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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1160

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 86/16, Urteil v. 05.10.2016, HRRS 2016 Nr. 1160


BGH 2 StR 86/16 - Urteil vom 5. Oktober 2016 (LG Frankfurt a. M.)

Begriff der prozessualen Tat.

§ 264 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8. Oktober 2015 aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Vom Vorwurf einer weiteren Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wurde der Angeklagte freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wickelte der Angeklagte seit September 2014 verschiedene Rauschgiftgeschäfte ab, bei denen er zuvor erworbene Drogen an zu einem festen Kundenstamm gehörende Abnehmer veräußerte. Die Betäubungsmittel (Haschisch oder Marihuana) bezog er über einen engen Freund, den zwischenzeitlich verstorbenen Mu., der die Drogen selbst aus den Niederlanden bezog. Vier dieser Taten konnten konkretisiert werden und führten zu einer Verurteilung wegen Handeltreibens in nicht geringer Menge; die fünfte Tat, wegen der es zu einer Verurteilung kam, bezog sich auf die in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Rauschgiftmengen.

2. Von einem weiteren Tatvorwurf hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Ihm war insoweit vorgeworfen worden, am 28. September 2014 gemeinsam mit Mu. an den als Kurier tätigen A. aus dem Keller der Wohnung seiner Eltern heraus 99,30 Gramm Kokain sowie 254 Gramm Heroin verkauft zu haben.

Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Er hat angegeben, A. und B., Niederländer, bei denen Mu. Haschisch und Marihuana bezogen habe, in Frankfurt im Juni 2014 einmal gesehen zu haben. Am 27. September 2014 habe es einen Anruf von A. gegeben, Mu. habe ihm gesagt, es würde „Gras“ kommen; er habe im Vorfeld dieser erwarteten Lieferung 250 Gramm bei Mu. bestellt und bereits bezahlt. Ob A. an diesem Tag gekommen sei, wisse er nicht, da er bei seiner Freundin gewesen sei. Am nächsten Tag sei es zu einem Treffen mit A. bei Mu. gekommen, wobei A. kein „Gras“ dabei gehabt habe. Er habe ihnen Heroin und Kokain angeboten, was sie aber abgelehnt hätten. A. habe Mu. gesagt, das bestellte „Gras“ könne erst in zwei bis drei Tagen geliefert werden. Nach einem gemeinsamen Mittagessen sei A. wieder gefahren.

Diese Einlassung hat das Landgericht als nicht widerlegbar angesehen. Die Strafkammer hat im Wesentlichen festgestellt, dass A. am 28. September 2014 gegen 22.00 Uhr in S. festgenommen worden sei; es seien 250 Gramm Heroin und 99,4 Gramm Kokain bei ihm sichergestellt worden. A. habe sich am 27. und 28. September 2014 zeitweilig in F. aufgehalten und sei in einem Hotel am Hauptbahnhof eingecheckt gewesen. In der Zeit vom 26.-28. September 2014 habe es verschiedene telefonische Kontakte zwischen dem Angeklagten und A. sowie auch Mu. gegeben. A. sei wegen des für seinen Cousin B. erfolgten Ankaufs der Betäubungsmittel in F. verurteilt worden, wobei im Hinblick auf seine unter anderem den Angeklagten belastenden Angaben, die dem Vorwurf der Anklageschrift zugrunde gelegt worden wären, zu seinen Gunsten § 31 BtMG zur Anwendung gekommen sei. Das Landgericht hat Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Angaben A. s nicht überwinden können und hat sich in einer Gesamtschau der vorliegenden Beweise und Indizien von der Schuld des Angeklagten, für dessen Beteiligung an einem Handel mit harten Drogen es genauso wenig Indizien gebe wie für eine Veräußerung von Rauschgift, nicht überzeugen können.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Die landgerichtliche Beweiswürdigung ist zwar nicht zu beanstanden; doch hat die Strafkammer ihre Kognitionspflicht insoweit verletzt, als sie nicht geprüft hat, ob die von dem Angeklagten eingeräumte Bestellung von 250 Gramm Marihuana bei Mu. nicht eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln (in nicht geringer Menge) begründet.

1. Zwar sind die von dem Angeklagten eingeräumten, den Treffen zeitlich vorgelagerten Umstände der Bestellung und Bezahlung des Marihuanas ebenso wenig in der Anklageschrift aufgeführt wie auch die eingestandene Tatsache, dass das Treffen am 28. September 2014 der Übergabe des bei A. bestellten Marihuanas dienen sollte; es handelt sich insoweit jedoch um mit dem angeklagten Treffen sachlich so eng verknüpfte Vorgänge, dass Tatidentität gemäß § 264 Abs. 1 StPO gegeben ist.

Eine Tat im Sinne des § 264 StPO ist dabei der geschichtliche und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Zur prozessualen Tat gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Verkehrsauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt. Dies ist der Fall, wenn die einzelnen Handlungen oder Ereignisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern sachlich so miteinander verknüpft sind, dass ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 264 Rn. 2 mwN zur Rspr.).

Gemessen daran ist vorliegend eine prozessuale Tat gegeben. Eine Verknüpfung des eingeräumten und des angeklagten Geschehens ergibt sich hier schon daraus, dass der Angeklagte lediglich den konkreten Zweck des verfahrensgegenständlichen Treffens am 28. September 2014 abweichend schildert. Er räumt das Treffen ein und gibt auch zu, dass es auch der Abwicklung von Betäubungsmittelgeschäften dienen sollte. Schon dieses begründet nicht nur den erforderlichen äußeren Zusammenhang, sondern führt auch zu einer inhaltlichen Verknüpfung, die eine getrennte Würdigung des Sachverhalts als unnatürliche Aufspaltung eines tatsächlich entstandenen Vorgangs erscheinen ließe.

Soweit der Angeklagte abweichend von der Anklage schildert, es sei nicht um den Verkauf harter Drogen gegangen (sondern um den Ankauf zuvor bestellter Betäubungsmittel), lässt dies den Anlass des Treffens unberührt, das in jedem Fall der Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften diente oder dienen sollte; es ändert zudem nichts daran, dass der von der Anklage umfasste geschichtliche Lebensvorgang - nämlich das Treffen von A., Mu. und dem Angeklagten am 28. September 2014 - ausreichend individualisiert ist und beide im Raum stehenden Geschehensabläufe - Verkauf harter Drogen bzw. ins Auge gefasster Ankauf weicher Betäubungsmittel - betrifft.

2. Das Landgericht hat den zur Aburteilung stehenden Sachverhalt insoweit weder in sachlicher noch in rechtlicher Hinsicht geprüft. Die Sache bedarf deshalb unter Aufhebung der Feststellungen neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1160

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede