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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 41

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 238/16, Urteil v. 13.09.2017, HRRS 2018 Nr. 41


BGH 2 StR 238/16 - Urteil vom 13. September 2017 (LG Hanau)

Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln (keine Rechtfertigung des Umgangs mit Betäubungsmitteln zum Zweck der Eigenbehandlung: abschließende gesetzliche Regelung, keine Rechtfertigung bei größeren Mengen).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 34 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln zum Zweck der Eigenbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht im Sinne des § 34 StGB erforderlich, wenn die Lösung der Konfliktlage zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut innerhalb des Rechtsregimes des Betäubungsmittelrechts gefunden werden kann, weil die Möglichkeit einer Erlaubnis des Einsatzes zur Selbstmedikation gemäß § 3 Abs. 2 BtMG besteht. Dabei kommt es darauf, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis konkret vorlagen und zu welchem Ergebnis das Genehmigungsverfahren geführt hätte, nicht an. Denn das Betäubungsmittelgesetz nimmt eine abschließende Bewertung für den zulässigen Umgang mit Betäubungsmitteln vor, die den Zugriff auf § 34 StGB im Grundsatz ausschließt, auch wenn ein ansonsten unerlaubter Umgang mit erfassten Stoffen zu therapeutischen Zwecken erfolgt (vgl. BGH NJW 2016, 2818 Rn. 13 f.).

2. Der Besitz von Marihuana kann nach § 34 StGB überhaupt nur in dem Umfang gerechtfertigt sein, der für den Konsum zur Linderung der Gesundheitsbeeinträchtigungen erforderlich ist. Da Sinn und Zweck der Strafandrohung für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln im Vergleich zum straflosen Konsum gerade darin bestehen, dass die Vorratshaltung die abstrakte Gefahr der Weitergabe an Dritte in sich birgt (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 49, 50), scheidet eine Rechtfertigung jedenfalls aus, wenn der Angeklagten im Besitz größerer Mengen Marihuana war, die den täglichen Eigenbedarf um ein vielfaches überschreiten.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 8. Januar 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der heute 44-jährige Angeklagte leidet seit seiner Kindheit an Akne inversa. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der Haut, die zu schmerzhaften Entzündungen und Abszessen, insbesondere an den Achseln, im Genitalbereich und in der Leistenregion, führt. Die Krankheit entwickelte sich beim Angeklagten seit dessen 13. Lebensjahr schubweise stetig fort. Infolge der ihn erheblich beeinträchtigenden Krankheitssymptome, zu denen auch eine starke Geruchsbildung gehört, geht der Angeklagte seit seinem 30. Lebensjahr keiner Berufstätigkeit mehr nach und wohnt zurückgezogen und nahezu ohne soziale Kontakte in einer vom Sozialleistungsträger bezahlten Mietwohnung. Er lebt von Sozialleistungen, Zuwendungen der Eltern und Zuverdienst.

Zur Behandlung der Erkrankung unterzog sich der Angeklagte den schulmedizinisch zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten, die in der Gabe von Antibiotika und lokalen chirurgischen Eingriffen bestehen. Eine dauernde Verbesserung oder Stabilisierung des Krankheitsbildes trat dadurch nicht ein. Gegen die mit der Krankheit einhergehenden Schmerzen nahm der Angeklagte bei Bedarf starke Schmerzmittel ein, die aber zu Unverträglichkeiten führten. Obwohl - wie dem Angeklagten bewusst ist - die Krankheitserscheinungen der Akne inversa durch Rauchen begünstigt werden, konsumiert er täglich bis zu 20 selbstgedrehte Zigaretten.

Im Alter von 15 Jahren begann der Angeklagte mit dem Konsum von Cannabis, der sich bis zum Tatzeitpunkt auf ca. fünf bis sieben Gramm Cannabis täglich steigerte; zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte seine Tagesdosis auf ca. zwei Gramm reduziert und kam damit „gut zurecht“.

Da sich der Marihuanakonsum beim Angeklagten positiv auf die Erkrankung auswirkte und dazu führte, dass er nahezu beschwerdefrei war, entschloss er sich, Cannabis im Rahmen der Eigenbehandlung als Medikament zu benutzen.

Um zur Selbstmedikation ständig Cannabis zur Verfügung zu haben, unterhielt der Angeklagte in seiner Wohnung jedenfalls seit 2012 eine Indoorplantage, in der er Hanfpflanzen anbaute. Am 24. März 2014 verfügte er dort über insgesamt 1,718 kg Marihuana mit einem THC-Gehalt von 78,46 g, das ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war. Die Gesamtmenge setzte sich aus Cannabispflanzen unterschiedlicher Wachstumsstadien sowie aus abgeernteten Pflanzen zusammen, die in Plastiktüten und Beuteln im Gefrierschrank eingefroren bzw. im Kühlschrank verwahrt waren. Außerdem bewahrte der Angeklagte eine Kleinstmenge lose auf dem Wohnzimmertisch auf. In unmittelbarer Nähe des Kühlschranks befanden sich vier geladene Schusswaffen.

Der Angeklagte war zur Tatzeit nicht im Besitz einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nach § 3 BtMG. Einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG bei der zuständigen Behörde hatte der Angeklagte weder gestellt noch Anstrengungen hierzu unternommen, obwohl er hierüber mittels Internetrecherche und Büchern Informationen eingeholt hatte und ihm die Möglichkeit eines entsprechenden Antragsverfahrens zur Erlangung einer Ausnahmeerlaubnis ebenso bekannt war wie der Umstand, dass etwa bereits 400 Ausnahmeerlaubnisse erteilt worden waren. Auch die Möglichkeit, nach Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis über das Internet Cannabisblüten zu kaufen, war dem Angeklagten bekannt. Die Entscheidung, das Antragsverfahren nicht zu beschreiten, beruhte zum Teil darauf, dass der Angeklagte davon ausging, auch bei Erteilung einer Erlaubnis den Erwerb der Substanzen nicht bezahlen zu können, zum Teil auf „Faulheit“, zum Teil aber auch, weil ihm der Betrieb der Indoorplantage „Spaß machte“ und einen Lebensinhalt bot.

Das Landgericht hat angenommen, dass die Voraussetzungen für die Erlangung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG jedenfalls zum Erwerb von Cannabis tatsächlich vorlagen; bei entsprechender Antragstellung hätte der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung eine Ausnahmeerlaubnis auch im Zeitraum vor der Tat erhalten können. Darüber hinaus habe für den Angeklagten auch die konkrete Möglichkeit bestanden, zur ausreichenden Therapie der Erkrankung und Linderung der Beschwerden Cannabisblüten zum Preis von monatlich ca. 300 € auf legalem Weg zu erhalten, die Kosten durch die Krankenkasse oder ein Sozialversicherungsträger ersetzt zu bekommen oder sogar eine Erlaubnis zum Anbau von Marihuana zu erlangen.

Eine Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt hat die Strafkammer verneint.

2. Das Landgericht hat die Tat als unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet.

Im Hinblick auf die aus Sicht des Landgerichts unwiderlegte Einlassung, dass das Marihuana nur zum Eigenkonsum bestimmt gewesen sei, hat die Strafkammer keine Strafbarkeit wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens angenommen. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB und eine Entschuldigung nach § 35 StGB hat das Landgericht verneint, da der Angeklagte keinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestellt habe, obwohl ihm die Möglichkeit dieses Verfahrens bekannt und ihm dessen Durchführung zumutbar gewesen sei, die Voraussetzungen für eine Erteilung vorgelegen hätten und die Finanzierung des legalen Bezuges von Cannabis habe sichergestellt werden können.

Das Landgericht hat die Tat als minder schweren Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG gewertet. Da es nicht auszuschließen vermochte, dass der Angeklagte einem vermeidbaren Irrtum hinsichtlich der Möglichkeit der Finanzierung des aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis erwerblichen Cannabis unterlag, hat es eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 35 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.

Soweit dem Angeklagten auch der Besitz von weiteren Betäubungsmitteln (Haschisch, Psilocybin-Pilze, Ecstasy und Amphetamin) zur Last lag, hat das Landgericht die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO auf den Besitz von Marihuana beschränkt.

II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben.

1. Die erhobene Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben worden.

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass wegen der fehlenden Zuordnungsmöglichkeit der Einzelportionen zu bestimmten Ernten zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass dieses Marihuana aus verschiedenen Ernten stammt, die jeweils die Grenze der nicht geringen Menge nicht überschritten haben, und daher der Vergehenstatbestand des unerlaubten Anbaus hinter den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes der nicht geringen Menge zurücktritt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 268/14, NStZ-RR 2015, 14, 15; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 120 mwN).

b) Zu Gunsten des Angeklagten greifen weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe ein.

aa) Der Besitz des Marihuanas war nicht durch Notstand gemäß § 34 StGB gerechtfertigt.

(1) Zwar sah sich der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung einer gegenwärtigen Gefahr für seine Gesundheit ausgesetzt. Diese Gefahr konnte aber auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen anders als durch den unerlaubten Besitz von Marihuana im Kilogrammbereich abgewendet werden.

(2) Ob die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut anders als durch die Vornahme der straftatbestandsmäßigen Handlung abgewendet werden kann, bestimmt sich anhand der Erforderlichkeit der Notstandshandlung. Die Notstandshandlung muss unter den konkreten Umständen des Einzelfalles zum Schutz des Erhaltungsguts nicht nur geeignet sein, es darf darüber hinaus auch kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden sein.

Der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln zum Zweck der Eigenbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht im Sinne des § 34 StGB erforderlich, wenn die Lösung der Konfliktlage zwischen dem Erhaltungsgut und dem Eingriffsgut innerhalb des Rechtsregimes des Betäubungsmittelrechts gefunden werden kann, weil die Möglichkeit einer Erlaubnis des Einsatzes zur Selbstmedikation gemäß § 3 Abs. 2 BtMG besteht (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 1 StR 613/15, NJW 2016, 2818 Rn. 13). Dabei kommt es darauf, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis konkret vorlagen und zu welchem Ergebnis das Genehmigungsverfahren geführt hätte, nicht an. Denn das Betäubungsmittelgesetz nimmt eine abschließende Bewertung für den zulässigen Umgang mit Betäubungsmitteln vor, die den Zugriff auf § 34 StGB im Grundsatz ausschließt, auch wenn ein ansonsten unerlaubter Umgang mit erfassten Stoffen zu therapeutischen Zwecken erfolgt (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 1 StR 613/15, aaO, Rn. 14).

(3) Anders als vom Landgericht angenommen, kommt es in der vorliegenden Konstellation jedoch auf das (zwischenzeitlich durch die Neuregelung der Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von Cannabisarzneimitteln durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. I, 403) überholte) Erfordernis der Durchführung des Genehmigungsverfahrens nach § 3 Abs. 2 BtMG nicht an. Eine Rechtfertigung der Tat scheidet vielmehr schon im Hinblick auf die festgestellte Menge des vom Angeklagten besessenen Marihuanas aus.

Unter dem Gesichtspunkt der geringst möglichen Aufopferung des Eingriffsguts kommt nämlich bereits der Betäubungsmittelmenge entscheidende Bedeutung zu. Der Besitz von Marihuana kann nach § 34 StGB überhaupt nur in dem Umfang gerechtfertigt sein, der für den Konsum zur Linderung der Gesundheitsbeeinträchtigungen erforderlich ist (OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3645, 3646; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., BtMG § 29 Teil 13 Rn. 62). Da Sinn und Zweck der Strafandrohung für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln im Vergleich zum straflosen Konsum gerade darin bestehen, dass die Vorratshaltung die abstrakte Gefahr der Weitergabe an Dritte in sich birgt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1996 - 3 StR 355/96, NStZ-RR 1997, 49, 50), scheidet eine Rechtfertigung jedenfalls im vorliegenden Fall aus. Bezogen auf den vom Landgericht zum Tatzeitpunkt festgestellten Tageskonsum von bis zu sieben Gramm Cannabis täglich verfügte der Angeklagte über eine Menge, die für 245 Tage ausgereicht hätte, bezogen auf den von der Strafkammer als ausreichend angesehenen Tageskonsum von zwei Gramm Cannabis besaß der Angeklagte eine Menge, die seinen Bedarf für mehr als zwei Jahre gedeckt hätte.

bb) Eine Entschuldigung gemäß § 35 StGB scheidet ebenfalls wegen der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr für die Gesundheit des Angeklagten aus (zur Identität des Maßstabs in § 34 und § 35 StGB siehe Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 35 Rn. 13).

3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht insbesondere zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser schwer erkrankt war und die Tat lediglich aus Leidensdruck zum Zwecke der (medizinisch indizierten) Selbsttherapie begangen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 2 StR 354/13, StV 2014, 609, 610).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 41

Externe Fundstellen: NStZ 2018, 226; StV 2018, 501

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede