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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 529

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 462/14, Beschluss v. 18.03.2015, HRRS 2015 Nr. 529


BGH 2 StR 462/14 - Beschluss vom 18. März 2015 (LG Aachen)

Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos (Voraussetzungen).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Tatsachen, wenn der Nachweis ihres Vorliegens im Ergebnis nichts erbringen kann, weil er die Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen vermag. Zur Prüfung der Erheblichkeit ist die unter Beweis gestellte Tatsache wie eine erwiesene Tatsache in die konkrete Beweislage, also das bisherige Beweisergebnis einzufügen; es ist zu fragen, ob hierdurch die Beweislage in einer für den Urteilsspruch relevanten Weise beeinflusst würde. Dabei ist die Beweistatsache so, als sei sie bewiesen, in das bisherige gewonnene Beweisergebnis einzustellen und als Teil des Gesamtergebnisses in seiner indiziellen Bedeutung zu.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. Mai 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und zudem festgestellt, dass eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben ist. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung von Beweisantragsrecht Erfolg. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

a) In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte, die Zeugin H., die am 3. Juni 2013, fünf Tage nach der Tat, Täterkleidung in der E. Straße in L. am Gehwegrand gefunden hatte, zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sie diese Stelle bereits an den Tagen vom 30. Mai bis 2. Juni 2013 passiert habe, jedes Mal freie Sicht auf den Auffindeort gehabt und auch dorthin geschaut habe, an diesen Tagen aber die später aufgefundene Kleidung noch nicht dort gelegen habe. Die Strafkammer hat diesen Antrag nicht als Beweisantrag angesehen, weil ihm keine konkreten Behauptungen zur Tat- oder Rechtsfolgenfrage zu entnehmen seien; die benannte Zeugin könne aus eigener Wahrnehmung nichts zu dem angeklagten Tatgeschehen bekunden. Selbst wenn es sich um einen Beweisantrag handeln sollte, sei dieser abzulehnen, denn die vorgebrachten Behauptungen seien aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Es bestehe zwar zumindest teilweise ein gewisser Zusammenhang mit dem Gegenstand der Urteilsfindung, jedoch könnten die behaupteten Umstände selbst im Falle ihres Bewiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen, als sie nur mögliche, aber keine zwingenden Schlüsse zuließen, diese aber von der Kammer nicht gezogen werden würden. Dass die Zeugin an den Tagen vor dem Auffinden der Kleidung die Ablagestelle passiert und dabei freie Sicht gehabt habe, lasse nicht den zwingenden Schluss zu, dass sie dort zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelegen habe. Dabei könne dahin stehen, ob die Zeugin den fraglichen Gehwegrand tatsächlich betrachtet habe, da sie auch insofern nur Bekundungen zu ihrer eigenen Wahrnehmung machen könne.

b) Dies hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht ist das Landgericht davon ausgegangen, es handle sich nicht um einen Beweisantrag. Unter Beweis gestellt wurden konkrete Tatsachen, die zwar nicht das eigentliche Tatgeschehen betreffen, aber Umstände zum Gegenstand haben, die - wie die Auffindesituation von Beweismitteln, hier der Kleidung, die einer der Täter bei der Tat getragen und während der Flucht abgestreift hatte - für die Überzeugungsbildung des Gerichts von der Täterschaft von Bedeutung sein können. Davon ist letztlich auch das Landgericht ausgegangen, das im Rahmen seiner Hilfserwägungen zur Ablehnung des Antrags eingeräumt hat, dass "zumindest teilweise ein gewisser Zusammenhang mit dem Gegenstand der Urteilsfindung bestehe".

Das Landgericht hätte die begehrte Beweisaufnahme daher nur aus den in § 244 Abs. 3 und 4 StPO genannten Gründen zurückweisen dürfen. Die von der Strafkammer angeführten Erwägungen, mit denen sie hilfsweise auf die tatsächliche Bedeutungslosigkeit der beantragten Beweiserhebung gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. StPO abstellt, tragen diesen Ablehnungsgrund allerdings nicht. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Tatsachen, wenn der Nachweis ihres Vorliegens im Ergebnis nichts erbringen kann, weil er die Beweiswürdigung nicht zu beeinflussen vermag. Zur Prüfung der Erheblichkeit ist die unter Beweis gestellte Tatsache wie eine erwiesene Tatsache in die konkrete Beweislage, also das bisherige Beweisergebnis einzufügen; es ist zu fragen, ob hierdurch die Beweislage in einer für den Urteilsspruch relevanten Weise beeinflusst würde. Dabei ist die Beweistatsache so, als sei sie bewiesen, in das bisherige gewonnene Beweisergebnis einzustellen und als Teil des Gesamtergebnisses in seiner indiziellen Bedeutung zu würdigen (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. § 244, Rn. 144 m. N. zur Rspr. des BGH). Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Ablehnungsbegründung nicht gerecht. Die Strafkammer hat nicht - wie es notwendig gewesen wäre - die eigentlich unter Beweis gestellte Tatsache, nämlich den Umstand, dass die Täterkleidung vor dem Auffindetag nicht am Auffindeort gelegen habe, in das bisherige Beweisergebnis eingefügt und als Teil des Gesamtergebnisses gewürdigt. Sie hat sich im Ergebnis vielmehr darauf beschränkt, als erwiesen anzusehen, dass die Zeugin dies aussagen werde, und damit - da sie die Ablehnung darauf gestützt hat, den möglichen Angaben der Zeugin jedenfalls nicht folgen zu wollen - wesentliche Abstriche an der Beweisbehauptung vorgenommen.

Auf der fehlerhaften Zurückweisung des Beweisantrages beruht die angefochtene Entscheidung. Es lässt sich nicht ausschließen, dass das Landgericht nicht von der Täterschaft des Angeklagten ausgegangen wäre, hätte es festgestellt, dass die Täterkleidung, die der Täter auf seinem Fluchtweg ausgezogen haben soll, erst nachträglich und nach der Festnahme des Angeklagten an einem Ort abgelegt worden ist, der sich auf dem festgestellten Fluchtweg des Angeklagten befand. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Landgericht in seinen Urteilsgründen davon ausgegangen ist, dass der Auffindeort der Kleidung und die von einer anderen Zeugin benannte Stelle, an der der Täter auf der Flucht Kleidung ausgezogen habe, identisch seien, und der Urteilsfindung damit das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache zugrunde gelegt hat.

2. Als rechtsfehlerhaft erweist sich auch die Zurückweisung eines Beweisantrags auf Einholung eines daktyloskopischen Gutachtens zur Untersuchung eines von dem Täter bei der Tat übergebenen Pakets, der unter Beweis stellte, dass darauf lediglich Fingerabdrücke dritter Personen, nicht aber diejenigen des Angeklagten zu finden seien. Die Strafkammer ist auch insoweit zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich nicht um einen Beweisantrag handele (da dem Antrag keine konkreten Behauptungen zur Tat- oder Rechtsfolgenseite zu entnehmen seien). Die hilfsweise angeführte Begründung, die vorgebrachten Behauptungen seien aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung, da sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zuließen, die von der Kammer nicht gezogen würden, vermag die Ablehnung des Beweisantrags auch hier nicht zu rechtfertigen. Der bloße Hinweis der Strafkammer, einen möglichen Schluss nicht ziehen zu wollen, genügt ohne Einfügung in das bisherige Beweisergebnis und nähere Begründung, warum das Landgericht den möglichen Schluss nicht ziehen will, nicht den insoweit erforderlichen Begründungsanforderungen. Dies gilt um so mehr, als die Zeugin La. als Paketempfängerin und Tatopfer - wie sich dem Ablehnungsbeschluss der Strafkammer entnehmen lässt - angegeben hat, der Täter, der ihr das Paket überreicht habe, habe keine Handschuhe getragen, was es jedenfalls als möglich erscheinen lässt, dass der Täter Fingerabdrücke auf dem Paket hinterlassen hat. Soweit die Strafkammer dem durch die Erwägung begegnet ist, die Zeugin könne sich bei ihrer Angabe in der Hauptverhandlung unzutreffend erinnert haben, fehlen jegliche konkrete Anhaltspunkte für diese Annahme.

Ob das Urteil auch auf dieser fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags beruht - was der Generalbundesanwalt im Ergebnis in Abrede stellt -, kann angesichts der durchgreifenden Beweisantragsrüge dahinstehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 529

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 599

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel