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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1042

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 30/15, Beschluss v. 24.09.2015, HRRS 2015 Nr. 1042


BGH AK 30/15 - Beschluss vom 24. September 2015

Dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland; Untersuchungshaft; Schwerkriminalität; Fluchtgefahr; Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate; Verhältnismäßigkeit; Anwendung des deutschen Strafrechts.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 121 Abs. 1 StPO; § 7 StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 22. Januar 2015 festgenommen und befindet sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2015 (2 BGs 33/15) in Untersuchungshaft, unterbrochen zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen vom 10. März bis 30. April 2015.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in der Zeit von August 2013 bis November 2013 in Syrien an der „Jaish al Muhajirin wal Ansar“ („Armee der Auswanderer und Helfer“, im Folgenden: JAMWA) als Mitglied beteiligt und damit an einer Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, erpresserischen Menschenraub oder Geiselnahme zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die JAMWA gründete sich im März 2013 durch die Vereinigung der von dem aus Georgien stammenden ethnischen Tschetschenen Tarkhan Batirashvili (Kampfname Abu Umar al Shishani) angeführten Gruppierung „Katibat al Muhajirin“ („Brigade der Emigranten“ oder auch „Muhajirin Brigade“) mit den militanten syrischen Gruppen „Jaish Mohammad“ und „Kata'ib Khattab“. Uneingeschränkter Anführer der militärisch hierarchisch organisierten Vereinigung blieb Abu Umar al Shishani, dem ein Schura Rat und ein Komitee für Fragen der Scharia beigeordnet waren. Die Organisation verfügte auch über eine eigene Medienstelle, die „FI SYRIA“, die über einen eigenen Internetauftritt die Öffentlichkeitsarbeit versah, sowie über ein eigenes Logo. An unterster Stelle der Hierarchie standen die mehreren hundert Kämpfer, zu denen auch die Kampfgruppe der „Muhajirun halab“ zählte, der der Angeklagte angehörte. Das Ziel der Vereinigung, die Errichtung eines islamischen Kalifats voranzutreiben, suchte sie im Wege des militärischen Kampfs dadurch zu erreichen, dass sie auf Seiten der Gegner Assads in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Kampfgebiet der JAMWA war der Großraum um die syrische Stadt Aleppo. Bei ihren Aktionen arbeitete die Vereinigung zunehmend mit der Organisation „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIG)" zusammen. Ab Anfang August 2013 war die JAMWA zudem an einer Offensive gegen alawitische Dörfer im Gebirge der Provinz Latakia beteiligt, die zu zahlreichen Opfern unter der alawitischen Zivilbevölkerung führte.

Ende November des Jahres 2013 legten Abu Umar alShishani und ein Teil seiner Kämpfer den Treueid auf Abubakr alBaghdadi, den Anführer des ISIG, ab; in einer am 11. Dezember 2013 veröffentlichten Verlautbarung erklärte Abu Umar alShishani, die JAMWA sei durch den Treueid auf alBaghdadi aufgelöst. Seit diesem Zeitpunkt sind die Abu Umar alShishani folgenden Kämpfer, zu denen auch die Kampfgruppe der „Muhajirun halab“ zählt, als Teil des ISIG anzusehen.

Ein Teil der Mitglieder der JAMWA sah sich durch den zuvor auf Doku Umarov, den damaligen Anführer der Vereinigung Kaukasisches Emirat, geleisteten Gefolgschaftseid gehindert, sich dem ISIG anzuschließen. Unter der Führung des früheren Kommandeurs Salahuddin al Shishani spalteten sie sich von Abu Umar al Shishani ab und führen den Namen JAMWA weiter, fügten ihm jedoch den Zusatz „Islamisches Emirat Kaukasus“ hinzu.

bb) Der Angeklagte radikalisierte sich seit dem Jahr 2010 und ordnete sich einer extremistisch-islamistischen Ideologie unter, die den bewaffneten Jihad als legitimes Ziel zur Durchsetzung ultrakonservativer islamistischer Interessen ansieht und die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablehnt. Solcherart weltanschaulich geprägt reiste er im August 2013 über die Türkei, wo er Unterstützung von Schleusern erhielt, nach Syrien. Dort wollte er sich einer aktiven terroristischen Vereinigung anschließen und fand zur JAMWA, bei der er eine Kampf- und Waffenausbildung absolvierte. Im September 2013 wurde er dem der JAMWA zugehörigen Kampfverband „Muhajirun halab“ („Auswanderer von Aleppo“) zugewiesen und in einen Vorort von Aleppo verlegt. Der Verband untergliederte sich in 15 einzelne Kampfgruppen; der Angeklagte wurde der „Kampfgruppe der Deutschen“ unter Führung des deutschen Konvertiten Sch. zugeteilt. In diese Gruppe brachte sich der Angeklagte ein, indem er - bewaffnet mit einem Sturmgewehr AK-47 - Wachdienste und logistische Aufgaben, etwa den Verpflegungstransport zur Frontlinie, übernahm. Bei einem solchen Einsatz wurde er im September oder Oktober 2013 in ein Gefecht mit einer den syrischen Regierungstruppen zuzurechnenden Einheit verwickelt. Mitte November 2013 kehrte der Angeklagte aus ungeklärten Gründen nach Deutschland zurück. Hier hielt er sich unter Beibehaltung seiner radikalislamistischen Einstellung in der salafistischen Szene in H. auf und nahm an einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Salafisten und Jesiden teil, zu der es anlässlich einer jesidischen Demonstration gegen die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“, der Nachfolgeorganisation des ISIG, kam.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der terroristischen Vereinigung JAMWA aus den Auswertungen des Bundeskriminalamtes und insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.

Die Einbindung des Angeklagten in die Kampfgruppe „Muhajirun halab“, seine Tätigkeiten für diese und die Eingliederung der Kampfgruppe in die JAMWA ergibt sich aus der Aussage des polizeilich vernommenen gesondert Verfolgten I. Dieser hat bekundet, Mitglied der „Kampfgruppe der Deutschen“ unter der Führung des „Emirs“ Sch. gewesen zu sein. Als weitere Gruppenkameraden hat er neben einem M. aus dem Raum Mö. (bei dem es sich mutmaßlich um den Mitangeklagten C. handelt) einen „O.“ benannt, der aus Ostdeutschland stamme, mit Betäubungsmitteln in Erscheinung getreten sei und eine besondere Tätowierung habe. Bei diesem „O.“ handelt es sich nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten:

Dafür spricht, dass nach den durchgeführten Ermittlungen die Herkunftsangaben des I. zu „O.“ sämtlich auf den Angeklagten zutreffen. Er ist in F. geboren, mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraft und trägt am rechten Oberarm eine Tätowierung mit einem sog. Tribal-Motiv. Aus der Auswertung der bei seiner Festnahme sichergestellten Computer und Mobiltelefone, insbesondere auch dem der Zeugin Fa., mit der der Angeklagte nach islamischem Recht verheiratet ist, haben sich Hinweise darauf ergeben, dass der Angeklagte sich „U.“ nennt: So hatte die Zeugin Fa. seine Mobilfunknummer unter diesem Namen in den Kontakten gespeichert, der dieser Nummer zugeordnete WhatsApp-Account trug diesen Namen und der Computername des sichergestellten Laptops lautete so. Zudem hat auch die Zeugin St. angegeben, dass der Angeklagte diesen Aliasnamen verwende.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisgrundlage, die den dringenden Tatverdacht belegt, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf den Haftbefehl. Der Tatvorwurf hat sich zudem ausweislich des in der Anklageschrift dargestellten wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht weiter bestätigen lassen.

2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeklagte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Die Ausbildung im Umgang mit Waffen, die zur Erreichung der Ziele der Vereinigung mit terroristischen Mitteln dienen soll, die Eingliederung in eine Kampfgruppe und die Durchführung von Verpflegungstransporten, bei denen es in jedenfalls einem Fall auch zu einem Gefecht kam, stellen schwerwiegende mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen für die JAMWA dar.

Deutsches Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeklagte Deutscher ist und - wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag - die Zugehörigkeit zu Personenzusammenschlüssen, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht wird.

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern der ausländischen terroristischen Vereinigung JAMWA, die deutsche Staatsangehörige sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, liegt seit dem 15. Juli 2014 vor.

3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Aus den fortgeltenden Gründen des Haftbefehls und des auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten ergangenen Haftfortdauerbeschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichthofs vom 19. März 2015 (2 BGs 171/15) besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Der Angeklagte hat im Fall seiner Verurteilung wegen der im Haftbefehl bezeichneten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Deshalb steht nicht zu erwarten, dass er dem von dieser Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz widerstehen und sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden freiwillig zur Verfügung stellen wird. Insbesondere reichen die von ihm auch in seinem Schreiben an den Senat aufgeführten familiären Bindungen nicht aus, haben sie ihn doch auch nicht von seiner Ausreise nach Syrien und der Beteiligung an den Kampfhandlungen der JAMWA abgehalten. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Angeklagte auf Gleichgesinnte zurückgreifen kann, die ihn im Fluchtfall beim Untertauchen unterstützen werden, kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden.

4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben; der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft:

Nach der Festnahme des Angeklagten waren sein und das Mobiltelefon der Zeugin Fa. sowie sein Laptop auszuwerten, was einige Zeit in Anspruch genommen hat. Zudem wurden mehrere Zeugen vernommen. Über diese Maßnahmen legte das mit den Ermittlungen beauftragte Polizeipräsidium Mö. Anfang April 2015 den Schlussbericht vor. Parallel zu den übrigen Maßnahmen geführte Finanzermittlungen konnten erst Mitte Mai 2015 abgeschlossen werden.

Im Februar 2015 ist zudem ein Gutachten des Sachverständigen Dr. S. zur JAMWA beim Generalbundesanwalt eingegangen, das für die Ermittlungen zur Struktur der Vereinigung von Bedeutung ist.

Die auf der Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse gefertigte Anklageschrift vom 11. Juni 2015 ist am 16. Juni 2015 beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangen. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats dieses Gerichts hat am 18. Juni 2015 die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten und seine Verteidiger angeordnet und eine Erklärungsfrist von einem Monat bestimmt.

Nachdem zwischenzeitlich der 7. Strafsenat des Oberlandegerichts Düsseldorf für die Sache zuständig geworden ist, hat dieser mit Beschluss vom 21. September 2015 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung wird am 23. Oktober 2015 beginnen.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1042

Bearbeiter: Christian Becker