeten Personen mangels entsprechender Schärfe der Aufnahmen nicht zu identifizieren; allerdings stimmten das jeweilige Größenverhältnis der abgebildeten Personen zu demjenigen des Angeklagten und R. überein. Hinzu kommt die Übereinstimmung der von den abgebildeten Personen getragenen Kleidungen (u.a. „dunkleres Base-Cap“, „dicke Jacke“, „dunkle bis schwarze Hose“, „sehr helles Schuhwerk“).

2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; die Beweiswürdigung hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn sie unterlässt die hier notwendige Erörterung eines (weiteren) naheliegenden Falschbelastungsmotivs des gesondert Verfolgten R. .

aa) Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Tatbeteiligung des Angeklagten im Wesentlichen auf die Aussage des R. Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte R. zwar in der gegen ihn gerichteten Strafsache vor dem Jugendschöffengericht noch jegliche Tatbeteiligung abgestritten. In seiner zeugenschaftlichen Vernehmung „in dem gegen den bis dahin als Mittäter verdächtigen“ Y. geführten Verfahren habe er aber seine Tatbeteiligung eingeräumt und erstmals den Angeklagten als Mittäter benannt. Diese Einlassung habe er in der in seiner Strafsache durchgeführten Berufungshauptverhandlung, die zu einer gegenüber der erstinstanzlichen Verurteilung um 1 1/2 Jahre reduzierten Einheitsjugendstrafe von vier Jahren geführt hat, wiederholt.

Im hiesigen Verfahren hat R. erneut den Angeklagten als Mittäter benannt und dabei „die stattgefundenen Gewalthandlungen allein dem Angeklagten zugeschrieben“. Das Landgericht hat zwar der Aussage des R. nicht geglaubt, soweit dieser dem Angeklagten sämtliche Verantwortungsanteile bei der Tatbegehung zugewiesen und er überdies angegeben hat, dass es keinerlei Tatbeute gegeben habe. Soweit R. den Angeklagten indes als Mittäter benannt habe, ist das Landgericht angesichts der weiteren außerhalb der Aussage R. s bestehenden objektiven Umstände - auch mit Blick auf die in der Berufungsinstanz reduzierte Jugendstrafe - von deren Richtigkeit überzeugt.

bb) Das Landgericht hat insoweit zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten erörtert, jedoch nur unter dem Gesichtspunkt, dass es R. möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, einen Strafrabatt zu erhalten. Das Landgericht hat dieses (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung mit der Erwägung ausgeschlossen, dass R. zum Zeitpunkt seiner den Angeklagten belastenden Angaben annehmen musste, dass seine Angaben sowohl durch die Ermittlungsbehörden als auch durch die Berufungskammer einer Überprüfung unterzogen würden. Daher habe bei einer unberechtigten Belastung des Angeklagten als Mittäter die Gefahr bestanden, dass sich eine solche Behauptung als unzutreffend erweisen würde, was sich für die erstrebte Herabsetzung der Jugendstrafe als kontraproduktiv erwiesen hätte (UA S. 22 f.).

cc) Indes übersieht die Strafkammer, dass R. auch ein weiteres Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten als Mittäter gehabt haben könnte. R. hat den Angeklagten erstmalig in einem ursprünglich gegen eine andere Person („Y. “) geführten Ermittlungsverfahren belastet. Das Landgericht legt nicht dar, ob R. dementsprechend einen Grund gehabt haben könnte, Y. zu schützen und gerade deswegen den Angeklagten als Mittäter zu benennen. Es erhellt sich bereits nicht, ob und in welcher Beziehung R. und Y. zueinander stehen, warum - neben R. - in dieser Sache überhaupt gegen Y. ermittelt worden ist und warum sich letztlich „der Verdacht gegen diesen nicht bestätigt“ (UA S. 22) hat. Die Mitteilung diesbezüglicher Angaben aber wäre erforderlich gewesen, um überprüfen zu können, ob die Aussage des Zeugen R. geeignet ist, die Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerfrei zu widerlegen.

3. Angesichts dessen, dass die Strafkammer der Aussage des Zeugen R. nur teilweise geglaubt hat und sich weitere außerhalb der Aussage dieses Zeugen bestehende „gewichtige Beweisanzeichen“ auch mit der Einlassung des Angeklagten vereinbaren lassen, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1176

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 384

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede