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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 957

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 163/15, Beschluss v. 21.07.2015, HRRS 2015 Nr. 957


BGH 2 StR 163/15 - Beschluss vom 21. Juli 2015 (LG Hanau)

Schuldunfähigkeit (Anforderungen an die Darstellung im Urteil)

§ 20 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 23. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Schon die Annahme, die Beschuldigte habe sämtliche Taten in einem Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB begangen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist - sachverständig beraten - davon ausgegangen, die Beschuldigte habe zu sämtlichen Tatzeitpunkten aufgrund des Vorliegens einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung als schwerer anderer seelischer Abartigkeit sowie unter dem Einfluss einer Polytoxikomanie im Zustand aufgehobener Schuldunfähigkeit gehandelt. Die Steuerungsfähigkeit sei dabei vollständig aufgehoben gewesen. Bei Verübung der Tat Nr. 6 habe sie sich zudem aufgrund des Vorliegens einer undifferenzierten Schizophrenie in einem hochpsychotischen Zustand befunden, weshalb neben der Steuerungsfähigkeit auch die Einsichtsfähigkeit bei der Beschuldigten gefehlt habe.

1. Damit hat die Strafkammer für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die festgestellte Persönlichkeitsstörung den nach der Rechtsprechung erforderlichen Schweregrad zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit aufweist. Die Erwägungen des Landgerichts beschreiben in allgemeiner Form lediglich die angenommene Persönlichkeitsstörung und enthalten - weder für sich noch im Zusammenhang mit den weiteren Urteilsgründen - den Beleg dafür, dass sie in ihrer belastenden Wirkung für die Betroffene - und damit auch im Hinblick auf ihre Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten - zur Tatzeit das Gewicht krankhafter seelischer Störungen i.S.d. §§ 20, 21 StGB erreicht hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 72; st. Rspr.). Soweit das Landgericht mehrfach ausgeführt hat, die Persönlichkeitsstörung habe sich bereits frühkindlich verfestigt und bestehe auch aktuell noch immer unverändert fort, da sie tief in der Persönlichkeit der Beschuldigten verwurzelt sei, belegt auch dies nicht, ob und gegebenenfalls ab wann die emotional instabile Persönlichkeitsstörung als „schwere andere seelische Abartigkeit“ angesehen werden kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der an anderer Stelle dargelegten Lebensgeschichte der 32 Jahre alten Beschuldigten, die früh von Verhaltensauffälligkeiten, später von Drogensucht und einer starken Alkoholabhängigkeit und seit dem Jahre 2010 von vermehrten Unterbringungen nach dem HFEG geprägt war. Damit hat die Strafkammer zwar einen sich verschlechternden psychischen Zustand der Beschuldigten beschrieben, belegt aber auch damit nicht die nötige Schwere der Persönlichkeitsstörung.

Im Übrigen ist nicht - insbesondere bei den Taten Nr. 2 und 3 - hinreichend belegt, dass sich die angenommene Persönlichkeitsstörung tatsächlich auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat. Grundloses, fremdaggressives Verhalten ist nicht ohne Weiteres ein Beleg für das vom Landgericht angenommene Fehlen einer Impulskontrolle. Dass die Persönlichkeitsstörung die Schuldfähigkeit ausgeschlossen habe, wird zwar an mehreren Stellen in den Urteilsgründen behauptet. Es fehlt aber an einer nachvollziehbaren Darlegung, welchen konkreten Einfluss die psychische Erkrankung auf die Beschuldigte hat und unter welchen Bedingungen es zur Begehung von Gewalthandlungen gegen Dritte kommen kann.

2. Soweit das Landgericht hinsichtlich der Tat Nr. 6 darüber hinaus vom Fehlen der Einsichtsfähigkeit aufgrund einer undifferenzierten Schizophrenie ausgegangen ist, beruht auch dies nicht auf für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Erwägungen. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten hätten sich ab dem Jahre 2013 erste Anzeichen einer Schizophrenie entwickelt, die sich spätestens im August 2014 (mit der Tat Nr. 6) zu einer undifferenzierten Schizophrenie deutlich ausgeprägt habe. Zwar wird dies gestützt durch die Einlassung der Beschuldigten, „man habe mit ihr Voodoo gemacht“ und sie mit einer „Voodoo-Handy-App“ gesteuert, sie habe sich deshalb nicht kontrollieren können, doch genügen diese Ausführungen angesichts einer großen Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden solcher Störungen nicht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20, Rn. 9b).

3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung nach § 63 StGB, wobei der neue Tatrichter die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens zu erwägen haben wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 957

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel