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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 438

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 604/13, Beschluss v. 12.03.2014, HRRS 2014 Nr. 438


BGH 2 StR 604/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Bad Kreuznach)

Rechtsfehlerhafte Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 20. August 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung sowie wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit mehreren Jahren an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in Form einer schizotypen Störung. Er hat paranoid anmutende Ideen sowie Körpergefühlsstörungen. Nur mit Mühe ist er in der Lage, einen auf wenige Tätigkeiten beschränkten routinemäßigen Alltag zu organisieren. Diese Beeinträchtigungen führen dazu, dass er in Situationen, die seine gepflegten Gewohnheiten durchbrechen sowie in Konfliktsituationen schnell überfordert ist. Dann kommt es zu Impulsdurchbrüchen, die er nicht mehr vollständig steuern kann und in denen er sowohl verbal als auch körperlich aggressiv reagiert.

Der Angeklagte wohnt seit mehr als zehn Jahren zurückgezogen bei seinen Eltern auf einem außerhalb des Ortes liegenden Hof, der nur über einen Feldweg zu erreichen ist. Eigentümer des Anwesens ist der Geschädigte L., der Bruder der Mutter des Angeklagten, der selbst dort wohnt. Der Zeuge L. hat eine auf dem Gelände befindliche Garage an eine Firma vermietet, bei der der Zeuge B. beschäftigt ist. Dieser lagert in der Garage u.a. Gasflaschen. Der Angeklagte hat seit mehreren Jahren Konflikte mit den Zeugen L. und B., bei denen er diese immer wieder beschimpft und bedroht; insbesondere wirft er dem Zeugen B. vor, dass aus in der Garage gelagerten Gasflaschen Gas entweiche, was nicht zutrifft, und dass dieser mit seinem Firmenfahrzeug den Eingang zum Wohnhaus des Angeklagten blockiere.

Am 2. Januar 2013 kam es zu einem lautstarken Streit zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen B. Als dieser sich in die Garage begab und die Tür hinter sich schloss, trommelte der Angeklagte gegen das Garagentor, beschimpfte den Zeugen und schrie, dass er ihn umbringen werde. Als der Zeuge L. hinzukam, um den Angeklagten zu beruhigen, packte ihn der Angeklagte an den Haaren und warf ihn auf den Boden. Dann trat er mehrfach auf den Körper des Zeugen, wodurch sich dieser einen Rippenbruch zuzog.

2. Das Landgericht hat, sachverständig beraten, angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung sicher erheblich vermindert war. In Übereinstimmung mit der Sachverständigen ist die Strafkammer der Ansicht, dass der Angeklagte aufgrund seiner affektiven und kognitiven Beeinträchtigungen, die auf die schizotype - nach Ansicht der Sachverständigen nicht heilbaren - Störung zurückzuführen sei, schnell in Konflikte mit seinen Mitmenschen gerate, in denen er sein Verhalten nicht mehr vollständig steuern könne. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien daher den Anlasstaten gleichgelagerte Taten zu erwarten.

3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln; dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt - wie hier - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - 5 StR 602/13, NJW 2014, 565 mwN). Nach diesen Maßstäben hat die Strafkammer die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.

Es fehlt an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten relevanten Faktoren. Insoweit hat die Strafkammer nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte abgesehen von einem für die Gefährlichkeitsprognose irrelevanten Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung lediglich eine Vorstrafe aus dem Jahr 2012 wegen Beleidigung und Bedrohung zum Nachteil des Zeugen B. aufweist, die ebenfalls vor der Garage des A. und im Kontext der dortigen Lagerung von Gasflaschen erfolgte. Darüber hinaus stellt die vorliegend abgeurteilte Beleidigung und Bedrohung des Zeugen das exakte Abbild der damaligen Tat dar. Die sich anschließende Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen L. hat sich wiederum dynamisch aus der verbalen Auseinandersetzung mit dem Zeugen B. entwickelt. Sie ist zudem die erste über bloße Verbalinjurien und Drohungen hinausgehende aggressive Handlung des Angeklagten. Ebenso wenig hat das Landgericht bedacht, dass der Angeklagte über viele Jahre in verschiedenen Arbeitsverhältnissen beschäftigt war, ohne dass es zu Auffälligkeiten oder Gewalthandlungen gekommen ist. Dies gilt - auch wenn der Angeklagte nach den Feststellungen zurückgezogen lebt - auch für seine privaten Lebensumstände.

Bei dieser Sachlage hätte es der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Annahme bedurft, der Angeklagte neige auch in anderen, nicht in dem beschriebenen isolierten Wohnumfeld und den Auseinandersetzungen mit den Zeugen L. und B. wurzelnden Konfliktsituationen zu aggressiven, für die Allgemeinheit gefährlichen "Impulsdurchbrüchen".

4. Die Aufhebung der Maßregelentscheidung entzieht hier dem gesamten Rechtsfolgenausspruch die Grundlage. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die Anordnung der Unterbringung zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 438

Bearbeiter: Karsten Gaede