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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 239

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 338/16, Urteil v. 14.12.2016, HRRS 2017 Nr. 239


BGH 2 StR 338/16 - Urteil vom 14. Dezember 2016 (LG Aachen)

Strafzumessung (Strafzumessung bei Mittätern: gerechtes Verhältnis der Strafen zueinander; Annahme eines minderschweren Falls: Verhältnis von allgemeinen und typisierten Milderungsgründen).

§ 46 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 50 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Werden mehrere Angeklagte in einem Verfahren abgeurteilt, muss für jeden von ihnen die Strafe aus der Sache selbst gefunden werden. Der Gesichtspunkt, dass gegen Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten, darf dabei nicht völlig außer Betracht bleiben.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. März 2016 wird verworfen.

Die Staatsanwaltschaft hat die Kosten ihres Rechtsmittels sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen schweren Raubes in vier Fällen und schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt (Fälle II.1 bis 6 der Urteilsgründe). Den Angeklagten K. hat es wegen schweren Raubes in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe), die Angeklagte N. unter Freisprechung im Übrigen wegen schwerer räuberischer Erpressung, Beihilfe zum schweren Raub und Hehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten (Fälle II.3, 5 und 6 der Urteilsgründe).

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Strafaussprüche beschränkte, zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Zur Finanzierung des gemeinsamen Drogenkonsums überfielen die Angeklagten C. und K. im Zeitraum zwischen dem 13. und 26. September 2015 unter Verwendung von Sturmhauben und einer funktionsunfähigen Schreckschuss-/Reizstoffpistole gemeinschaftlich - in einem Fall unterstützt von der Angeklagten N. - eine Spielhalle, zwei Lottogeschäfte und eine Tankstelle in W. und Umgebung, wodurch sie insgesamt ca. 3.600 Euro Bargeld und Zigaretten erbeuteten (Fälle II.1 bis II.4 der Urteilsgründe). Am 29. September 2015 überfiel der Angeklagte C. gemeinsam mit der Angeklagten N. einen Getränkemarkt in E. Unter Einsatz der bei den vorangegangenen Überfällen eingesetzten Tatmittel erbeuteten sie ca. 1.770 Euro Bargeld (Fall II.5 der Urteilsgründe). Am 30. September 2015 verübte der Angeklagte C. mit denselben Tatmitteln einen weiteren Überfall auf eine Tankstelle. Die Tatbeute in Höhe von rund 880 Euro teilte er später hälftig mit der Angeklagten N. (Fall II.6 der Urteilsgründe).

2. Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht bei der Bewertung der von den Angeklagten C. und K. verübten Taten jeweils von minder schweren Fällen im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB ausgegangen. Beim Angeklagten C. hat es darüber hinaus eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 46b, 49 StGB vorgenommen. Bezüglich der Angeklagten N. hat das Landgericht im Fall II.3 das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB bejaht.

II.

Die wirksam auf die Strafaussprüche beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

1. Die Entscheidung des Landgerichts, bezüglich der von den Angeklagten K. und C. verübten Taten jeweils von minder schweren Fällen im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB auszugehen, hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Diese Maßstäbe gelten auch für die dem Tatrichter obliegende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB vorliegt. Bei der dabei gebotenen Gesamtwürdigung obliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, welches Gewicht er den einzelnen Milderungsgründen im Verhältnis zu den Erschwerungsgründen beimisst; seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar (Senat, Urteil vom 29. August 2001 - 2 StR 276/01, StV 2002, 20).

b) Daran gemessen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bei den Angeklagten C. und K. mehrere gewichtige Strafmilderungsgründe dargelegt. Strafschärfend hat es insoweit lediglich berücksichtigt, dass der Wert der Beute jeweils nicht unerheblich war. Einer Berücksichtigung von Auswirkungen auf die Tatopfer und von gemäß § 154 StPO eingestellten Taten bedurfte es entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft bereits deshalb nicht, weil das Landgericht dazu keine entsprechenden Feststellungen getroffen hat. Dass das Landgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den Seriencharakter der Taten nicht erwähnt hat, stellt ebenfalls keinen Rechtsfehler dar. Da es diesen erschwerenden Umstand ausdrücklich bei der konkreten Strafzumessung erörtert hat (UA S. 31, 34), ist auszuschließen, dass es diesen Gesichtspunkt zuvor bei der Bestimmung des Strafrahmens übersehen hat.

c) Dass das Landgericht die von ihm angenommene Aufklärungshilfe des Angeklagten C. nicht bereits jeweils zur Begründung eines minder schweren Falles herangezogen hat, begegnet entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft keinen rechtlichen Bedenken.

In den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben ist, ist bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. März 1990 - 2 StR 457/89, BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall Strafrahmenwahl 7; Beschluss vom 21. November 2007 - 2 StR 449/07, NStZ-RR 2008, 105; BGH, Urteil vom 10. September 1986 - 3 StR 287/86, NStZ 1987, 72; Beschluss vom 27. April 2010 - 3 StR 106/10, NStZ-RR 2010, 336; Fischer, StGB 63. Aufl., § 50 Rn. 3 f. mwN). Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst zu prüfen, ob die allgemeinen Milderungsgründe allein zur Annahme eines minder schweren Falls führen. Begründen schon sie allein einen minder schweren Fall, ist ein vertypter Milderungsgrund wie § 46b StGB nicht verbraucht und kann bei Vorliegen der Voraussetzungen eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB begründen. Die Entscheidung des Landgerichts, beim Angeklagten C. von der weiteren Milderungsmöglichkeit gemäß §§ 46b, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu machen, ist frei von Rechtsfehlern.

2. Ebenso rechtsfehlerfrei ist die bezüglich der Angeklagten N. getroffene Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB im Fall II.3 der Urteilsgründe.

3. Beim Angeklagten K. ist die Bemessung der Einzelstrafen und der daraus gebildeten Gesamtstrafe - auch in Anbetracht der Vorgehensweise und der Tatbeiträge - noch ausreichend begründet und hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Die Strafen unterscheiden sich von den in vergleichbaren Fällen üblicherweise verhängten Strafen nicht so erheblich, dass der mit ihnen verfolgte Zweck des Schutzes der Rechtsordnung durch gerechten Schuldausgleich nicht mehr erreicht werden könnte.

4. Auch das Verhältnis der verhängten Strafen zueinander ist nicht zu beanstanden. Werden mehrere Angeklagte in einem Verfahren abgeurteilt, muss für jeden von ihnen die Strafe aus der Sache selbst gefunden werden. Der Gesichtspunkt, dass gegen Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten, darf zwar nicht völlig außer Betracht bleiben (BGH, Beschluss vom 11. September 1997 - 4 StR 297/97, StV 1998, 481; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 23). Im Hinblick darauf, dass die nicht vorbestraften Angeklagten C. und K. - anders als die Angeklagte N. - jeweils ein umfassendes und erkennbar von Reue getragenes Geständnis abgegeben und sich bei den Tatopfern entschuldigt haben und die Strafkammer bei den Einzelstrafen für die Taten II.1 bis II.4 der Urteilsgründen zwischen den Angeklagten C. und K. eine Abstufung vorgenommen hat, halten sich die Abweichungen aber noch im Rahmen des Vertretbaren. Da die Unterschiede in der Bestrafung insoweit nachvollziehbar sind, bedurfte es insoweit keiner näheren Erläuterung.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 239

Externe Fundstellen: StV 2019, 447

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede