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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 225

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 41/16, Beschluss v. 11.01.2017, HRRS 2017 Nr. 225


BGH StB 41/16 - Beschluss vom 11. Januar 2017

Dringender Tatverdacht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2016 - 2 BGs 709/16 - in Verbindung mit dem Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2016 - 2 BGs 879/16 - wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Der Beschuldigte wurde am 8. November 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2016 (2 BGs 709/16) in Untersuchungshaft.

Gegenstand des mit der Beschwerde angefochtenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe im Juli und August 2015 eine Vereinigung im außereuropäischen Ausland unterstützt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), indem er als Teil eines aus mehreren Personen bestehenden Netzwerks auf Anweisung des gesondert verfolgten A. die Ausreise des gesondert Verfolgten O. nach Syrien organisiert habe, wo sich letzterer der Vereinigung „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS) angeschlossen habe.

2. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl ist unbegründet.

Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der „Islamische Staat“ ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ in „Islamischer Staat“ umbenannte - wodurch sie von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien“ Abstand nahm -, hat der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne, der von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt wurde, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al I'tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitterkanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich und Belgien, die Verantwortung übernommen.

bb) Der Beschuldigte war in ein Netzwerk um den gesondert Verfolgten A. eingebunden, das Personen in Deutschland gezielt darauf vorbereitete, sich dem IS anzuschließen und sie als Kämpfer in die vom IS kontrollierten Gebiete vermittelte. Eine dieser Personen war der gesondert Verfolgte O. Dieser wurde von anderen Angehörigen des Netzwerks zunächst in arabischer Sprache unterrichtet und ihm wurden radikalislamistische Inhalte vermittelt; insbesondere wurde ihm erklärt, nur Anhänger des IS seien wahre Muslime und das Leben im „Islamischen Staat“ sei deshalb obligatorisch. Außerdem wurden die grausamen Hinrichtungen durch den IS gerechtfertigt. Nach Abschluss dieser Ausbildung und Indoktrinierung traf O. in H. mit A. zusammen, der seine Ausreise nach Syrien in die Wege leiten sollte. Dieser nannte ihm „als seine rechte und seine linke Hand“ den gesondert Verfolgten Om. und den Beschuldigten. Mit diesen traf sich O. mehrfach. Sie empfahlen ihm, zunächst auf dem Landweg nach Brüssel zu reisen, von dort nach Rhodos zu fliegen und dann weiter in die Türkei und letztlich nach zu Syrien reisen. So sollte ein Einschreiten der Behörden verhindert werden, das die Beteiligten befürchteten, weil O. bereits am 7. Juli 2015 eine Verfügung der Stadt Aa. zugestellt worden war, mit der ihm sein Reisepass entzogen und der Geltungsbereich seines Personalausweises auf das Bundesgebiet beschränkt worden war. Außerdem gaben ihm der Beschuldigte und Om. Telefonnummern von Schleusern, die er nach seinem Eintreffen in der Türkei kontaktieren sollte, um seine Weiterreise nach Syrien zu bewerkstelligen, und erteilten ihm klare Anweisungen, wie er sich nach der Ankunft in der Türkei verhalten solle. Schließlich schlugen sie ihm vor, zur Ausreisefinanzierung Mobilfunkverträge abzuschließen, um in den Besitz hochpreisiger Apple-Geräte zu gelangen. Dem kam O. nach und händigte die Geräte an den gesondert Verfolgten Om. und dessen Begleiter aus, die ihm dafür mehrere Hundert Euro gaben. Zuvor hatte sich O. noch ein Rechtsgutachten von dem gesondert Verfolgten A. ausstellen lassen, das ein solches Vorgehen für islamisch gerechtfertigt erklärte, weil „jeder Muslim auf der Welt das Recht hätte, sich das Eigentum eines Nicht Muslim anzueignen.“ Das „Gut und Blut der Nicht Muslime“ sei nicht geschützt. Tatsächlich reiste der gesondert Verfolgte O. mit seiner Frau ab dem 7. August 2015 über Brüssel und Rhodos nach Alanya in der Türkei. Von dort teilte O. wie verabredet dem Beschuldigten seine Ankunft mit. Außerdem kontaktierte er einen der ihm von dem Beschuldigten genannten Schleuser unter der angegebenen Telefonnummer, der ihn wiederum an eine weitere Person verwies, mit deren Hilfe O. und seine Frau ein sogenanntes Safe-House in Urfa in der Türkei erreichten. Von dort wurden sie schließlich nach Syrien geschleust, wo sich O. dem IS als Mitglied anschloss.

b) Entstehung, Ziele, Vorgehensweise und Struktur des IS waren bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des Senats, dem aus diesen Verfahren Auswertungen des Bundeskriminalamtes und insbesondere gutachterliche Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. bekannt sind, aus denen sich der dringende Tatverdacht ergibt, dass es sich beim IS um eine terroristische Vereinigung handelt.

Dass es mit großer Wahrscheinlichkeit ein überregionales Netzwerk um den gesondert Verfolgten A. gab, dass der Beschuldigte in dieses eingebunden war und in der beschriebenen Art und Weise an der Organisation der Ausreise O. s nach Syrien zum Anschluss an den IS mitwirkte, folgt aus den Angaben des O. in seinen Beschuldigtenvernehmungen. Diese werden weitgehend bestätigt durch Angaben einer durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen geführten Vertrauensperson, der der Generalbundesanwalt Vertraulichkeit zugesichert hat. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Ausführungen in dem Haftbefehl sowie in dem Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2016 (2 BGs 879/16), mit dem er den Haftbefehl aufrecht erhalten und in Vollzug belassen hat.

Das Beschwerdevorbringen und die darin in Bezug genommenen schriftsätzlichen Ausführungen der Verteidigung im Haftprüfungsverfahren geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung: Letztlich zeigt der Beschuldigte lediglich auf, dass O. in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung angegeben hat, er habe die durch den Abschluss von Mobilfunkverträgen erlangten Geräte an den Beschuldigten und Om. übergeben, wohingegen sich aus den bei den Akten befindlichen Observationsberichten ergibt, dass bei dieser Übergabe der Beschuldigte nicht persönlich zugegen war. Die weiteren Einwände gegen die Beweisgrundlage erschöpfen sich im Wesentlichen im Bestreiten der Angaben des gesondert verfolgten O., in eigenen Bewertungen der Beweismittel sowie in Spekulationen darüber, dass O. den Beschuldigten erst belastet habe, nachdem er über die Regelung des § 46b StGB belehrt worden sei. Nachdem der gesondert Verfolgte O. mit diesen Vorhalten in seiner Nachvernehmung vom 28. November 2016 konfrontiert worden ist, hat er Widersprüche auszuräumen vermocht; angesichts der Bestätigung, die seine Angaben im weiteren Ermittlungsverfahren (Angaben der Vertrauensperson, Ermittlungen zu Reisebewegungen O. s, Ergebnisse retrograder Telefonüberwachung) gefunden haben, ist weder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben noch seine Glaubwürdigkeit in einem Maße erschüttert, dass der dringende Tatverdacht entfiele.

c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich auf dieser Beweisgrundlage der dringende Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, nach § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Ihm war bekannt, dass O. sich dem IS als Kämpfer anschließen wollte. Indem er ihm bei der Organisation seiner - erfolgreichen - Ausreise und dem Anschluss an den IS behilflich war, förderte er die terroristischen Ziele dieser Vereinigung.

Insoweit ist deutsches Strafrecht anwendbar: Dies folgt unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 1 und 4 StGB, weil die Tat durch eine in Deutschland ausgeübte Tätigkeit begangen wurde und der Angeklagte sich in Deutschland befindet (vgl. zum Strafanwendungsrecht nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB nunmehr auch BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 34 ff.).

Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der sich als „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ sowie als „Islamischer Staat“ bezeichnenden ausländischen terroristischen Vereinigung liegt - als Neufassung der bisherigen Verfolgungsermächtigung - seit dem 13. Oktober 2015 vor.

3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Bei dem IS handelt es sich um eine besonders gefährliche und grausam vorgehende terroristische Vereinigung. Die Unterstützungshandlung des Beschuldigten war auch schwerwiegend, weil er als Teil eines überregional agierenden Netzwerks dazu beitrug, dieser Vereinigung einen Kämpfer zur Verfügung zu stellen.

Mit Blick darauf steht nicht zu erwarten, dass der Beschuldigte dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz widerstehen und sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden freiwillig zur Verfügung stellen wird. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass der Beschuldigte als kamerunischer Staatsangehöriger aktiv für die Ausreise aus der Bundesrepublik und den Anschluss an den IS eintritt. Seine Kontaktpersonen im Inund Ausland sind mit der Schleusung ausreisewilliger Personen befasst, so dass zu befürchten ist, dass auch der Beschuldigte im Fluchtfall auf ihre Unterstützung zurückgreifen und sich dem Strafverfahren entziehen wird. Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 225

Bearbeiter: Christian Becker