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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 783

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 22/16, Beschluss v. 14.07.2016, HRRS 2016 Nr. 783


BGH StB 22/16 - Beschluss vom 14. Juli 2016

Dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung („Gruppe Freital“; Voraussetzungen des Vereinigungsbegriffs; Vorgehen gegen politisch Andersdenkende und Asylbewerber); Fortdauer der Untersuchungshaft.

§ 129a StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 120 StPO

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. April 2016 - 3 BGs 65/16 - wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 19. April 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. April 2016 - 3 BGs 65/16 - in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich von Juli bis November 2015 in drei Fällen als Mitglied an der „Gruppe Freital“ beteiligt und damit an einer Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) bzw. gemeingefährliche Straftaten insbesondere in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB). In zwei der drei Fälle habe er jeweils tateinheitlich

- am 1. November 2015 in Freital gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 StGB) herbeigeführt und unmittelbar dazu angesetzt, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), wobei er einen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzt (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigt habe (§ 303 StGB);

- im Zeitraum zwischen Juli und November 2015 gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten in Freital und an anderen Orten Explosionsverbrechen vorbereitet (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl ist unbegründet.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der Beschuldigte, sieben Mitbeschuldigte und weitere Personen bildeten spätestens im Juli 2015 die „Gruppe Freital“. Diese Personenvereinigung war auf längere Zeit angelegt und darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Ideologie durch die Begehung von Anschlägen gewaltsam durchzusetzen.

Die fortlaufenden Anschlagsplanungen sahen insbesondere Sprengstoffanschläge auf von Asylbewerbern bewohnte Unterkünfte und Wohnungen politisch Andersdenkender vor, die mittels pyrotechnischer Sprengkörper begangen werden sollten und in mehreren Fällen auch begangen wurden. Dabei wurden die Sprengkörper teilweise von außen an Fensterscheiben platziert, wodurch sie wie (Glas-)Splitterbomben wirkten. Insoweit nahmen die Mitglieder der Vereinigung - jedenfalls in einem der Fälle - die Tötung von Menschen, die sich in den angegriffenen Räumlichkeiten aufhielten, billigend in Kauf. Mit diesen Taten sollten politisch Andersdenkende eingeschüchtert und Asylbewerber zur Ausreise aus Deutschland veranlasst werden.

Ihre rechtsextreme und fremdenfeindliche Gesinnung dokumentierten die Mitglieder der Vereinigung bei gemeinsamen persönlichen - häufig an einer -Tankstelle in Freital abgehaltenen - Treffen, in sozialen Netzwerken, aber auch in Internet-Chatgruppen. Letzterer bediente sich die Vereinigung auch zu Anschlagsplanungen/-verabredungen, wobei sie einen Instant-Messaging-Dienst verwendete, der die Einrichtung geheimer, verschlüsselter Chatgruppen ermöglichte; von dieser Möglichkeit machten sie mit dem sogenannten schwarzen Chat, in dem „ausschließlich heftige Aktionen besprochen“ wurden und dessen Teilnehmer „ausschließlich die Terroristen“ waren, auch Gebrauch. Der Beschuldigte unterhielt unter dem Benutzernamen „Bu.“ einen Account in diesem „schwarzen Chat“ und nahm rege an Diskussionen, Abstimmungen sowie Verabredungen in diesem Chat teil.

Innerhalb der Organisation waren die Mitbeschuldigten F. und S. maßgeblich für die Planung und Organisation der Anschläge verantwortlich, wobei der Mitbeschuldigte F. auch anderen Mitgliedern die ihnen bei der Ausführung von Anschlägen zukommenden Rollen zuwies und mit Explosivstoffen experimentierte, etwa um eine verzögerte Explosionszeit oder allgemein die Wirkung pyrotechnischer Sprengkörper zu testen. Der innerhalb der Vereinigung ebenfalls als treibende Kraft agierende Mitbeschuldigte S. war zudem in der Lage, gleichgesinnte Personen zu mobilisieren, sofern sie zu Zwecken der Vereinigung benötigt wurden. Der Mitbeschuldigte W. hatte als „Internet-Spezialist“ die Aufgabe übernommen, Informationen über die linke Szene zu sammeln.

Die Mitglieder der Vereinigung agierten konspirativ, indem sie nicht nur die Verschlüsselungs- und Löschungsfunktionen des verwendeten Instant-Messaging-Dienstes bewusst einsetzten, sondern sich darüber hinaus auch einer codierten Sprache bedienten, etwa indem sie Sprengkörper als „Obst“ bezeichneten oder Kurzbezeichnungen (z.B. „BS“ für Buttersäure - so auch der Beschuldigte in einem Chat-Beitrag vom 4. Oktober 2015) benutzten. Die Gruppentreffen an öffentlichen Orten, etwa an der genannten Tankstelle, dienten der Besprechung der gemeinsamen Ziele im persönlichen Rahmen.

Innerhalb der Gruppierung wurde deren Vorgehen von allen Mitgliedern diskutiert; Entscheidungen wurden gemeinsam - gegebenenfalls durch Abstimmungen - getroffen, wobei den Auffassungen der Mitbeschuldigten F. und S. entsprechend ihrer Funktion als Initiatoren und Organisatoren von Anschlägen ein großes Gewicht zukam. Im Verlauf der Diskussionen entwickelte sich eine gruppenspezifische Eigendynamik, die zur wechselseitigen Bestärkung der Gruppenmitglieder in ihren Auffassungen und ihrer Bereitschaft beitrug, sich auch an den Anschlägen der Vereinigung zu beteiligen. So führte der Mitbeschuldigte W. im „schwarzen Chat“ aus, die Beteiligten sollten aufhören, sich untereinander zu streiten und ihren Hass stattdessen auf alles Fremde richten. Kameraden lasse man nicht im Stich und es sei wichtig, „dass der Naziterror weitergeht“. Folglich sahen sich die Mitglieder als gegenseitig verpflichtet an, sich an den gemeinsamen Aktionen der Gruppierung zu beteiligen und erwarteten auch von anderen deren Teilnahme; ein anderer Mitbeschuldigter erklärte seine Mitwirkung an einem der Anschläge gar mit „Gruppenzwang“, dem er sich ausgesetzt gesehen habe.

Die Anschläge wurden durch koordiniertes, arbeitsteiliges Zusammenwirken der jeweils beteiligten Gruppenmitglieder vorbereitet, etwa indem über den „schwarzen Chat“ Treffpunkt, Uhrzeit, Teilnehmerkreis und mitzubringende Tatmittel vereinbart wurden. Die Mitbeschuldigte K. leistete zudem Aufklärungsarbeit, ihr und anderen Mitgliedern kamen auch logistische Aufgaben zu, etwa der Transport von Mittätern zum Tatort oder das Steuern des Fluchtwagens. An den vereinbarten Treffpunkten, die regelmäßig in der Nähe der Tatorte lagen und als Sammelpunkte dienten, fanden zudem weitere Besprechungen zu Details der jeweiligen Tatausführung statt, an denen auch der Beschuldigte teilnahm.

bb) Aus dieser Gruppierung heraus wurden jedenfalls die nachfolgend beschriebenen Anschläge bzw. weitere Straftaten begangen (nachfolgend (1) bis (4)). Ob der Vereinigung auch weitere Anschläge/Straftaten zuzurechnen sind, bedarf derzeit noch weiterer Ermittlungen.

(1) In der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015 gegen Mitternacht brachte der Mitbeschuldigte F. als Mitglied der Vereinigung einen pyrotechnischen Sprengsatz vom Typ Cobra 12, den er zuvor von außen am Küchenfenster der von Asylbewerben bewohnten Unterkunft B. straße in Freital angebracht hatte, zur Detonation. Durch die von der Explosion ausgelöste Druckwelle zerbarst die Fensterscheibe, der Fensterrahmen wurde deformiert. Glas- und Kunststoffsplitter flogen durch die Küche und schlugen in der vier Meter vom Fenster entfernten gegenüberliegenden Wand ein; teilweise flogen die Splitter auch durch die geöffnete Küchentür in den angrenzenden Flur. Die sich zur Tatzeit in der Wohnung aufhaltenden acht Personen blieben nur deshalb unverletzt, weil sie sich nicht in der Küche oder im Flur befanden, sondern in den anderen Räumen schliefen.

Dem Mitbeschuldigten F. war die Wirkung des verwendeten Sprengsatzes bekannt. Er wusste auch, dass die Wohnung von Asylbewerbern genutzt wurde; darauf kam es ihm gerade an. Die naheliegende Möglichkeit, dass der Küchenraum einer Wohnung auch zur Nachtzeit von Bewohnern der Wohnung betreten werden kann, die alsdann von herumfliegenden Splittern zumindest gravierend verletzt werden könnten, war ihm ebenfalls bewusst.

Es besteht aus den vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes im Einzelnen dargelegten Gründen der dringende Tatverdacht, dass es sich bei dieser Tat des Mitbeschuldigten F. um eine Tat der Vereinigung „Gruppe Freital“ handelte. Ob sich bestehende Anhaltspunkte, dass auch der Beschuldigte und andere Mitglieder der Vereinigung an ihrer Ausführung beteiligt waren - so bemühte sich der Beschuldigte etwa um ein Alibi für die Tatnacht, nachdem die Polizei im Rahmen der Ermittlungen zwei andere Mitbeschuldigte als Zeugen vernommen hatte -, im Sinne eines dringenden Tatverdachts erhärten lassen, bedarf noch weiterer Ermittlungen.

(2) In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 verübten Mitglieder der „Gruppe Freital“ gemeinsam mit weiteren Personen einen Sprengstoffanschlag auf Bewohner des von dem linksgerichteten alternativen Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ genutzten Wohnhauses O. straße in D. Dieser Anschlag war ein „Racheakt“ der Vereinigung an den Bewohnern, die sie für einen vermeintlichen Angriff linksgerichteter Personen auf einen Teilnehmer an einer Blockade einer Turnhalle verantwortlich machten, in der eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden sollte. Im „schwarzen Chat“ verabredeten sich die Mitbeschuldigten im Verlauf des 18. Oktober 2015 zum nächtlichen Angriff auf das Gebäude, wobei bereits besprochen wurde, wer welche Tatmittel - etwa Sprengkörper oder Buttersäure - mitbringen könne.

Gegen 19 Uhr trafen sich Mitglieder der „Gruppe Freital“ zunächst an der Tankstelle in Freital und begaben sich später nach D., wo sie ab 20 Uhr mit einer Dresdner Gruppe von Gleichgesinnten an einer Turnhalle zusammentrafen. Der Beschuldigte nahm an diesem Treffen teil und befürwortete die geplante Gewaltanwendung offen; später verließ er indes die Gruppe und fuhr seine Freundin nach Hause.

Der Mitbeschuldigte F. und ein Teilnehmer aus der Dresdner Gruppe hatten das Grundstück vorher ausgekundschaftet. Unter einer Brücke in der Nähe des Wohnprojekts kam die aus 20-30 Personen bestehende Gruppe der Angreifer zusammen. Es wurden mehrere Sprengsätze - auch mit Buttersäure versehene - hergestellt. Die Mitbeschuldigten F. und S. verteilten weitere nicht in Deutschland zugelassene Sprengmittel und Steine an die Anwesenden und teilten die Tatbeteiligten in Gruppen ein. Die Dresdner Teilnehmer griffen entsprechend dem von dem Mitbeschuldigten F. entwickelten und allen Tatbeteiligten detailliert erläuterten Tatplan ab 23.50 Uhr zusammen mit dem Mitbeschuldigten Kn. das Haus von vorne an, wobei dieses Manöver nur der Ablenkung dienen sollte; den eigentlichen Angriff führten die Mitbeschuldigten F., S., Se. und Sch. zusammen mit anderen Personen von der Hinterseite des Grundstücks: Sie warfen zahlreiche Sprengsätze und Steine auf Fensteröffnungen des Hauses, mit denen sie indes nur Sachschaden anrichteten. Durch die mit Buttersäure versehenen Sprengkörper, die sie im Inneren des Hauses zur Detonation bringen wollten, beabsichtigten sie, das Haus unbewohnbar zu machen. Dies misslang, weil die Mitbeschuldigten die anvisierten Fensteröffnungen nicht trafen.

Die tatausführenden Mitglieder der Vereinigung, denen die erhebliche Sprengkraft der von ihnen verwendeten, in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper bekannt war, nahmen die gravierende Verletzung der anwesenden Bewohner des Hauses billigend in Kauf; sie hatten von der Raumaufteilung keine Kenntnis und konnten deshalb nicht ausschließen, dass sich in den Räumen hinter den von ihnen anvisierten Fenstern Personen aufhalten würden. Aufgrund der bekannten Gefährlichkeit der verwendeten Sprengsätze war den Beschuldigten auch die mögliche Todesgefahr bewusst, in die sie die Bewohner des angegriffenen Hauses brachten.

(3) Im Laufe des 31. Oktobers 2015 planten Mitglieder der Vereinigung einen Anschlag auf die als Asylbewerberunterkunft dienende Wohnung Wi. Straße in Freital. Dazu trafen sie sich gegen 16.30 Uhr an der genannten Tankstelle in Freital und fuhren zunächst gemeinsam nach Tschechien, wo sie mehrere in Deutschland nicht zugelassene pyrotechnische Sprengkörper erwarben. Schon vorher hatten die Mitbeschuldigten K. und S. telefonisch erörtert, dass sich die Gruppe am Abend treffen wolle, um ein „bisschen zu eskalieren“. Gegen 21.30 Uhr kam der Beschuldigte mit den Mitbeschuldigten F., S., Sch., W., Kn. und K. sowie seiner Lebensgefährtin an der Tankstelle zusammen; bei diesem Treffen beschlossen die Anwesenden, den Anschlag auf die Asylbewerberunterkunft auszuführen und besprachen ausführlich die Tatmodalitäten, das vorherige Auskundschaften der Tatörtlichkeit sowie die Aufgabenverteilung. Nach Abschluss der Planung verließen die Beteiligten zunächst den Bereich der Tankstelle und 19 20 trafen sich, nachdem der Mitbeschuldigte F. im Beisein des Mitbeschuldigten Kn. in seiner Wohnung die Sprengsätze präpariert hatte, gegen 0.30 Uhr an einer Grundschule, von der aus sie mit mehreren Fahrzeugen zu einem Feld in der Nähe der Asylbewerberunterkunft fuhren.

In der Nacht auf den 1. November 2015 gegen 0.50 Uhr stellten die Mitbeschuldigten F., W. und Sch. an drei Fenstern der genannten Wohnung jeweils einen in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper vom Typ Cobra 12 auf dem Fensterbrett ab und brachten diese annähernd zeitgleich zur Zündung. Ihnen war bekannt, dass sich hinter zwei der Fenster Schlafzimmer und hinter dem dritten die Küche der Wohnung befanden. Die Innenscheiben der doppelverglasten Fenster zerbarsten in teilweise handtellergroße Splitter, die durch die hinter den Fenstern liegenden Innenräume geschleudert wurden. Einer der Bewohner, der zur Tatzeit in seinem Bett lag, wurde durch die herumfliegenden Splitter im Gesicht verletzt; er erlitt mehrere Schnittverletzungen an der Stirn. Die drei anderen Bewohner konnten sich, nachdem einer von ihnen die abbrennende Lunte bemerkt hatte, auf dessen Warnruf hin in den Flur retten, wodurch weitere mögliche gravierende Verletzungen verhindert werden konnten.

Der Beschuldigte und die Mitbeschuldigten S., Kn. und K. warteten abredegemäß in der Nähe des Tatorts, von wo aus sie das weitere Geschehen beobachteten. Nach Ausführung des Anschlags flohen die drei tatausführenden Mitbeschuldigten in dem von dem Beschuldigten gesteuerten Fluchtwagen. Auch die anderen Mitbeschuldigten verließen ihren Beobachtungsposten.

Dem Beschuldigten sowie den weiteren beteiligten Mitgliedern der Vereinigung waren die Sprengwirkung der eingesetzten Sprengkörper und die Gefährlichkeit insbesondere der konkreten Begehungsweise durch die Splitterwirkung der Fensterscheiben bekannt. Sie nahmen den Tod der in der Wohnung befindlichen Asylbewerber, um deren Anwesenheit sie wussten, gleichwohl in Kauf, als sie die Tat trotz im Vorfeld aufgekommener Bedenken, dass dabei Menschen zu Schaden kommen könnten, ausführten; solche Bedenken wurden von dem Mitbeschuldigten F. vielmehr ausdrücklich zurückgestellt, indem er ausführte: „Ob wir das nicht wollen?" und anschließend lachte.

(4) Der Beschuldigte plante mit den anderen Mitgliedern der Vereinigung die Herbeiführung weiterer Sprengstoffexplosionen, bei denen Leib oder Leben anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden sollten. Um diese ausführen zu können, fuhren die Mitglieder der Vereinigung - wie bereits oben dargelegt - nach Tschechien, um sich dort mit in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörpern zu versorgen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten wurden drei solcher Sprengkörper sichergestellt.

b) Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Der erforderliche dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der Auswertung der auf dem Mobiltelefon der Mitbeschuldigten K. sichergestellten Protokolle namentlich des „schwarzen Chats“, aus den Ergebnissen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und aus den Vernehmungen des Beschuldigten und zahlreicher Mitbeschuldigter, die sich teilweise selbst und gegenseitig erheblich belastet haben. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die ausführliche, mit den Beweisergebnissen belegte Sachverhaltsdarstellung in dem Haftbefehl.

c) In rechtlicher Hinsicht ist aufgrund dieses Ermittlungsergebnisses zunächst der Verdacht belegt, dass sich in Freital eine Vereinigung gegründet hatte, die auf die Begehung von Tötungsdelikten sowie Sprengstoffverbrechen gerichtet war, an der sich der Beschuldigte als Mitglied beteiligte, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB.

Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, JZ 2016, 473, 474). Eine solche Vereinigung wird zur terroristischen, wenn ihre Zwecke oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gemäß den Katalogen des § 129a Abs. 1 und 2 StGB gerichtet sind. Diese Zielsetzung muss durch den internen Willensbildungsprozess der Mitglieder gedeckt sein; der Gruppenwille erleichtert dem Einzelnen die Begehung von Straftaten und drängt das Gefühl persönlicher Verantwortung zurück, woraus sich die vereinigungsbezogene Gefährlichkeit im Sinne der in größeren Personenzusammenschlüssen liegenden typischen Eigendynamik ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 229).

Die „Gruppe Freital“ erfüllte entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Voraussetzungen. Ihre Zusammensetzung und ihre Ausrichtung ergeben das Vorliegen des personellen, des zeitlichen und des organisatorischen Elements. Auch das Willenselement ist durch das beschriebene Verhalten bei der Willensbildung (gemeinsame Diskussion und Abstimmung) belegt.

Die von der Vereinigung begangenen Taten erweisen sich nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen als Straftaten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB. Die Sprengstoffanschläge hatten - unabhängig von der Frage eines ohnehin zur Anwendung von § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB führenden Tötungsvorsatzes - das Ziel, politisch Andersdenkende einzuschüchtern und Asylbewerber so zu verängstigen, dass sie die Bundesrepublik Deutschland wieder verlassen würden. Ein solches Vorgehen gegen politisch Andersdenkende und Asylbewerber, die sich infolgedessen nicht mehr sicher und geschützt fühlen können und das so zu einer tiefgreifenden Beeinträchtigung der inneren Sicherheit und des Vertrauens der Bevölkerung in ihre Gewährleistung führt, erfüllt die Voraussetzungen von § 129a Abs. 2 StGB, zumal, wenn sich die Anschläge in eine Vielzahl ausländerfeindlicher Straftaten im gesamten Bundesgebiet einreihen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603, 1604 mwN).

Der Beschuldigte gehörte als Teilnehmer an dem nur den „Terroristen“ vorbehaltenen „schwarzen Chat“ zum inneren Kreis dieser Vereinigung. Er war zudem der Fahrer des Fluchtwagens für die ausführenden Täter des versuchten Mordes im Fall a) bb) (3). Dies begründet den dringenden Verdacht, dass er sich als Mitglied an dieser Vereinigung beteiligte.

Im Fall a) bb) (3) ist der Beschuldigte zudem dringend verdächtig, sich als Mittäter an dem Anschlag beteiligt und damit - tateinheitlich zu der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, JZ 2016, 473, 475) - versucht zu haben, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), wobei er einen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzte (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigte (§ 303 StGB). Der dringende Verdacht, dass bei dem Beschuldigten Tötungsvorsatz vorlag, ergibt sich maßgeblich aus der allgemein bekannten besonderen Gefährlichkeit der an den Fensterscheiben angebrachten Sprengladungen. Zudem wurden etwaige Bedenken, dass Menschen verletzt werden könnten, im Vorfeld des konkreten Anschlags - wie dargelegt - von dem Mitbeschuldigten F. zurückgestellt; gleichwohl beteiligte sich der Beschuldigte an dem Anschlag. Dass er dabei „nur“ als Fahrer des Fluchtwagens agierte und nicht selbst einen Sprengsatz anbrachte, steht angesichts des Tatinteresses der Vereinigungsmitglieder und ihres vereinbarten arbeitsteiligen Vorgehens der Bewertung seines Tatbeitrags als mittäterschaftlich nicht entgegen.

Im Fall a) bb) (4) begründen bereits die in der Wohnung des Beschuldigten aufgefundenen Sprengkörper im Zusammenhang mit der übrigen Ausrichtung der Vereinigung, dass er dringend verdächtig ist - wiederum tateinheitlich zu der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung -, ein Explosionsverbrechen nach § 308 Abs. 1 StGB vorbereitet zu haben, strafbar gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

2. a) Es besteht - worauf auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend abgestellt hat - der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Der Beschuldigte hat im Fall einer Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Diesem stehen hinreichende persönliche und soziale Bindungen des ledigen Beschuldigten nicht entgegen, mag er auch zuletzt einer Tätigkeit als Fahrer nachgegangen sein. Dass er sich seit November 2015 in Kenntnis der laufenden Ermittlungen dem Verfahren bislang nicht entzogen hat, führt entgegen der Annahme der Verteidigung des Beschwerdeführers zu keiner anderen Beurteilung:

Der erstmals in dem angefochtenen Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs erhobene Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der auf zahlreichen neu hinzutretenden Ermittlungsergebnissen tatsächlicher Art beruhte, war zuvor nicht Gegenstand des Verfahrens. Schon das Hinzutreten dieses Tatvorwurfs, der den Beschwerdeführer auch mit den Taten der Vereinigung vom 19./20. September bzw. 18./19. Oktober 2015 in Verbindung bringt - ohne dass ihm insoweit bislang eine Tatbeteiligung konkret zur Last gelegt wird -, führt aufgrund der damit verbundenen Straferwartung zu einer Verstärkung des Haftgrundes der Fluchtgefahr und jedenfalls auch zur Annahme des weiteren Haftgrundes der Schwerkriminalität (siehe unten b)).

Hinzu kommt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen die Mitbeschuldigten F., S., W., Sch. und K. unter anderem wegen der Tat vom 31. Oktober/1. November 2015, an der sich auch der Beschuldigte beteiligte, Anklage zum Amtsgericht - Jugendschöffengericht - erhoben hatte, womit eine Beschränkung der Straferwartung auf eine Höchststrafe von vier Jahren verbunden war (§ 24 Abs. 2 GVG). Durch die Rücknahme dieser Anklage und der nach § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG gegebenen erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte ist diese Beschränkung weggefallen. Auch deshalb muss der Beschwerdeführer, der zuvor davon ausgehen durfte, auch allenfalls vor dem Amtsgericht angeklagt zu werden, im Falle seiner Verurteilung mit einer höheren, in verstärktem Maße Fluchtanreiz begründenden Freiheitsstrafe rechnen.

b) Daneben liegt sowohl mit Blick auf § 129a Abs. 1 und 2 StGB als auch mit Blick auf das jedenfalls im Fall 1. a) bb) (3) versuchte Tötungsdelikt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Vorschrift auch bei ihrer gebotenen restriktiven Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) die Anordnung der Untersuchungshaft trägt.

c) Ihr Zweck kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zudem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 783

Bearbeiter: Christian Becker