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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 237

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 211/14, Beschluss v. 29.12.2014, HRRS 2015 Nr. 237


BGH 2 StR 211/14 - Beschluss vom 29. Dezember 2014 (LG Bonn)

Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit (Anforderungen an die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses); Auslegung von Beweisanträgen (Bestimmung des Beweismittels).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Will das Tatgericht einen Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit zurückweisen, muss es darlegen, warum es aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss geblieben ist. Dies nötigt zu einer Einfügung der behaupteten Beweistatsache in das bis dahin gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH NStZ 2013, 611).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 9. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II.3. der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und

c) im Maßregelausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten untersagt, berufs- und gewerbsmäßig von Personen unter 21 Jahren Abbildungen anzufertigen oder solche Personen als Schauspieler oder Fotomodel auszubilden, zu beraten oder zu vermitteln. Darüber hinaus hat das Landgericht zugunsten der Nebenklägerin T. eine Adhäsionsentscheidung getroffen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit sich die Revision gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Taten zum Nachteil der Nebenklägerin T.) richtet, zeigt sie aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler auf.

Auch der Adhäsionsausspruch hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat bei der Bemessung des der Nebenklägerin T. zugesprochenen Schmerzensgelds in Höhe von 1.000 € die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin berücksichtigt. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 18. Juni 2014 - 4 StR 217/14; Beschluss vom 2. September 2014 - 3 StR 325/14). Der Senat hält indes aus den im Beschluss vom 8. Oktober 2014 (2 StR 337/14) dargelegten Gründen sowohl die Einbeziehung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers als auch eine Erörterung der Vermögensverhältnisse der Geschädigten bei der Entscheidung über die Höhe der billigen Entschädigung im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB für rechtsfehlerhaft. Ungeachtet dessen hat sich der vom Landgericht zugrunde gelegte Bewertungsmaßstab hier jedenfalls nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt. Angesichts der geringen Höhe des Schmerzensgelds und im Hinblick darauf, dass das Landgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich anspruchsmindernd und damit zugunsten des Angeklagten in Ansatz gebracht hat, kann ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler ausgeschlossen werden.

2. Dagegen hat die Revision zu Fall II.3. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Nebenklägerin K.) mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.

Nach den insoweit getroffenen Feststellungen setzte sich die zum Tatzeitpunkt dreizehnjährige Nebenklägerin in der Wohnung des Angeklagten zur Anfertigung von Fotoaufnahmen auf ein Sofa. Während der Angeklagte Fotos machte, kniete er sich vor die Nebenklägerin, die keine Unterhose trug, führte einen Finger in ihre Scheide ein und manipulierte an ihrer Klitoris.

a) Die von dem Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO ist begründet. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte die Spurensuche nach DNA-Anhaftungen zum Beweis der Tatsache, dass sich auf dem Sofa keine DNA-Spuren der Nebenklägerin befänden. Das Landgericht hat diesen Antrag als Beweisermittlungsantrag eingestuft und ausgeführt, die Aufklärungspflicht gebiete eine Beweiserhebung nicht, weil selbst das Fehlen von DNA-Spuren nicht den Schluss zuließe, der Angeklagte habe die ihm vorgeworfene sexuelle Handlung nicht begangen.

Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Antrag rechtsfehlerhaft als Beweisermittlungsantrag gewertet. In dem Antrag wurde ein konkretes Beweismittel zwar nicht ausdrücklich benannt. Der Antragsbegründung war jedoch im Wege der gebotenen Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 39) unzweifelhaft zu entnehmen, dass der Angeklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens begehrte. Auch die Begründung, mit der das Landgericht das Beweisbegehren zurückgewiesen hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Erwägung, das Fehlen von DNA-Spuren spräche nicht gegen die Tatbegehung durch den Angeklagten, wäre zwar grundsätzlich geeignet gewesen, eine Zurückweisung des Antrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) zu rechtfertigen. Hierfür hätte es aber einer eingehenderen Begründung bedurft. Will das Tatgericht einen Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit zurückweisen, muss es darlegen, warum es aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss geblieben ist. Dies nötigt zu einer Einfügung der behaupteten Beweistatsache in das bis dahin gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - 5 StR 143/13, NStZ 2013, 611). Hieran fehlt es. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung im Fall II.3. der Urteilsgründe auf diesem Verfahrensfehler beruht.

b) Darüber hinaus hat die Revision auch aufgrund einer weiteren Verfahrensbeanstandung, mit der die Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO gerügt wird, Erfolg. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach der Vernehmung der Nebenklägerin stellte der Angeklagte den Antrag, ein ärztliches Gutachten bezüglich seiner Erektionsprobleme, die ein medizinisches Problem seien, einzuholen. Das Gutachten werde belegen, dass die Nebenklägerin - anders als von ihr ausgesagt - nach der Tat bei ihm keine Erektion habe wahrnehmen können. Das Landgericht hat auch diesen Antrag als Beweisermittlungsantrag gewertet und ihn ohne weitere Begründung zurückgewiesen.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts handelte es sich auch bei diesem Antrag um einen Beweisantrag. An der bestimmten Behauptung einer Beweistatsache fehlte es nicht deshalb, weil der Angeklagte im Zusammenhang mit den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin P. eingeräumt hatte, mit dieser eine intime Beziehung gehabt und mit ihr "stets [...] einvernehmlich sexuell verkehrt" zu haben (UA S. 68). Ein Beweisantrag liegt zwar dann nicht vor, wenn eine Beweisbehauptung wider besseres Wissen und daher lediglich zum Schein aufgestellt wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. April 1992 - 3 StR 388/91, NStZ 1992, 397, 398; OLG Hamburg, StV 1999, 81, 82). Eine solche Intention des Angeklagten ist hier aber nicht ausreichend belegt. Denn aus der Einlassung des Angeklagten ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass die behaupteten Erektionsprobleme zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin K. nicht bestanden. Das Landgericht hätte die begehrte Beweisaufnahme daher nur aus den in § 244 Abs. 3 und § 244 Abs. 4 StPO genannten Gründen ablehnen dürfen. Fehlt - wie hier - eine solche Begründung, kann sie im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht nachgeholt werden (vgl. KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 233).

c) Als rechtsfehlerhaft erweist sich schließlich auch die Zurückweisung des Antrags, das Video der Wohnung des Angeklagten in Augenschein zu nehmen und mehrere Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich entgegen der Aussage der Nebenklägerin in der Wohnung keine Aktfotos an den Wänden befanden.

Auch dieser Antrag enthielt die bestimmte Behauptung einer konkreten Beweistatsache. Seine Zurückweisung hätte daher einer hinreichenden Begründung bedurft, um dem Senat die Möglichkeit zu eröffnen, die Rechtmäßigkeit der Ablehnung zu überprüfen (vgl. LR-Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 134). Eine entsprechende Begründung durch das Landgericht, das den Antrag rechtsfehlerhaft als Beweisermittlungsantrag behandelt hat, fehlt. Dazu, ob die Zeugenvernehmung aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung war (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die Beweistatsache nicht geeignet gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu erschüttern oder ob - soweit es die beantragte Einnahme des Augenscheins betrifft - die Beweisaufnahme aus diesem Grund unter Aufklärungsgesichtspunkten nicht erforderlich war (§ 244 Abs. 5 Satz 1 StPO), verhält sich der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts nicht. Angesichts der bereits durchgreifenden weiteren Verfahrensrügen kann dahinstehen, ob die Verurteilung im Fall II.3. auch auf dieser Gesetzesverletzung beruht.

3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.3. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

4. Aufgrund der zwischen Strafe und Maßregel bestehenden Wechselwirkung (vgl. Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 70) ist zudem die Anordnung des Berufsverbots aufzuheben. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass für den Fall, dass das Tatgericht erneut ein Berufsverbot verhängen sollte, dieses auf den Umgang mit Personen weiblichen Geschlechts zu beschränken wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 StR 388/13, NStZ-RR 2014, 177).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 237

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel