hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 187

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 26/13, Beschluss v. 23.01.2014, HRRS 2014 Nr. 187


BGH AK 26/13 - Beschluss vom 23. Januar 2014 (Ermittlungsrichter des BGH)

Kriminelle und terroristische Vereinigung im Ausland ("DHKPC"; mögliche Zäsurwirkung durch Inkrafttreten des § 129b StGB); Fortdauer der Untersuchungshaft (dringender Tatverdacht; Verhältnismäßigkeit; Fluchtgefahr).

§ 129b StGB; § 116 StPO; § 120 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

Der Beschuldigte ist aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2013 - 6 BGs 107/13 - am 26. Juni 2013 festgenommen worden und befindet sich seit diesem Tag in Untersuchungshaft.

1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich seit Inkrafttreten des § 129b StGB am 30. August 2002 bis zu seiner Festnahme - unterbrochen durch die Verbüßung einer Haftstrafe vom 4. Oktober 2007 bis zum 29. September 2009 - als Mitglied der marxistisch-leninistischen Gruppierung DHKPC und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:

Die hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung DHKPC verfolgt das Ziel, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine marxistisch-leninistisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung unter ihrer Kontrolle zu errichten. Sie hat sich seit dem Jahre 1994 zu zahlreichen Brand- und Sprengstoffanschlägen bekannt, die insbesondere gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mitglieder türkischer Justizbehörden und der türkischen Armee, aber auch gegen angebliche "Verräter" und zuletzt auch - getreu ihrer Zielsetzung, den "US-Imperialismus" bekämpfen zu wollen - gegen die amerikanische Botschaft gerichtet waren. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten, die seit dem Jahr 2011 bis in das Jahr 2013 hinein zudem eine gegenüber den Vorjahren mit Blick auf die Häufigkeit und die Schwere der Straftaten gesteigerte Aktivität der Vereinigung belegen, wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs Bezug genommen.

Die DHKPC ist auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, aktiv. Hier bestehen in erster Linie der Europaführung der DHKPC untergeordnete, nach Ländern, Regionen und Gebieten strukturierte Organisationseinheiten, die von Parteifunktionären oder -komitees geleitet werden. Die Aufgabe dieser sog. Rückfront ist es insbesondere, finanzielle Mittel zu beschaffen und auf diese Weise die Begehung der terroristischen Anschläge in der Türkei zu unterstützen. Daneben werden in Europa Kämpfer rekrutiert, was nicht zuletzt das Beispiel des bei dem Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara im Februar 2013 gestorbenen Selbstmordattentäters S. zeigt; zudem wird für deren Ausstattung gesorgt sowie ein Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation geschaffen.

Der Beschuldigte war bereits seit mindestens dem Jahr 1993 für die DHKPC in Europa tätig. In dieser Zeit war er bis Mitte Mai 2004 als Gebietsverantwortlicher für Berlin zuständig, bevor er festgenommen wurde und sich bis August 2004 in Abschiebehaft befand. In der Zeit danach blieb er für die DHKPC tätig, wobei er sich in Nordrhein-Westfalen aufhielt. Mit Urteil vom 10. Januar 2006 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Inland nach § 129a StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Dabei legte es für seine Betätigungen für die DHKPC einen Tatzeitraum von September/Oktober 1996 bis Februar 1999 zugrunde. Nachdem die vom Oberlandesgericht verhängte Freiheitsstrafe in eine anderweitige Verurteilung vom 12. Dezember 2006 einbezogen worden war, wurde die durch dieses Urteil verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat gegen den Beschuldigten in der Zeit vom 4. Oktober 2007 bis zum 29. September 2009 vollstreckt. Während dieser Zeit kam es zu keinen mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen.

Nach seiner Haftentlassung übernahm der Beschuldigte die Funktion des Verantwortlichen für das DHKPC-Gebiet Wuppertal und stand als solcher zu hochrangigen DHKPC-Funktionären in regelmäßigem Kontakt. Als Gebietsverantwortlicher war er bis zu seiner Festnahme mit dem Verteilen der Organisationszeitschrift, dem Einsammeln von Spenden und Zeitschriftengeldern, der Betreuung von Inhaftierten und der Organisation von Veranstaltungen befasst. Außerdem oblag ihm die Anmietung und Einrichtung von Räumlichkeiten für die DHKPC-Tarnorganisation Tayad. Wegen der weiteren Einzelheiten seiner Tätigkeit als Gebietsverantwortlicher für Wuppertal nimmt der Senat auf die ausführliche Sachverhaltsschilderung im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs Bezug.

3. Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Betätigungshandlungen vor der Vollstreckung der Haftstrafe gegen den Beschuldigten insbesondere aus der Auswertung des im "Özgürlük"-Büro in Amsterdam am 1. April 2004 sichergestellten DHKPC-Archivs sowie aus den Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren gegen die zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilte frühere Deutschlandverantwortliche der DHKPC E. Die Tätigkeiten nach der Entlassung aus der Haft ab Ende September 2009 werden belegt durch die Bekundungen des wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig Verurteilten A. sowie durch Erkenntnisse aus verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahmen sowohl im Verfahren gegen den ebenfalls rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilten D. als auch im laufenden Verfahren. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführliche Darstellung im Haftbefehl Bezug.

4. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Die DHKPC stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses insgesamt eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB dar (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10, BGHR StGB § 129b Vereinigung 1).

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat im Haftbefehl vom 24. Juni 2013 angenommen, die Verurteilung des Beschuldigten durch das Oberlandesgericht Düsseldorf vom 10. Januar 2006 habe nicht zu einem Strafklageverbrauch hinsichtlich der bis zu diesem Tag begangenen mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen des Beschuldigten geführt. Dies hat er unter Berufung auf eine Entscheidung des Senats (Beschluss vom 15. Februar 2007 - StB 19/06, NStZ 2007, 401, 402) damit begründet, dass dem Beginn der strafrechtlichen Verfolgbarkeit nach § 129b StGB die Wirkung einer Zäsur zukomme, so dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an der DHKPC ab dem 30. August 2002 - dem Tag des Inkrafttretens des § 129b StGB - eine andere materiell-rechtliche und prozessuale Tat darstelle als die Beteiligung an dieser Vereinigung in der Zeit davor.

Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob an dieser Rechtsprechung bzw. der ihr zugrundeliegenden Rechtsauffassung, die auch für den Verwerfungsbeschluss nach § 349 Abs. 2 StPO vom 8. März 2012 in dem Revisionsverfahren 3 StR 300/11 maßgeblich war, festzuhalten ist. Die bereits genannte Rechtsprechung des Senats, mit der er die DHKPC auf der Grundlage der auch im Verfahren gegen den Beschuldigten maßgeblichen Erkenntnisse zu ihren Zielen und ihrer Struktur insgesamt als ausländische terroristische Vereinigung bewertet hat (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10, BGHR StGB § 129b Vereinigung 1), könnte eine Neubewertung der sich insoweit stellenden Rechtsfragen erforderlich machen.

Im vorliegenden Haftprüfungsverfahren bedarf es einer solchen nicht, weil auch die verbleibenden Taten der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland - die beiden durch die Inhaftierung des Beschuldigten unterbrochenen Tatzeiträume vom 11. Januar 2006 bis zum 3. Oktober 2007 und ab dem 30. September 2009 stellen zwei miteinander real konkurrierende Taten dar (vgl. MüKo-StGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 137) - den dringenden Tatverdacht und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls tragen.

5. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Weiterhin besteht jedenfalls - wie der Haftbefehl zutreffend aufführt - der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die angesichts der Schwere des Tatvorwurfs im Fall einer Verurteilung zu erwartende Strafe begründet - selbst wenn man den Tatzeitraum bis zum 10. Januar 2006 außer Acht lässt - einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte, der aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zur DHKPC über keine sozialen Kontakte außerhalb dieser terroristischen Vereinigung verfügt, dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass dem Beschuldigten bereits seit Juli 2007 bekannt ist, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt wird, zumal erst die Ermittlungen ab dem Jahr 2011 zu dem nun angenommenen Umfang des Tatvorwurfs geführt haben und ihm deshalb die Konsequenz einer möglicherweise mehrjährigen Haftstrafe im Falle seiner Verurteilung nicht bewusst war. Aus diesem Grund sind auch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft zu gewährleisten.

6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre - nicht zuletzt in dem hohen Grad der Konspiration, mit dem die Vereinigungsmitglieder und auch der Beschuldigte agierten, begründete - besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen - jedenfalls noch - die Fortdauer der Untersuchungshaft. Die Auswertung der sehr umfangreichen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, deren Inhaltsprotokolle 30 Stehordner füllen, ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Am Tag seiner Verhaftung sind seine Wohnung, die von ihm genutzte Wohnung seines Bruders, eine von ihm genutzte Gartenlaube und sein Pkw sowie die Räumlichkeiten des Kölner DHKPC-Vereins durchsucht worden. Dabei sind insbesondere in der Wohnung des Beschuldigten und in den Vereinsräumlichkeiten zahlreiche Speichermedien, aber auch mehrere Computer, MP3-Spieler und Mobiltelefone sichergestellt worden, deren Auswertung durch das Bundeskriminalamt ebenfalls noch nicht abgeschlossen ist. Der Generalbundesanwalt hat zudem mitgeteilt, dass die Erhebung der Anklage nunmehr unmittelbar bevorsteht.

7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfen - auch ohne Berücksichtigung des Tatzeitraums vom 30. August 2002 bis zum 10. Januar 2006 - derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 187

Bearbeiter: Christian Becker