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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 914

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 8/15, Beschluss v. 12.08.2015, HRRS 2015 Nr. 914


BGH StB 8/15 - Beschluss vom 12. August 2015 (BGH)

Voraussetzungen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung (Anfangsverdacht; kein erhöhter Verdachtsgrad erforderlich; Behördenzeugnisse von Verfassungsschutzämtern; Beweiswert; sekundäre Beweismittel; Prüfung im Einzelfall); Bildung terroristischer Vereinigung („Oldschool Society“).

§ 102 StPO; § 105 StPO; § 160 Abs. 1 StPO; § 129a StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht.

2. Auch Behördenzeugnisse der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder können dazu beitragen, einen konkreten Verdacht in diesem Sinne zu begründen. Zwar handelt es sich hierbei regelmäßig nur um sekundäre Beweismittel, welche die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht oder nur unvollständig offen legen und daher einer vorsichtigen Würdigung und der Heranziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen. Dies nimmt Behördenzeugnissen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert. Der Umfang ihrer Beweiskraft bedarf vielmehr einer Prüfung im Einzelfall, bei der auch zu berücksichtigen ist, ob sie lediglich zum Beleg eines Anfangsverdachts oder zur Begründung einer höheren Verdachtsstufe herangezogen werden.

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer und weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens „Oldschool Society“. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 30. April 2015 (3 BGs 59/15) die Durchsuchung der Person und Wohnung des Beschwerdeführers sowie des von ihm genutzten Kraftfahrzeugs nach näher umschriebenen Beweismitteln angeordnet. Die Durchsuchung ist am 6. Mai 2015 vollzogen worden; die Durchsicht aufgefundener Datenträger dauert noch an. Am 2. Juni 2015, eingegangen beim Bundesgerichtshof am 6. Juni 2015, hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung eingelegt. Er beanstandet im Wesentlichen, dass der angefochtene Beschluss ausschließlich auf „Angaben vom Hörensagen“ beruhe, die aus unzulässiger Quelle von geringer Glaubwürdigkeit, nämlich dem Verfassungsschutz, stammten; Beweisergebnisse würden zudem nicht ausreichend konkret mitgeteilt. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2015 nicht abgeholfen und die Sache am selben Tag dem Senat zur Entscheidung übersandt.

II.

Das Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren gegeben. Hierzu gilt:

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, NStZ-RR 2009, 142, 143). Auch Behördenzeugnisse der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder können dazu beitragen, einen konkreten Verdacht in diesem Sinne zu begründen. Zwar handelt es sich hierbei regelmäßig nur um sekundäre Beweismittel, welche die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht oder nur unvollständig offen legen und daher einer vorsichtigen Würdigung und der Heranziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247 zu einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO). Dies nimmt Behördenzeugnissen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert. Der Umfang ihrer Beweiskraft bedarf vielmehr einer Prüfung im Einzelfall. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sie lediglich zum Beleg eines Anfangsverdachts (§ 160 Abs. 1 StPO) oder zur Begründung einer höheren Verdachtsstufe herangezogen werden. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen. Insoweit kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder Objektivierung anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel.

b) Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Hinsichtlich der nach § 129a StGB erforderlichen Organisationsstruktur des Personenzusammenschlusses ergibt sich der Anfangsverdacht daraus, dass die Gruppe unter dem Namen „Oldschool Society“ ein Facebook-Profil unterhielt (etwa Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015, im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 enthaltener Screenshot), auf dem Beiträge veröffentlicht wurden, die einen auf Dauer angelegten und organisierten Personenverbund beschreiben; so etwa der Beitrag vom 15. September 2014 (",Oldschool Society` erhebt sich… Nicht mit uns, wir stehen zusammen, aktiv für unser Vaterland, für die Ehre unserer Ahnen und die Zukunft unserer Kinder…") und der von der „Abteilung für Presse und Öffentlichkeit der OSS“ veröffentlichte Beitrag vom 24. September 2014, in dem die „Ideen und Lösungen“ der Gruppe vorgestellt wurden (beide Beiträge auszugsweise zitiert im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Dass ein höherer Organisationsgrad bestand und die Mitglieder bereit waren, sich dem Gruppenwillen unterzuordnen, legt die - auf dem Facebook-Portal veröffentlichte (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015) - Satzung nahe, aus der sich unter anderem eine Führungsebene („President“, „Vicepresident“) und die Aufgabenverteilung auf verschiedene Funktionsträger ergibt, so etwa auf den „Press chief“, den „chief of security“ und den „Seargent at arms“, der Strafen zur Wahrung der Gruppendisziplin umsetzt (hierzu Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz vom 20. März 2015 mit auszugsweise wörtlicher Wiedergabe der „OSS-Regeln": "…Den Anweisungen der Führungsebene ist Folge zu leisten…Zuwiderhandlung wird mit Ausschluss geahndet“). Gestützt werden diese Erkenntnisse durch den Facebook-Beitrag der Gruppe zum "1. Treffen in B. (L.)" nebst der namentlichen Benennung der Teilnehmer (Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 mit dort enthaltenen Screenshots des Facebook-Beitrags).

Konkrete Anhaltspunkte, dass die Ziele der Organisation darauf gerichtet waren, terroristische Taten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB zu begehen, ergaben sich aus Folgendem:

Innerhalb der Gruppe wurde konkret über die Begehung entsprechender Straftaten, insbesondere von Brandanschlägen diskutiert; dies belegen Äußerungen der OSS-Mitglieder R. und O. vom 4. Februar 2015 (u.a.: "… man könnte ja in win paar Häuser wo Ausländer drin wohnen ne Brand oder Farbe Bombe rein werfen“ [Fehler wie im Original], Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 8. April 2015). Auch aus dem im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015 auszugsweise wörtlich wiedergegebenen Telefonat zwischen den Mitbeschuldigten K. L. und D. G. vom 25. Dezember 2014 ergibt sich, dass entsprechende Taten Gesprächsthema innerhalb der Gruppe waren ("…Da werden Pläne geschmiedet, wir machen dies und machen das, wir zünden Asylantenheime an und am Ende verläuft das Gespräch wieder im Nichts und nichts ist passiert…", "…Zum Beispiel halt, dass man überall paar Dreiergruppen hat, muss ja nicht überall sein, nur da wo ein paar Leut´ wohnen und dann werden halt gezielt Objekte raus gepickt und heißt so jetzt, des und des Wochenende geht es los und dann wird es einfach gemacht. Und wer dann nichts macht fliegt gnadenlos raus, ganz einfach…"). Die Ernsthaftigkeit dieser Ideen wird gestützt durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 8. April 2015 mitgeteilten Äußerungen des Mitbeschuldigten O. vom 9. März 2015, wonach die Gruppe nicht legale Ziele verfolgte („Wir wollen über Tehmen reden, die man nicht im Internet oder am Handy bespricht. Desweiteren haben wir vor ein bis zwei drei ... Aktionen zu starten“ [Fehler wie im Original]). Diesen Erklärungen entspricht, dass die Gruppenmitglieder H. und O. in einem Telefonat vom 8. Januar 2015 über die Beschaffung von Schusswaffen diskutierten (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Auch das aggressive Auftreten der Organisation, wie es etwa in der auf Facebook am 15. Oktober 2014 eingestellten und im Durchsuchungsbeschluss inhaltlich näher dargestellten Grafik („Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut, auf dem Asphalt…") zum Ausdruck kommt, deutet auf eine Gewaltbereitschaft der Gruppe hin.

Soweit in den jeweiligen Behördenschreiben und -zeugnissen die oben aufgeführten Beweismittel, insbesondere Beiträge in Internetchats, auf Internetplattformen und Telefongespräche, nur - auszugsweise - wiedergegeben werden, bestehen keine Anhaltspunkte, dass die in den Schreiben enthaltene, überwiegend wörtliche Wiedergabe - die auch Fehler im Original übernommen hatte - unzutreffend sein könnte.

Vor diesem Hintergrund wird der konkrete Verdacht, dass die Beschuldigten Ziele im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB verfolgt haben, ergänzend dadurch gestützt, dass bei dem Gruppentreffen vom 15. November 2014 über den „bewaffneten Kampf gegen Salafisten“ gesprochen worden sein soll (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilten Erkenntnisse sind insoweit zwar oberflächlich gehalten, insbesondere bleibt unklar, aus welcher Quelle - ebenso wie auch die Erkenntnisse zu den im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz wörtlich wiedergegebenen Äußerungen vom 4. Februar und vom 9. März 2015 - sie stammen. Angesichts der vorstehend dargestellten weiteren objektivierten Verdachtsmomente sind sie aber gleichwohl geeignet, den Anfangsverdacht weiter zu verstärken.

Der Beschwerdeführer ist auch verdächtig, Mitglied der „Oldschool Society“ gewesen zu sein. Hinsichtlich der Verdachtsmomente wird auf die im angefochtenen Beschluss enthaltenen Ausführungen verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Facebook-Beitrag der Vereinigung ein „M.“ als anwesende Person genannt wird und auf dem dort eingestellten Gruppenfoto eine Person zu sehen ist, die starke Ähnlichkeit mit dem Beschuldigten aufweist (vgl. Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2014, dort enthaltener Screenshot des Facebook-Beitrags, sowie Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 17. März 2015, dort abgebildetes Lichtbild des Beschwerdeführers).

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand auch kein gleich wirksames milderes Mittel zur Verfügung. Schließlich stand die Anordnung der Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des bestehenden Tatverdachts.

3. Ob eine erhebliche Überschreitung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO im Einzelfall einer Beschwerde (mit) zum Erfolg verhelfen kann (vgl. KG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 - 2 Ws 360/14, NStZ-RR 2015, 18 mwN), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Zwar wurde die Beschwerde nicht gemäß § 306 Abs. 2 StPO innerhalb von drei Tagen nach deren Eingang am 6. Juni 2015, sondern erst mit der Abhilfeentscheidung vom 23. Juni 2015 dem Senat vorgelegt. Indes war diese Verzögerung schon nicht erheblich im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 914

Bearbeiter: Christian Becker