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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 963

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 318/14, Urteil v. 22.07.2015, HRRS 2015 Nr. 963


BGH 2 StR 318/14 - Urteil vom 22. Juli 2015 (LG Köln)

Ablehnung eines Beweisantrags, weil die Tatsache bereits bewiesen ist.

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. Januar 2014 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Nebenkläger, mit denen sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstreben, bleiben ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte betrieb seit 2010 einen Kiosk, den der später getötete S. D. häufig aufsuchte; mit weiteren Personen konsumierte er dort auch am 15. Februar 2013 ab 20.00 Uhr alkoholische Getränke. Als der Angeklagte den Kiosk in den Nachtstunden des 16. Februar 2013 verschloss, hielten sich S. D. und andere Personen im Eingangsbereich des Ladens auf dem Gehweg auf.

Da es auf den Kiosk in der Vergangenheit zu einer Vielzahl von „deliktischen Übergriffen“ (UA S. 5) gekommen war, bat der Angeklagte zu Hause seinen Sohn C. G., nochmals zum Kiosk zu fahren und „nach dem Rechten zu sehen“ (UA S. 10).

Mit einem Freund fuhr C. G. zum Kiosk. Zwischen ihm und S. D., der sich nach wie vor am Kiosk mit einer Gruppe weiterer Personen aufhielt, kam es aus nichtigem Anlass zu einer zunächst verbalen, sodann zu einer tätlichen Auseinandersetzung, an der auch ein Begleiter von S. D. und der Freund von C. G. beteiligt waren. Den übrigen anwesenden Personen gelang es schließlich, die Schlägerei zu beenden und die Streitenden voneinander zu trennen.

Zu Hause berichtete C. G. dem Angeklagten von der körperlichen Auseinandersetzung mit S. D. „Unmittelbar nach dieser kurzen Schilderung seines Sohnes stand der Angeklagte auf und zog sich wieder an. Dann nahm er seine Pistole unter dem Sofakissen […] an sich, steckte sich diese in seinen rechten Hosenbund und verließ sichtlich aufgebracht das Wohnzimmer“ (UA S. 12). Im Hausflur begegnete der Angeklagte noch dem verletzten Freund seines Sohnes; sodann fuhr er mit seinem Fahrzeug zum Kiosk.

Gegen 02.00 Uhr hielt der Angeklagte das Fahrzeug unmittelbar vor der auf dem Gehweg stehenden Personengruppe, stieg aus dem Fahrzeug aus, ging zügig auf S. D. zu, „sprach ihn lautstark an und packte ihn sofort an den Hals“ (UA S. 12). D. wehrte sich gegen den Griff und packte seinerseits den Angeklagten am Kragen seiner Kleidung an. Nachdem eine weitere Person die beiden Beteiligten voneinander getrennt hatte und S. D. zum Angeklagten sprach, dieser wisse doch nicht, was passiert sei, zog der Angeklagte seine Waffe aus dem Hosenbund, lud diese deutlich sichtbar durch und schoss aus einer Entfernung von ca. ein bis zwei Meter in Richtung des vor ihm stehenden D., „wobei er den rechten Schussarm nach unten geneigt hielt“ (UA S. 13). Das Projektil traf D. am linken Bein und durchschlug seinen Oberschenkel, ohne lebensgefährliche Verletzungen zu verursachen.

Unmittelbar nach diesem ersten Schuss lief D. um die Front des vom Angeklagten abgestellten Fahrzeugs; der Angeklagte verfolgte ihn und gab aus der Bewegung heraus einen weiteren Schuss in Richtung des ihm seitlich zugewandten Oberkörpers des Geschädigten ab, wobei er nunmehr tödliche Verletzungen wenigstens billigend in Kauf nahm. Das Projektil durchschlug den rechten Oberarm des Geschädigten und trat in seine Brusthöhle ein, wodurch es zu einer erheblichen Einblutung kam.

Trotz dieser Schussverletzung lief D. zunächst weiter um das Fahrzeug herum, blieb dann jedoch stehen, drehte sich zu dem ihm verfolgenden Angeklagten herum und fragte „War es das jetzt?" (UA S. 13). Der Angeklagte gab nunmehr in Tötungsabsicht aus kurzer Distanz von einem Meter einen gezielten Schuss auf den Oberkörper des Geschädigten ab. Das Projektil traf D. nahezu mittig im Bauch und durchsetzte die Körperhauptschlagader. Der Angeklagte drückte noch einmal ab; ein Schuss löste sich indes nicht, weil die Waffe keine weiteren Patronen enthielt. Der Angeklagte fuhr mit seinem Fahrzeug weg; D. verstarb auf dem Transport zum Krankenhaus.

b) Das Landgericht hat die Tat als Totschlag gewertet; das Mordmerkmal der Heimtücke liege nicht vor, weil der Geschädigte angesichts der vorangegangenen Streitigkeit zwischen ihm und dem (ihm bekannten) Sohn des Angeklagten und der darauffolgenden verbalen und körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten nicht arglos gewesen sei. Von dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat sich die Strafkammer nach einer Gesamtschau ebenfalls nicht überzeugen können.

2. Die Revisionen der Nebenkläger decken keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

a) Die von den Nebenklägern erhobene - inhaltsgleiche - Verfahrensrüge, mit der beanstandet wird, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft einen Hilfsbeweisantrag abgelehnt, ist unbegründet.

aa) Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Am Ende der Hauptverhandlung beantragten die Nebenkläger „für den Fall, dass das Gericht beabsichtigt, den Angeklagten nicht wegen Heimtückemordes zu verurteilen, ein kriminalistisches Sachverständigengutachten einzuholen zu nachstehender Beweistatsache:

Die Oberbekleidung des Verstorbenen, die er am Tattag trug, weist am Einschussloch in der Bauchgegend Projektil- und Pulverspuren auf, die darauf hindeuten, dass es sich bei dem Bauchschuss um einen Schuss handelt, der aus dem Nahschussbereich von 1-2 Metern auf den Verstorbenen abgegeben wurde. Vorstehende Tatsache ist beweisbedeutsam, da seitens der Rechtsmedizin nicht geklärt werden konnte, welche der Schussverletzungen zuerst entstanden ist. Die beiden Schussverletzungen am Oberschenkel und Oberkörper bzw. Oberarm deuten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch darauf hin, dass diese in der Rückwärtsbewegung vom Täter weg entstanden sind, auf der Flucht. […] Die Beweisfrage (ist) für den Zeitraum, die dem Verstorbenen verblieb, um auf den Angriff zu reagieren bedeutsam, was sich letztlich auf den Heimtückevorsatz auswirkt“.

Die Strafkammer lehnte diesen Antrag in den Urteilsgründen gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ab, „weil die unter Beweis gestellte Tatsache, dass der Bauchschuss aus einer Entfernung von 1-2 Metern auf den Verstorbenen abgegeben wurde, bereits durch andere Beweismittel erwiesen war“ (UA S. 64). Das Landgericht hat „unter weiterer Bewertung der Zeugenaussagen und den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen“ (UA S. 64) zudem die Bauchverletzung mit dem letzten Schuss in Einklang gebracht. Schließlich hat die Strafkammer ausgeführt: „Soweit in dem Hilfsbeweisantrag in der Begründung anklingt, dass auch die Schussabfolge durch das beantragte Gutachten zu klären sei, handelt es sich um ein ungeeignetes Beweismittel. Denn ein solches Gutachten könnte aus etwaig vorhandenen Schmauchspuren an der Bekleidung alleine den räumlichen Abstand im Zeitpunkt einer Schussabgabe zwischen dem Angeklagten und D. klären. Hieraus kann aber auch durch ein kriminalistisches Gutachten die Reihenfolge der Schüsse nicht rekonstruiert werden. Insofern kann hierdurch auch nicht erwiesen werden, dass es sich bei dem Bauchschuss um den ersten Schuss des Angeklagten gehandelt haben könnte“ (UA S. 64 f.).

bb) Die Revisionen der Nebenkläger rügen die Ablehnung des Hilfsbeweisantrages als rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht hinsichtlich des beantragten Sachverständigengutachtens von einem ungeeigneten Beweismittel ausgehe.

cc) Die Ablehnung des Antrages ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Bei dem Antrag der Nebenkläger handelt es sich lediglich insoweit um einen Beweisantrag, als dass mit einem Sachverständigengutachten bewiesen werden soll, bei dem Bauchschuss handele es sich um einen Schuss, der aus dem Nahschussbereich von ein bis zwei Metern auf den Verstorbenen abgegeben wurde. Diese Beweistatsache hat das Landgericht rechtsfehlerfrei als erwiesen erachtet und den Feststellungen im Urteil zugrunde gelegt.

Im Übrigen behauptet der Antrag keine (weitere) bestimmte Beweistatsache (vgl. auch Dallmeyer in Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 203 mwN), sondern gibt nur ein Beweisziel an (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 - 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 254; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 325/07, wistra 2008, 107, 108), nämlich eine Schlussfolgerung aus einer zeitlichen Rekonstruktion der Schussverletzungen, die sich die Nebenkläger von dem Sachverständigengutachten erhofften.

Dass das Landgericht den Antrag dennoch als Beweisantrag behandelt hat, begründet keinen Rechtsfehler, der der Verfahrensrüge zum Erfolg verhilft. Wird ein Beweisermittlungsantrag wie ein Beweisantrag geprüft, begründet dies die Revision regelmäßig nur, wenn das Tatgericht seine Aufklärungspflicht verletzt hat (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 381; Krehl in KK-StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 237, jeweils mwN); eine entsprechende Rüge ist von den Nebenklägern indes nicht erhoben worden. Mit Blick auf die Ablehnungsbegründung (UA S. 64 iVm UA S. 39 f.) wäre die Strafkammer zudem zur Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens unter dem Gesichtspunkt des § 244 Abs. 2 StPO nicht gedrängt gewesen. Ausweislich (auch) der Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, könne nur die dritte Schussabgabe die Bauchverletzung „plausibel“ erklären, da es dort trotz erheblicher Verletzung der Körperhauptschlagader nur zur geringen Einblutung gekommen sei; dieses sei dadurch zu erklären, dass es zuvor zur erheblichen Einblutung in der Brusthöhle gekommen sei, sodass die Verletzung im Brustbereich zuvor zugefügt worden sein müsse. Im Übrigen könnten die seitlich zugefügten Bein-, Arm- und Brustverletzungen (auch) nach Bekundungen aller am Tatort anwesenden Zeugen und der Einlassung des Angeklagten jedenfalls nicht zum Zeitpunkt des dritten Schusses erfolgt sein, weil sich zu diesem Zeitpunkt der Angeklagte und S. D. frontal gegenüber gestanden hätten.

dd) Selbst wenn die Zurückweisung des Hilfsbeweisantrags mit der Begründung, es handele sich bei dem Sachverständigenbeweis um ein ungeeignetes Beweismittel, rechtsfehlerhaft gewesen wäre (vgl. dazu auch Senat, Urteil vom 20. Mai 2015 - 2 StR 46/14 mwN), kann der Senat ausschließen, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehler beruht. Die Erwägungen des Landgerichts zur Frage der Heimtücke (UA S. 59) wären auch dann tragfähig, wenn bereits für den ersten Schuss ein Tötungsvorsatz angenommen würde. Das Landgericht hat sich ohne Rechtsfehler davon überzeugt, dass der Geschädigte bereits vor dem ersten Schuss - angesichts der vorangegangenen Streitigkeit zwischen ihm und dem (ihm bekannten) Sohn des Angeklagten und der darauffolgenden verbalen und körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten - mit einem tätlichen Angriff gerechnet hat (vgl. auch Fischer, StGB, 62. Aufl., § 211 Rn. 35 ff., 37c mwN).

b) Die von den Nebenklägern jeweils erhobene Sachrüge ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. September 2014 unbegründet.

3. Schließlich liegen auch keine durchgreifenden, den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler vor (§ 301 StPO analog).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 963

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel