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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 207

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 283/13, Beschluss v. 03.12.2013, HRRS 2014 Nr. 207


BGH 2 StR 283/13 - Beschluss vom 3. Dezember 2013 (LG Wiesbaden)

Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit (Begründung des Beschlusses).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, muss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Erforderlich sind hierzu regelmäßig eine Würdigung der bis dahin durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen sowie konkrete Erwägungen, aus denen sich ergibt, warum das Gericht aus den behaupteten Tatsachen keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen würde. Die Würdigung erlaubt eine Beweisantizipation, bei der die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Abstriche zu berücksichtigen ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. November 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen das Beweisantragsrecht. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Der Verteidiger des Angeklagten stellte in der Hauptverhandlung vom 19. September 2012 einen Antrag auf Einholung eines molekularbiologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass eine bei einer Zeugin aufgefundene und sichergestellte Hose, die nach Ansicht der Strafkammer einer der Täter des Überfalls in den Räumen der Bank angehabt habe, niemals von dem Angeklagten getragen worden sei. Dies ergebe sich daraus, dass die im Innenbereich der Hose aufzufindenden DNA-Spuren nicht dem Angeklagten zugeordnet werden könnten.

Das Landgericht wies diesen Beweisantrag zurück, weil es für die Entscheidung ohne Bedeutung sei, ob sich an der sichergestellten Hose DNA-Spuren des Angeklagten auffinden ließen. Es gebe keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass das Tragen einer Hose durch eine bestimmte Person auszuschließen sei, wenn keine Spuren der betreffenden Person an dem Kleidungsstück aufgefunden würden. Es sei nämlich nicht zwingend, dass DNA-Spuren beim Tragen angetragen würden, zumal nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte bei einer etwaigen Tatausführung eine "Zweithose" untergezogen habe.

2. Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ein Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, muss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Erforderlich sind hierzu regelmäßig eine Würdigung der bis dahin durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen sowie konkrete Erwägungen, aus denen sich ergibt, warum das Gericht aus den behaupteten Tatsachen keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen würde. Die Würdigung erlaubt eine Beweisantizipation, bei der die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Abstriche zu berücksichtigen ist (vgl. zur Begründung solcher Ablehnungsbeschlüsse Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. § 244, Rn. 56 mN).

Dem genügt der beanstandete Beschluss nicht. Er lässt zwar noch hinreichend erkennen, dass das Landgericht den möglichen Schluss aus der unter Beweis gestellten Tatsache, die im Innenbereich der Hose aufzufindenden DNA-Spuren könnten nicht dem Angeklagten zugeordnet werden, nicht ziehen möchte, begründet dies aber nicht hinreichend mit konkreten, die bisherige Beweiserhebung berücksichtigenden Erwägungen. Dass die rein spekulative und fernliegende Überlegung, der Angeklagte könne eine Zweithose untergezogen haben, insoweit die Ablehnung nicht tragen kann, liegt auf der Hand. Aber auch die weitere Erwägung der Strafkammer, es sei nicht zwingend, dass DNA-Spuren beim Tragen einer Hose an dieser zurückblieben, kann die Annahme von Bedeutungslosigkeit hier nicht begründen. Das Landgericht hätte sich nicht mit dieser allgemeinen Formel begnügen dürfen, sondern hätte sich insoweit mit weiteren, in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen auseinandersetzen müssen. So hat die Zeugin M. angegeben, die in ihrer Wohnung aufgefundene Hose gehöre dem Angeklagten, sie habe ihn schon oft mit dieser Hose gesehen und meine, er habe sie am Tattag ins Badezimmer gelegt (vgl. UA S. 48). Die Kammer hätte deshalb dartun müssen, warum sie auch angesichts dieser dargelegten Besitz- und Eigentumsverhältnisse, die einen häufigen Kontakt mit der Hose implizieren, gleichwohl davon ausgeht, es müssten keine DNA-Spuren an ihr zurückbleiben.

Im Übrigen hätte sich das Landgericht auch mit dem gleichfalls unter Beweis gestellten Umstand befassen müssen, es würden Spuren in der Hose vorgefunden, die nicht dem Angeklagten (sondern einer anderen Person) zuzuordnen seien. Jedenfalls insoweit betrifft die unter Beweis gestellte Indiztatsache auch die Glaubwürdigkeit der den Angeklagten belastenden Zeugin M., die die Hose dem Angeklagten zugeordnet hatte. Wären bei einer durchgeführten Beweiserhebung allein DNA-Spuren einer dritten Person an der Hose festgestellt worden, hätte dies das Landgericht bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugin im Urteil berücksichtigen müssen. Soweit es in der Hauptverhandlung einen darauf gerichteten Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen hat, hätte es die behauptete Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der erforderlichen antizipierenden Würdigung zugrunde legen und im Ablehnungsbeschluss darlegen müssen, warum dies gleichwohl die Glaubwürdigkeit der Zeugin unbeeinflusst lässt. Dass dies nicht geschehen ist, die Strafkammer vielmehr offenkundig übersehen hat, dass der Beweisantrag auch die Glaubwürdigkeit der Zeugin M. berühren kann, macht den Ablehnungsbeschluss rechtsfehlerhaft.

Auf dieser rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages beruht das Urteil auch, das sich bei seiner Überzeugung, der bestreitende Angeklagte sei einer der beiden Täter in der Bank gewesen, unter anderem auf die Angaben der Zeugin M. stützt, die die bei ihr aufgefundene und nach Überzeugung 8 der Strafkammer vom Täter bei der Tat getragenen Hose dem Angeklagten zuordnet (UA S. 47-49). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrages anders ausgefallen wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 207

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel