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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 238

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 313/16, Urteil v. 21.12.2016, HRRS 2017 Nr. 238


BGH 2 StR 313/16 - Urteil vom 21. Dezember 2016 (LG Schwerin)

Verfall (Absehen von der Anordnung, weil das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist: ausnahmsweises Absehen auch, wenn das Vermögen des Angeklagten den verfallenen Betrag wertmäßig übersteigt).

§ 73 StGB; § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB regelmäßig dann aus, wenn der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem verfallenen Betrag zurückbleibt. Steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde, ist eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ausgeschlossen (vgl. BGHSt 48, 40, 41).

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 18. November 2015 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den 66-jährigen Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen 41 Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit der Maßgabe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zwei Monate als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es in Höhe eines Betrages von 20.000 Euro den Verfall von Wertersatz in das Vermögen des Angeklagten angeordnet. Gegen die Höhe des Verfallsbetrages richtet sich die auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte und zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das wirksam auf den Ausspruch über den Wertersatzverfall beschränkte Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

II.

1. Nach den Urteilsfeststellungen gehörte der Angeklagte mit fünf weiteren Personen zu einer Gruppierung, die sich zur Verübung fortgesetzter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz durch das Anlegen und Betreiben von professionellen Cannabisplantagen (sog. Indoor-Plantagen) und zum anschließenden gewinnbringenden Verkauf des abgeernteten Marihuanas im zweistelligen Kilobereich verbunden hatte. Innerhalb der Gruppierung übernahm der Angeklagte die Funktion, die Betäubungsmittel nach jeweiliger Terminvorgabe und Anweisung des zentralen Verantwortlichen zu transportieren. Im Zeitraum zwischen Mitte 2006 und Mitte 2008 unternahm er 16 Transportfahrten mit jeweils 12 Kilogramm Marihuana, für die er insgesamt 22.200 Euro erhielt. Zwischen Juli 2008 und September 2010 transportierte er in 22 Fällen jeweils zwölf Kilogramm Marihuana gegen eine Vergütung von insgesamt 39.600 Euro. Im selben Zeitraum unternahm er drei weitere Transportfahrten mit bis zu acht Kilogramm, für die er insgesamt 2.400 Euro erhielt. Die Vergütungen in einer Gesamthöhe von 64.200 Euro setzte der Angeklagte unter anderem dafür ein, einen Dispositionskredit in Höhe von 20.000 Euro zu tilgen und den Lebensunterhalt seiner Familie zu decken.

Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht u.a. festgestellt, dass eine aus ihm und seiner Ehefrau bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts Eigentümerin eines vom Angeklagten bewohnten Reihenhauses und einer Hof- und Gebäudefläche in H. sei. Außerdem gehöre dem Angeklagten gemeinsam mit seiner Schwester in Erbengemeinschaft ein Miteigentumsanteil an einer Gebäude- und Freifläche in H. Die im Sondereigentum der Erbengemeinschaft stehende Eigentumswohnung werde von der Tochter des Angeklagten bewohnt. Der Angeklagte verfüge über drei Lebensversicherungen, deren Rückkaufswert insgesamt 25.556 Euro betrage. Die Ansprüche aus den Lebensversicherungen wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gepfändet.

2. Das Landgericht hat den Verfall von Wertersatz (§§ 73, 73a StGB) in Höhe von 20.000 Euro angeordnet. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte auf die Rückgabe des bei ihm sichergestellten Bargelds in Höhe von 800 Euro und auf seinen Auszahlungsanspruch aus vier Girokonten in Höhe von 14.268 Euro verzichtet hatte, hat es insoweit von einer Verfallsanordnung abgesehen. Hinsichtlich des über 35.068 Euro hinausgehenden Betrages hat das Landgericht gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB den Verfall von Wertersatz nicht angeordnet, da der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden sei. Im Einzelnen hat das Landgericht angeführt, dass der Angeklagte zwar über Vermögen in Form von ideellen Grundstücksanteilen und Guthaben bei Lebensversicherungen verfüge, diese Gegenstände aber schon weit vor der Tatzeit angeschafft worden seien. Der Angeklagte habe nur ein geringes Einkommen, seine zukünftigen Erwerbsaussichten seien angesichts seines Alters und der - jedenfalls teilweise - zu verbüßenden Freiheitsstrafe deutlich eingeschränkt.

III.

Die wirksam auf die Verfallsanordnung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

1. Die getroffene Verfallsentscheidung, die auf die Sachrüge hin zu prüfen ist, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat das vom Angeklagten durch seine Taten Erlangte (§ 73a StGB) mit 64.200 Euro zutreffend festgestellt und die Härtevorschrift des § 73c StGB rechtsfehlerfrei angewendet. Insbesondere die Wertung, dass hinsichtlich des über 35.068 Euro hinausgehenden Betrages der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist (§ 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB), ist nicht zu beanstanden.

Zwar scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB regelmäßig dann aus, wenn der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem verfallenen Betrag zurückbleibt. Steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde, ist eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 4 StR 233/02, BGHSt 48, 40, 41; Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 4 StR 153/08 - NStZ-RR 2009, 234). Dies ist vorliegend bezüglich der ideellen Grundstücksanteile und der Guthaben bei Lebensversicherungen, die nach den Feststellungen des Landgerichts dem Vermögen des Angeklagten „weit vor der Tatzeit“ zugewachsen sind, der Fall. Auch die Annahme des Landgerichts, dass die vom Angeklagten zur Tilgung eines Dispositionskredits ausgegebenen Mittel nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sind, ist frei von Rechtsfehlern (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1991 - 1 StR 316/91, BGHSt 38, 23, 25).

Schließlich hat das Landgericht das ihm durch § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Dabei durfte es insbesondere das Resozialisierungsinteresse des über nur ein geringes Einkommen verfügenden Angeklagten nach dessen Haftentlassung berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 4 StR 233/02, BGHSt 48, 40, 41).

2. Auch die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft geltend macht, das Landgericht habe den Wert der ideellen Grundstücksanteile nicht aufgeklärt, greift nicht durch. Da das Landgericht - wie dargelegt - zu Recht davon ausgegangen ist, dass dieser Vermögensbestandteil im Rahmen der Entscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht in Ansatz zu bringen ist, war die Aufklärung insoweit nicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO geboten.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 238

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede