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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 98

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 204/16, Beschluss v. 16.11.2016, HRRS 2017 Nr. 98


BGH 2 StR 204/16 - Beschluss vom 16. November 2016 (LG Gera)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Zäsurwirkung; Verschlechterungsverbot).

§ 55 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wurden neu abzuurteilende Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die ihrerseits nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt in Fällen, in denen die Taten bereits in einem früheren Urteil hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet worden ist oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann.

2. Bei einer sodann zu treffenden Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe aus den jeweiligen verfahrensgegenständlichen Einzelstrafen ist zu beachten, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 18. Januar 2016, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafen mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe und über die Kosten des Rechtsmittels im Verfahren nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Jena vom 24. März 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es ihn wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafen; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht dem Urteil des Amtsgerichts Jena vom 24. März 2015 zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.

a) Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die ihrerseits nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt in Fällen, in denen die Taten bereits in einem früheren Urteil hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276 und vom 21. Juli 2009 - 5 StR 269/09). Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet worden ist oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann.

b) Das Landgericht hat übersehen, dass die dem Urteil des Amtsgerichts Jena vom 24. März 2015 zugrunde liegende Freiheitsstrafe (Tatzeit: 19. März 2014) ihrerseits mit den Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bad Urach vom 22. Oktober 2014 gesamtstrafenfähig ist und diese frühere Vorverurteilung daher Zäsurwirkung entfaltet. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung scheidet danach, weil die verfahrensgegenständlichen beiden ersten Taten zwischen zwei ihrerseits gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen begangen worden sind, aus.

2. Da nur ein Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung vorliegt, verweist der Senat die Sache zur Bildung einer Gesamtstrafe aus den verfahrensgegenständlichen Einzelstrafen gemäß §§ 460, 462 StPO in das Beschlussverfahren. Auch unter Berücksichtigung des Verbots der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 StPO) bedurfte es der Aufhebung von Einzelstrafen zur Vermeidung jeglichen Nachteils für den Angeklagten nicht.

Bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe aus den vier verfahrensgegenständlichen Einzelstrafen wird allerdings zu beachten sein, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, aaO). Das Verschlechterungsverbot führt hier dazu, dass die neu zu bildende Gesamtstrafe für die verfahrensgegenständlichen vier Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten sowie jeweils sechs Monaten für die drei Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie die im Verfahren nach § 460 StPO zu bildende weitere Gesamtstrafe aus den Strafen des Urteils des Amtsgerichts Bad Urach vom 22. Oktober 2014 (sechs Monate und sechs Monate) und des Amtsgerichts Jena vom 24. März 2015 (drei Monate) die Dauer von drei Jahren und zehn Monaten (die Summe der Gesamtstrafen von zwei Jahren und acht Monaten sowie acht Monaten aus dem angegriffenen Urteil und von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Bad Urach vom 22. Oktober 2014) nicht übersteigen dürfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 98

Externe Fundstellen: StV 2018, 411

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner