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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 450

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 656/13, Beschluss v. 24.02.2016, HRRS 2016 Nr. 450


BGH 2 StR 656/13 - Beschluss vom 24. Februar 2016

Divergenzvorlage an den Großen Senat für Strafsachen (ausnahmsweise Entbehrlichkeit eines vorherigen Anfrageverfahrens); Vorlagen an den Großen Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage (Voraussetzungen der grundsätzlichen Bedeutung); Verbot der Verwertung einer vor der Hauptverhandlung gemachten Zeugenaussage bei Berufung auf Zeugnisverweigerungsrecht (erforderliche Belehrung des Zeugens über Reichweite des Bewertungsverbots bei erster Vernehmung).

§ 132 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1; Abs. 4 GVG; § 252 StPO; § 52 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Dem Großen Senat für Strafsachen wird gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?

2. Zwar setzt eine Vorlage an den Großen Senat im Fall einer Divergenz gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG regelmäßig voraus, dass der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte. Eine Anfrage ist nach Ansicht des 2. Strafsenats aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Zweck des Anfrageverfahrens, zu klären, ob im Zeitpunkt der Vorlageentscheidung (noch) eine Divergenz besteht, auf andere Weise erreicht und sichergestellt ist, dass eine überflüssige Anrufung des Großen Senats vermieden werden kann.

3. Eine Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 4 GVG, wenn sie künftig voraussichtlich wiederholt Bedeutung erlangen kann (vgl. BGHSt 46, 321, 324 f.), so dass die Entscheidung für die künftige Rechtsanwendung von erheblicher präjudizieller Bedeutung ist. Jede Rechtsfrage hat damit grundsätzliche Bedeutung, wenn sich ein gleicher Fall jederzeit wieder ereignen kann (vgl. BGHSt 22, 58, 61); eine weitergehende materielle Einschränkung liegt in dem Erfordernis der grundsätzlichen Bedeutung nicht.

Entscheidungstenor

Dem Großen Senat für Strafsachen wird gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete er am 22. September 2012 seine Ehefrau durch insgesamt 60 Stiche und Schnitte mit einem Messer. Motiv der Tat war die Eifersucht des Angeklagten auf einen Nebenbuhler und seine mangelnde Bereitschaft, eine vom Tatopfer angekündigte Trennung hinzunehmen. Das Schwurgericht hat insoweit angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt.

I.

Die Revision des Angeklagten macht - neben Erhebung der allgemeinen Sachrüge - mit der Verfahrensrüge eine Verletzung der §§ 252, 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO geltend. Das Landgericht habe seine Überzeugung vom Tathergang maßgeblich auch auf Angaben der Tochter des Angeklagten gestützt, die diese im Ermittlungsverfahren gegenüber einem in der Hauptverhandlung vernommenen Richter gemacht hatte. Dieser habe die Zeugin zwar über ihr Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO belehrt, nicht aber darüber, dass bei etwaiger späterer Zeugnisverweigerung ihre in der richterlichen Vernehmung gemachten Angaben verwertet werden könnten. Dies müsse, so die Revision, zu einem Verwertungsverbot führen, nachdem die Zeugin in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht und sich mit einer Verwertung ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren nicht einverstanden erklärt habe. Die in der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme vom umfassenden Verwertungsverbot des § 252 StPO stehe mit dem Schutzzweck der Vorschrift nicht in Einklang. Jedenfalls sei es notwendig, den Zeugen vor einer ermittlungsrichterlichen Befragung auch auf die mögliche spätere Verwertbarkeit von Angaben hinzuweisen.

Der Senat hält die Verfahrensrüge für erfolgversprechend (unten II.), hat aber auch Bedenken hinsichtlich der Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe (unten III.). Er sieht sich durch Rechtsprechung des 1., 4. und 5. Senats gehindert, der Revision auf die Formalrüge hin stattzugeben und hatte daher mit Beschluss vom 4. Juni 2014 (StV 2014, 717 ff.) bei den übrigen Senaten angefragt, ob diese der beabsichtigten Änderung der bisherigen Rechtsprechung zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. Nachdem die anderen Strafsenate der Auffassung des Senats entgegen getreten waren (Beschluss vom 14. Januar 2015 - 1 ARs 21/14; Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 ARs 20/14; Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 4 ARs 21/14; Beschluss vom 27. Januar 2015 - 5 ARs 64/14), hatte der Senat die Sache mit Beschluss vom 18. März 2015 dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt. Nach Rücknahme dieses Vorlagebeschlusses (vgl. Beschluss vom heutigen Tag) legt der Senat die Sache erneut vor; eines neuen Anfrageverfahrens bedarf es insoweit nicht (IV.).

II.

1. § 252 StPO schließt es aus, die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen zu verlesen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch macht, das Zeugnis zu verweigern. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs enthält die Vorschrift über den Wortlaut hinaus aber nicht nur ein Verlesungs-, sondern ein umfassendes Verwertungsverbot. Dieses schließt auch jede Verwertung der bei einer früheren Vernehmung gemachten Aussage eines Zeugen aus, wenn dieser in der Hauptverhandlung nach § 52 StPO berechtigt das Zeugnis verweigert und nicht ausdrücklich die Verwertung seiner früheren Bekundungen gestattet. Auch die Einführung durch Aussage einer früheren Vernehmungsperson ist danach grundsätzlich unzulässig.

Von diesem Verbot sind nach der bisherigen Rechtsprechung aber solche Bekundungen ausgenommen, die ein Zeuge - nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht - vor einem Richter gemacht hat. Sie dürfen durch Vernehmung des Richters in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der Urteilsfindung verwertet werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - 5 StR 32/99, BGHSt 45, 342, 345; Senatsurteil vom 3. November 2000 - 2 StR 354/00, BGHSt 46, 189, 195; Urteil vom 12. Februar 2004 - 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 76 f.; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 256 jew. mwN).

a) Eine materielle Rechtfertigung findet diese Ausnahme vom Verwertungsverbot des § 252 StPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einer Güterabwägung. Nach einem nach Belehrung bewusst erklärten Verzicht auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in einer richterlichen Vernehmung soll das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von höherem Gewicht sein als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur späteren Hauptverhandlung erhalten zu können (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - 5 StR 32/99, BGHSt 45, 342, 346; Senatsurteil vom 3. November 2000 - 2 StR 354/00, BGHSt 46, 189, 195; BGH, Urteil vom 25. März 1998 - 3 StR 686/97, BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 14).

b) Die unterschiedliche Behandlung von richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen hat der Bundesgerichtshof in älteren Entscheidungen damit begründet, dass der Richter - anders als nach damaliger Rechtslage ein Polizeibeamter oder Staatsanwalt - verpflichtet sei, Zeugen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 - 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99, 106).

Seit Inkrafttreten des § 163a Abs. 5 StPO aF (§ 163 Abs. 3 StPO nF), der auch für Vernehmungen durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft eine Belehrung der Zeugen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht vorschreibt, sieht die Rechtsprechung demgegenüber das tragende Argument für die unterschiedliche Behandlung darin, dass das Gesetz - wie § 251 Abs. 1 und Abs. 2 StPO zu entnehmen sei - richterlichen Vernehmungen allgemein höheres Vertrauen entgegenbringe (BGH, Urteil vom 14. März 1967 - 5 StR 540/66, BGHSt 21, 218, 219; BGH, Urteil vom 20. März 1990 - 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 386). Zusätzlich wird die Zulässigkeit der Vernehmung einer richterlichen Vernehmungsperson mit der für den Zeugen erkennbaren erhöhten Bedeutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 77). Schließlich soll die unterschiedliche Behandlung einen sachlichen Grund darin finden, dass der Ermittlungsrichter in besonderer Weise geeignet - und vom Gesetzgeber dafür vorgesehen - sei, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07, juris Rn. 4).

2. Voraussetzung für eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verwertungsverbot des § 252 StPO ist eine ordnungsgemäße Belehrung über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts und die sich daraus ergebende Möglichkeit für den Zeugen, aus diesem Grund keine Angaben zur Sache zu machen. Nicht erforderlich ist es hingegen nach der bisherigen, vom 2. Strafsenat begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, den aussageverweigerungsberechtigten Zeugen über die Folgen eines Verzichts auf das Auskunftsverweigerungsrecht, insbesondere über die weitere Verwertbarkeit auch im Falle einer späteren Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung, „qualifiziert“ zu belehren (Senatsurteil vom 26. Juni 1983 - 2 StR 150/83, BGHSt 32, 25, 31 f.; BGH, Beschluss vom 12. April 1984 - 4 StR 229/84, StV 1984, 326; Urteil vom 30. August 1984 - 4 StR 475/84, NStZ 1985, 36).

Der 2. Strafsenat hat dies mit der Erwägung begründet, dass ein Zeuge nicht einmal auf die Möglichkeit des Widerrufs eines erklärten Verzichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht noch während der laufenden Vernehmung hingewiesen werden müsse; umso weniger sei es deshalb geboten, ihn schon vorsorglich für den Fall, dass er in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern sollte, über die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit seiner Aussage hinzuweisen (Senatsurteil vom 26. Juni 1983 - 2 StR 150/83, BGHSt 32, 25, 31 f.). Ergänzend hat der 4. Strafsenat angeführt, für die Annahme einer solchen Belehrungs- oder Hinweispflicht fehle es an einer gesetzlichen Grundlage (BGH, Urteil vom 30. August 1984 - 4 StR 475/84, NStZ 1985, 36).

3. Diese Begründungen erscheinen dem Senat nicht mehr tragfähig.

a) Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (BVerfGE 80, 244, 255; 95, 96, 140), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (BVerfGE 122, 248, 270 mwN).

Die Wahrheitserforschung im Strafprozess hat jedoch Grenzen. Diese dienen dem Schutz von Beschuldigten und anderer Verfahrensbeteiligten. Sie dürfen nicht zu bloßen Objekten des Verfahrens gemacht werden und sind deshalb in der Strafprozessordnung und in der Verfassung mit Rechten ausgestattet, welche die Wahrheitserforschung behindern oder sogar ganz ausschließen können. Das Recht eines als Zeugen vernommenen Angehörigen des Beschuldigten im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO, das Zeugnis - ohne Angabe von Gründen - zu verweigern, ist ein solches Recht (BVerfG, NStZ-RR 2004, 18, 19). Es stützt sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, das die Aufgabe hat, die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen (BVerfGE 54, 148, 153; 72, 155, 170). Es umfasst sowohl die in § 52 StPO geregelte Freiheit, das Zeugnis im Verfahren gegen einen nahen Angehörigen zu verweigern, als auch die Option, frühere Aussagen einer Verwertung im Strafverfahren wieder zu entziehen.

aa) § 52 StPO trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, seinen Angehörigen zu belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Niemand soll gezwungen sein, aktiv zur Überführung eines Angehörigen beizutragen, weil der Zwang zur Belastung von Angehörigen mit dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen unvereinbar wäre wie ein gegen den Zeugen geübter Zwang zur Selbstbelastung (BVerfG, NStZ-RR 2004, 18, 19). Die Regelung lässt das öffentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das persönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1958 - GSSt 3/58, BGHSt 12, 235, 239).

bb) Die Konfliktsituation zwischen Wahrheitspflicht und Näheverhältnis wirkt regelmäßig über die erste Aussage vor der Polizei hinaus fort. Aus diesem Grund erweitert § 252 StPO den Schutz des Zeugen. Dieser kann eine einmal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung folgenlos wieder rückgängig machen, ohne sie durch eine neue Aussage ersetzen zu müssen, bei deren Abgabe er wiederum dem genannten Spannungsverhältnis ausgesetzt wäre. Allein die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung würde die Zwangslage nicht beseitigen, wenn bereits eine Aussage vorliegt, die im Wege der Verlesung oder durch Vernehmung der Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnte. § 252 StPO löst damit - auch im Verständnis des Bundesgerichtshofs, der, wie dargelegt, § 252 StPO nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot versteht - den Konflikt zwischen Aufklärungsinteresse und Zeugenschutz in einer dem Freiheitsgrundrecht entsprechenden Weise.

b) In der Rechtsprechung ist seit jeher eine Ausnahme von der vorstehenden Regel anerkannt worden, wonach die frühere Aussage eines in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigernden Zeugen durch Vernehmung einer richterlichen Vernehmungsperson - unter der Voraussetzung damaliger Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht - in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann. Dies soll zu einer Ausbalancierung des öffentlichen Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung und den die Regelung der §§ 52, 252 StPO tragenden Schutzzwecküberlegungen führen. Diese von der Rechtsprechung ersonnene Ausnahme ist seit jeher in der Literatur (vgl. aus älterer Zeit etwa: Eb. Schmidt, JR 1959, 369, 373; Grünwald, JZ 1966, 489, 497 f.; Peters, JR 1967, 467 f.; Eisenberg, NStZ 1988, 488, 489; Fezer, JZ 1990, 875, 876; Geerds, JuS 1991, 199, 200) Einwendungen ausgesetzt gewesen (Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 10: kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung, die weder im Wortlaut noch im Regelungszweck des § 252 StPO eine Stütze finde; so auch Pauly in Radtke/Hohmann, StPO, § 252 Rn. 25; s. ferner Velten in SK-StPO, 4. Aufl., § 252 Rn. 4; Kudlich/Schuhr in SSW-StPO, § 252 Rn. 20; Güntge in Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl. Rn. 881; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 78 f.).

Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss zur Beantwortung der Anfrage des Senats vom 4. Juni 2014 darauf hingewiesen, dass es gewichtige Argumente schon gegen diese Zulässigkeit der Vernehmung einer richterlichen Vernehmungsperson gibt (siehe dazu auch aus jüngerer Zeit El Ghazi JR 2015, 342, 344 f.; Meyer StV 2015, 319, 324), die überhaupt erst die vom Vorlagebeschluss aufgeworfene Frage einer qualifizierten Belehrung aufwirft.

Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Verständnis der §§ 52, 252 StPO davon aus, dass diese Vorschriften als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen nicht nur vor der Verpflichtung schützen, Angehörige wahrheitsgemäß belasten zu müssen, sondern zudem sichern sollen, dass eine einmal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung wieder folgenlos rückgängig gemacht werden kann. Diese im Zusammenhang mit der Verwertung einer nichtrichterlichen Vernehmung angestellte Erwägung des Bundesverfassungsgerichts erfasst nach ihrem Sinn auch richterliche Vernehmungen. Dass einem Zeugen nach einer Belehrung durch einen Richter deutlicher als bei einer Belehrung durch einen Polizeibeamten bewusst vor Augen stünde, dass er eine trotz Zeugnisverweigerungsrecht gemachte Aussage nicht wieder beseitigen kann, ist eine bloße Behauptung, die keinen normativen Gehalt hat und überdies schon tatsächlich fraglich erscheint.

Der Senat meint, dass die Bedenken schon gegen die grundsätzliche Zulassung einer Verwertung der bei einem Richter getätigten Aussage von aussageverweigerungsberechtigten Zeugen trotz Widerspruchs in der Hauptverhandlung erhebliches Gewicht haben. Er geht davon aus, dass sich der Große Senat mit dieser der Vorlagefrage vorgelagerten Grundsatzfrage wird befassen müssen.

4. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung sieht der Senat die Ausgangsüberlegung jedenfalls nur dann noch als gerechtfertigt an, wenn der Zeuge in der im Ermittlungsverfahren durchgeführten richterlichen Vernehmung ausdrücklich auch darüber belehrt worden ist, dass eine jetzt gemachte Aussage auch dann verwertbar bleibt, wenn er in einer späteren Hauptverhandlung vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch macht (so auch Julius, HK-StPO, 5. Aufl., § 252 Rn. 2; aA ohne nähere Begründung etwa Diemer, KK-StPO, 7. Aufl., § 252 Rn. 28). Nach Ansicht des Senats ist also eine „qualifizierte“ Belehrung erforderlich, welche allein den Zeugen umfassend in die Lage versetzt, über seine Aussagebereitschaft und deren mögliche Folgen für das spätere Verfahren zu entscheiden. Nur wenn diese Informationslage gegeben ist, ist eine Ausnahme von dem umfassenden Verwertungsverbot des § 252 StPO legitimiert. Diese Legitimation ergibt sich - entgegen der bisherigen Rechtsprechung - nicht schon aus dem Umstand, dass die Vernehmungsperson ein Richter (und kein Staatsanwalt oder Polizeibeamter) ist. Eine solche Differenzierung ist der Strafprozessordnung vielmehr fremd; sie ist § 252 StPO auch nicht ansatzweise zu entnehmen und nur deshalb vorgenommen worden, weil vor Einfügung des § 163a Abs. 5 StPO bei polizeilichen Vernehmungen überhaupt keine Belehrung stattfand.

a) Zu Recht hat der BGH vielfach auf die besondere Bedeutung der Belehrung des Zeugen für dessen Entscheidung hingewiesen, Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 - 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99, 106; zur Bedeutung der Belehrung s. auch Senatsurteil vom 1. Juni 1956 - 2 StR 27/56, BGHSt 9, 195, 197; Senatsurteil vom 29. Juni 1983 - 2 StR 150/83, BGHSt 32, 25, 30 f.; so auch Diemer, aaO § 252 Rn. 28). Zu der erforderlichen umfassenden Information gehört aber nicht allein der Hinweis auf ein zum Zeitpunkt der Vernehmung bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch die Kenntnis über die verfahrensrechtlichen Konsequenzen einer gleichwohl bestehenden Aussagebereitschaft. Für nicht rechtskundige Zeugen liegt regelmäßig fern, sich zum Zeitpunkt einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren von sich aus Gedanken darüber zu machen, ob sie ihre Aussagebereitschaft auch später aufrechterhalten oder gegebenenfalls ändern wollen, wofür es eine Vielzahl anerkennenswerter und nicht zu überprüfender Gründe geben kann. Erst recht werden sie in der Regel nicht darüber nachdenken, ob die Konsequenzen ihrer aktuell bestehenden Aussagebereitschaft sich je nach der Person des Vernehmenden unterscheiden könnten.

Das Gewicht der von §§ 52, 252 StPO geschützten Interessen gebietet es vor diesem Hintergrund, einen aussagebereiten Zeugen auch darüber zu belehren, dass die Aussage nicht durch spätere Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts zurückgenommen werden kann. Geschieht dies - wie bisher - nicht, leidet der Entschluss des Zeugen an einem durchgreifenden Mangel (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07, NStZ 2007, 712, 713, zur notwendigen Belehrung eines Zeugen, der Angaben in der Hauptverhandlung verweigern, aber der Verwertung zuvor gemachter polizeilicher Angaben zulassen möchte). Erst diese Belehrung bietet die sichere Grundlage für die Entscheidung des Zeugen und schärft seinen Blick auf die mögliche bestehende Konfliktsituation, die sonst oft erst unmittelbar vor und während der Hauptverhandlung erkenn- und spürbar wird (vgl. Eisenberg, NStZ 1988, 488, 489; so auch Sander/Cirener, aaO, § 252 Rn. 10).

b) Der Annahme einer qualifizierten Belehrungspflicht stehen die bisher dagegen vorgebrachten Erwägungen nicht entgegen.

aa) Dass es - worauf der 1. Strafsenat und der Sache nach auch der 4. Strafsenat in Ihren Antworten auf die Senatsanfrage hingewiesen haben - an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehle (BGH, Urteil vom 30. August 1984 - 4 StR 475/84, NStZ 1985, 36), ist zutreffend, schließt aber die Anerkennung einer Belehrungspflicht ersichtlich nicht aus. Denn es handelt sich um Erwägungen und Anforderungen im Bereich der ihrerseits nur richterrechtlich begründeten Ausnahme von dem gesetzlichen Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO. Es wäre offenkundig widersprüchlich, ungeschriebene Ausnahmen von einem Verwertungsverbot zuzulassen, für deren rechtsstaatliche Begrenzung aber eine gesetzliche Grundlage zu verlangen.

bb) Der Annahme einer qualifizierten Belehrungspflicht kann auch nicht entgegengehalten werden, der Zeuge sei angesichts des Verfahrensgangs ohnehin meist der Ansicht, dass mit der richterlichen Vernehmung seine Angaben für eine spätere Hauptverhandlung gesichert werden sollen. Dieser Hinweis des 1., 4. und 5. Strafsenats ist unverständlich, denn er bestätigt einerseits gerade das Informationsgefälle zwischen verschiedenen Zeugen; andererseits könnte eine qualifizierte Belehrung über einen rechtlichen Umstand, den „die meisten“ Zeugen sowieso schon kennen, auch keine Erschwerung der Wahrheitsfindung bewirken.

Fern liegend erschiene das Argument, eine qualifizierte Belehrung könne eine höhere Anzahl von Zeugen zur Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts veranlassen, als dies bei einer nur „einfachen“ Belehrung der Fall ist, und daher der „Effektivität der Strafverfolgung“ entgegenstehen. Denn die vom Senat für erforderlich gehaltene qualifizierte Belehrung gibt dem Zeugen kein Recht, welches er nicht schon hat. Sie erweitert nicht das Zeugnisverweigerungsrecht, sondern nur die Kenntnis der Zeugen vom Umfang ihrer prozessualen Rechte. Hierin kann per definitionem keine Gefahr für das rechtsstaatliche Strafverfahren und die Verwirklichung seiner Ziele liegen. Dass Verfahrensbeteiligte von den Rechten, die Ihnen das Gesetz gewährt, bei vollständiger Aufklärung über die Rechtslage häufiger Gebrauch machen als bei lückenhafter Information, ist kein schützenswertes Anliegen des Strafprozesses.

cc) Die Ansicht des Senats steht auch nicht in Widerspruch zu der - vom 4. Strafsenat zitierten Entscheidung des EGMR (NJW 2013, 3225), der sich dort - vor allem im Hinblick auf das Konfrontationsrecht des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK - mit der Verwertbarkeit der früheren richterlichen Vernehmung eines in der Hauptverhandlung die Aussage verweigernden Zeugen in Abwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers befasst. Es mag der Entscheidung - die sich dazu nicht ausdrücklich äußert - zu entnehmen sein, dass der Gerichtshof die Belehrung nicht als für ein faires Verfahren zwingend geboten erachtet. Die Gebotenheit der „qualifizierten“ Belehrung ergibt sich aber nach Ansicht des Senats auch nicht aus dem fairen Verfahren, sondern, wie oben dargelegt, aus Grundrechten zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen.

dd) Soweit der Senat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 (Urteil vom 29. Juni 1983 - 2 StR 150/83, BGHSt 32, 25, 31 f.) die Ansicht vertreten hat, die Annahme einer Belehrungspflicht bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung sei deshalb nicht geboten, weil auch bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Hinweis vonnöten sei, dass der in der Aussage liegende Verzicht auf ein Aussageverweigerungsrecht jederzeit, auch noch während laufender Vernehmung, widerrufen werden könne, hält er hieran nicht fest. Die Situation eines Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung dazu entschlossen hat, trotz Bestehen eines Aussageverweigerungsrechts Angaben zu machen, ist nicht mit der Lage vergleichbar, in der sich der Zeuge bei einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren befindet.

ee) Soweit der 5. Strafsenat einer Änderung der Rechtsprechung namentlich im Hinblick auf „Altfälle“ nicht zustimmen will, erscheint eine solche Einschränkung nicht überzeugend. Zum einen dürfte die Anzahl laufender Verfahren, in denen nicht belehrt worden ist und in denen es auf die Angaben zeugnisverweigerungsberechtigter verwandter Zeugen zum Tatnachweis ankommt, gering sein. Dies gilt umso mehr, als in manchen Gerichtsbezirken nach Bekanntwerden des Anfragebeschlusses vom 4. Juni 2014 bereits jetzt qualifizierte Belehrungen erteilt werden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die fehlende „qualifizierte“ Belehrung nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen dürfte, wenn dem Zeugen die Folgen seiner Aussagebereitschaft tatsächlich nicht bekannt waren. Geht man mit dem 5. Strafsenat davon aus, dass die meisten Zeugen den Grund für die Durchführung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung kennen, wäre jedenfalls in diesen Fällen ein Beweisverwertungsverbot ausgeschlossen.

III.

Auch die Sachrüge erscheint dem Senat erfolgversprechend.

Der Senat hat Bedenken hinsichtlich der Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe. Das Landgericht ist davon ausgegangen, das prägende Hauptmotiv der Tat sei die Eifersucht des Angeklagten und seine Weigerung gewesen, die Trennung von seiner Ehefrau zu akzeptieren; diese Motivation stehe sittlich auf niedrigster Stufe; sie sei wiederum Ausdruck der Geisteshaltung des Angeklagten, seine Frau als sein Eigentum zu begreifen, über das er verfügen könne. Zudem ergebe sich auch ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Tatanlass, den erneuten Trennungsabsichten seiner Ehefrau und der Tat. Diese Wertungen werden von den Feststellungen nicht getragen. So stützt sich das Landgericht bei seiner Einschätzung im Wesentlichen auf vor der Tatbegehung erfolgte Äußerungen, ohne konkrete Feststellungen dazu zu treffen, was die Tatbegehung gerade zu diesem Zeitpunkt ausgelöst hat. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht - neben anderen angestellten Erwägungen - etwa in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte den ständigen „Wechsel zwischen Trennung und Fortführung der Beziehung“ bis hin zum Wiedereinzug in einer gemeinsamen Wohnung als Herabsetzung der eigenen Person empfunden haben könnte, die auch aus Sicht der Strafkammer ein eklatantes Missverhältnis zwischen Tatanlass und Tat, das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Vorliegen niedriger Beweggründe begründen kann, ausschließen würde. Im Übrigen hat der Tatrichter das ambivalente Verhalten des Tatopfers zwar in den Blick genommen; die Begründung, mit welcher er es als unbeachtlich angesehen hat, erscheint aber bedenklich. Dass der Angeklagte, wie das Landgericht ausgeführt hat, „Handlungsalternativen“ hatte und die Situation anders als durch Tötung seiner Ehefrau hätte lösen können, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Die fehlerhafte Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bedingt die Aufhebung des Schuldspruches, führt aber nicht zur Aufhebung von Feststellungen, weil es sich insoweit lediglich um Wertungsfehler handelt. Aus diesem Grund bleibt die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage als Voraussetzung einer Vorlage auch auf Grundlage der Ansicht des Großen Senats für Strafsachen (siehe dazu den Rücknahmebeschluss des Senats vom heutigen Tag) unberührt. Unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des vorlegenden Senats zur Vorlagefrage würde auf die Verfahrensrüge hin nicht nur der Schuldspruch der landgerichtlichen Entscheidung, sondern weitergehend auch die ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben sein.

IV.

Eines neuen Anfrageverfahrens bei den anderen Senaten bedarf es nicht.

1. Zwar setzt eine Vorlage an den Großen Senat im Fall einer Divergenz gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG regelmäßig voraus, dass der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte. Eine Anfrage ist nach Ansicht des 2. Strafsenats aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Zweck des Anfrageverfahrens, zu klären, ob im Zeitpunkt der Vorlageentscheidung (noch) eine Divergenz besteht (vgl. Hannich, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 13), auf andere Weise erreicht und sichergestellt ist, dass eine überflüssige Anrufung des Großen Senats vermieden werden kann. So liegt es hier.

Der 2. Strafsenat hat mit Beschluss vom 4. Juni 2014 bei allen übrigen Strafsenaten angefragt, ob diese der beabsichtigten Änderung der Rechtsprechung zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. Alle Strafsenate sind mit Beschlüssen zwischen dem 16. Dezember 2014 und dem 27. Januar 2015 der Auffassung des anfragenden Senats entgegengetreten, drei Senate haben mitgeteilt, dass Rechtsprechung ihrer Senate entgegenstehe. Angesichts einer in der Sache unveränderten Vorlage, die lediglich im Hinblick auf die vom Großen Senat geäußerten Bedenken zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage geringfügig ergänzt worden ist, und mit Blick darauf, dass zwischen den ursprünglichen Antworten der übrigen Senate und der erneuten Vorlage nach Rücknahme des Vorlagebeschlusses vom 18. März 2015 nur kurze Zeit vergangen ist, geht der 2. Strafsenat als sicher davon aus, dass eine zur Vorlage berechtigende Divergenz fortbesteht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass auch nur einer der übrigen Strafsenate zwischenzeitlich seine Rechtsauffassung geändert haben könnte. Bei dieser Sachlage wäre es in der Sache ohne Nutzen, erneut ein Anfrageverfahren durchzuführen.

Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte im zugrunde liegenden Strafverfahren seit 23. September 2012 in Untersuchungshaft befindet. Eine allein aus formalen Gründen erfolgende Durchführung eines erneuten Anfrageverfahrens würde zu einer Verzögerung des Verfahrens um mindestens ein halbes Jahr führen. Dies wäre nach Ansicht des 2. Strafsenats mit Blick auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Beschleunigungsgebot nicht vertretbar.

2. Der Senat legt die Sache dem Großen Senat gemäß § 132 Abs. 4 GVG auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache vor (a.). Insoweit ist kein Anfrageverfahren erforderlich (b.).

a) Eine Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie künftig voraussichtlich wiederholt Bedeutung erlangen kann (vgl. BGHSt 46, 321, 324 f.), so dass die Entscheidung für die künftige Rechtsanwendung von erheblicher präjudizieller Bedeutung ist (vgl. Franke, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 34). Jede Rechtsfrage hat damit grundsätzliche Bedeutung, wenn sich ein gleicher Fall jederzeit wieder ereignen kann (vgl. BGHSt 22, 58, 61); eine weitergehende materielle Einschränkung liegt in dem Erfordernis der grundsätzlichen Bedeutung nicht (Franke, aaO). Die Frage, ob Zeugen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, vor ihrer (richterlichen) Vernehmung darüber zu belehren sind, dass ihre Angaben auch bei späterer Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung verwertet werden können, betrifft eine in Strafverfahren häufig wiederkehrende Situation. Nachdem einige Gerichte bereits im Anschluss an den Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 4. Juni 2014 ihre Praxis der in diesem Beschluss zugrunde gelegten Rechtsansicht angepasst haben, ist eine Entscheidung des Großen Senats insoweit auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angezeigt.

b) Die gleichzeitige Vorlage nach § 132 Abs. 2 und Abs. 4 GVG ist zulässig, weil der Große Senat für Strafsachen im Gegensatz zur früheren Rechtslage nach § 132 Abs. 5 Satz 2 aF GVG in beiden Fällen gleich besetzt ist (BGHSt 40, 360, 365 f.; a.A. wohl Franke, aaO, Rn. 39). Die Vorlage nach § 132 Abs. 4 GVG ist damit nicht auf Fallgestaltungen beschränkt, in denen - ohne dass es zu Abweichungen von Entscheidungen anderer Senate kommt - Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären sind (vgl. BGHSt 52, 124, 128; anders noch BGHSt 33, 356, 359 f.). Die Durchführung eines Anfrageverfahrens ist bei einer Vorlage nach § 132 Abs. 4 GVG nicht vorgeschrieben und auch dann nicht erforderlich, wenn gleichzeitig eine Divergenzvorlage in Betracht käme (BGH NJW 2007, 3294, 3298, im Ergebnis bestätigt von BGHSt 52, 124, 128; Hannich, aaO; a.A., allerdings ohne Berücksichtigung von BGHSt 52, 124, etwa SK-StPO/Frister, 4. Aufl., § 132 GVG Rn. 27 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 450

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede