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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1075

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 66/13, Beschluss v. 16.10.2013, HRRS 2013 Nr. 1075


BGH 2 StR 66/13 - Beschluss vom 16. Oktober 2013 (LG Bonn)

Rechtsfehlerhafte weil lückenhafte Beweiswürdigung beim Vorwurf des Totschlages.

§ 261 StPO; § 212 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten D. S. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, die Angeklagte S. S. wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, ohne dass es auf die Verfahrensrügen ankommt.

1. Die Beweiswürdigung, mit der sich das Landgericht die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten D. S. verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie weist in einem maßgeblichen Punkt Lücken auf und ist deshalb rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht ist - sachverständig beraten - davon ausgegangen, dass das Tatopfer in der Zeit zwischen 0.00 Uhr und 1.18 Uhr zu Tode gekommen ist (UA S. 21: Todeskernzeit). Unmittelbar nach Beginn dieser Zeitspanne, um 00:00:31 Uhr, führte der Angeklagte mit seiner Ehefrau - der Mitangeklagten - ein Telefongespräch über sein Mobilfunkgerät, um hierdurch - wie die Schwurgerichtskammer weiter ausführt - ein Alibi für sich zu beschaffen. Dabei war das Telefon des die Tat bestreitenden Angeklagten nicht in der Funkzelle eingeloggt, die den Wohnort des Getöteten versorgt, sondern bei dem angrenzenden Funkmast "T." angemeldet, der vom Tatort aus gesehen die Fahrtstrecke zur Bundesautobahn 59 abdeckt, über die man im weiteren Verlauf die Bundesautobahn 61 erreicht, die in Richtung Heimat des Angeklagten führt (UA S. 11, 23). Angesichts dieser zeitlichen Festlegungen und mangels weiterer Feststellungen zur Entfernung zwischen dem Tatort und dem Beginn des Funkbereichs des Sendemasts "T." bzw. zur Zeitdauer für die Zurücklegung dieser Wegstrecke lässt sich für das Revisionsgericht nicht nachvollziehen, ob der Angeklagte überhaupt als Täter in Betracht kommt.

Das Tatopfer ist durch zwei Messerstiche zu Tode gekommen, wobei der Tod alsbald eingetreten ist. Dies ist - nach den Angaben des Sachverständigen - um frühestens (vgl. UA S. 21) 0.00 Uhr geschehen. 31 Sekunden später führte der Angeklagte ein Telefongespräch, bei dem er sich räumlich jedenfalls so weit vom Tatort entfernt hatte, dass sein Mobiltelefon dabei bereits bei dem angrenzenden Sendemast eingeloggt war. Ob es - unter Berücksichtigung der Tatortgegebenheiten - überhaupt möglich gewesen ist, in dieser sehr kurzen Zeitspanne den Weg vom Tatort, der Hauseingangstür, zum abgestellten Pkw und von dort mit dem Fahrzeug bis zu dem Punkt zu gelangen, an dem sich ein Mobilfunkgerät bei dem Sendemast "T." einloggt, teilt das Urteil nicht mit. Dies aber wäre vonnöten gewesen, weil sich dies nicht von selbst versteht und auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden kann. Zwar weist die Kammer daraufhin, dass die Sachverständige eine Abweichung von der angegebenen Todeszeit für möglich gehalten hat, dies aber - da für die Todeszeitbestimmung am Tatort gute Bedingungen geherrscht hätten - "allenfalls" in Bezug auf den frühesten Zeitpunkt (UA S. 21). Mit welcher Wahrscheinlichkeit und vor allem in welchem Umfang danach eine Verschiebung der "Todeskernzeit" nach vorn in Betracht kommen kann, bleibt allerdings offen. Insoweit lässt sich auch unter Berücksichtigung dieser sachverständigen Einschätzung nicht nachvollziehen, ob der Angeklagte die Tat begangen haben kann.

Schließlich lässt sich die Lücke in den Urteilsgründen nicht - wie der Generalbundesanwalt meint - aus allgemein zugänglichen Quellen zur Entfernung zwischen dem Tatort und dem Beginn der Anschlussstelle T. der Bundesautobahn 59 und einer darauf gestützten Berechnung der Dauer für die Zurücklegung dieses Weges schließen. Eine solche Fahrtzeitberechnung wäre angesichts des Umstands, dass es angesichts des kurzen Zeitfensters auf eine exakte Bestimmung ankommt, nicht nur zu ungenau. Sie ist auch darüber hinaus ungeeignet, weil sie mögliche tatsächliche Besonderheiten, was Fahrtstrecke oder Verkehrszeichen etc. anbelangt, außer Acht lässt. Zudem wäre die mögliche Berechnung von Fahrtstrecke und Zeitdauer angesichts der Bedeutung für die Täterschaft des Angeklagten in der tatrichterlichen Verhandlung zu erörtern gewesen (§ 261 StPO).

2. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte unter Zugrundelegung der Todeskernzeit einerseits und der Dauer der Zeit, die für die Strecke vom Tatort bis zum Beginn des Funkbereichs "T.," benötigt wird, andererseits als möglicher Täter ausscheidet. Dies gilt auch ohne Weiteres hinsichtlich der Mitangeklagten, die wegen Beihilfe zu der vom Angeklagten begangenen Tötung verurteilt worden ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1075

Bearbeiter: Karsten Gaede