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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 598

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 360/15, Beschluss v. 03.03.2016, HRRS 2016 Nr. 598


BGH 2 StR 360/15 - Beschluss vom 3. März 2016 (LG Meiningen)

Aufklärungsgrundsatz (Schuldgrundsatz; erforderliche Überprüfung eines Geständnisses).

Art. 1 Abs. 1 GG; § 244 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Aus dem Schuldprinzip folgt die Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1060). Diese Pflicht darf nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert werden. Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat (vgl. BGH StV 2013, 684).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 20. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 34 Fällen und Urkundenfälschung in neun Fällen unter Einbeziehung weiterer Strafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, außerdem hat es eine Anrechnungs- sowie eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Feststellungen zur Tatbegehung durch den Angeklagten und zu den Einzelheiten der verschiedenen Betrugstaten und Urkundenfälschungen allein auf das „glaubhafte und vollumfängliche Geständnis des Angeklagten“ gestützt. Die Beweiswürdigung erschöpft sich insoweit in einem einzigen Satz. Damit fehlt dem Urteil eine tragfähige Beweisgrundlage.

Aus dem Schuldprinzip folgt die Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1060). Diese Pflicht darf nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert werden. Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. April 2013 - 3 StR 35/13, StV 2013, 684, vom 6. August 2013 - 3 StR 212/13, StV 2013, 703 f., vom 5. November 2013 - 2 StR 265/13, NStZ 2014, 170 und vom 24. September 2013 - 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21, 27 f.).

Nach diesem Maßstab ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten einer inhaltlichen Überprüfung unterzogen hat. Zu einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Begründung des Urteils hätte es zunächst der Erläuterung der geständigen Einlassung bedurft; denn ohne Kenntnis von Einzelheiten vermag das Revisionsgericht nicht zu erkennen, ob ein auf Betrugs- und Urkundendelikte bezogenes Geständnis auch sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser Straftatbestände erfasst. Dabei hätte die Strafkammer insbesondere darlegen müssen, aufgrund welcher Umstände sie sich im Einklang mit dem Geständnis des Angeklagten vom Vorliegen eines Betrugsvorsatzes überzeugt hat. Denn dass der Angeklagte im Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsabschlüsse nicht willens und auch nicht in der Lage war, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, bzw. ihre Nichterfüllung billigend in Kauf genommen hat, versteht sich - auch vor dem Hintergrund, dass er die Taten „eingeräumt“ hat - nicht von selbst. So hat er, wie es den Urteilsgründen an anderer Stelle zu entnehmen ist, angegeben, es seien auch viele Geschäfte, die er - wie in den der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen - als Inhaber seiner Firma abgeschlossen habe, ordentlich abgewickelt worden. Warum in diejenigen Fälle, in denen es demgegenüber nicht zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen gekommen ist, eine vorsätzliche Täuschung über „Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit“ und damit ein nach § 263 StGB strafbares Verhalten vorliegen soll, hätte unter Mitteilung der konkreten Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung näherer Erörterung bedurft.

2. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 598

Externe Fundstellen: NStZ 2016, 489

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede