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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 90

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 423/12, Urteil v. 07.11.2012, HRRS 2013 Nr. 90


BGH 2 StR 423/12 - Urteil vom 7. November 2012 (LG Köln)

Beweiswürdigung (Angaben des Angeklagten).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. Februar 2012 werden verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision allein gegen den Strafausspruch. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit frühester Jugend Cannabis, Ecstasy, Amphetamine und Kokain sowie Alkohol im Übermaß. Eine im Juli 2005 angetretene Therapie hat er abgebrochen. Für eine im Jahr 2010 angestrebte Therapie erhielt er keine Kostenzusage. Am 23. Januar 2011 wurde er nach übermäßigem Alkoholkonsum mit einem Rettungswagen in eine Klinik eingeliefert, im Juni 2011 wurde sein Arbeitsverhältnis wegen hoher Fehlzeiten gekündigt.

Am 17. Juli 2011 gegen 3 Uhr morgens überfiel der Angeklagte nach Genuss von erheblichen, nicht im Einzelnen bestimmbaren Mengen Alkohol, Marihuana, Kokain und Amphetamin in der Kölner Altstadt auf offener Straße die nach einem Gaststättenbesuch auf dem Heimweg befindliche Nebenklägerin. Er näherte sich seinem Opfer unbemerkt von hinten, fixierte es an einer Hauswand und machte es mit Faustschlägen ins Gesicht gefügig. In der Folge zwang er die Geschädigte unter Beschimpfungen zur Ausführung des Oralverkehrs sowie zur Duldung mehrfachen ungeschützten vaginalen und analen Geschlechtsverkehrs bis zum Samenerguss. Schließlich nahm er der immer noch um ihr Leben fürchtenden Geschädigten unter weiteren Drohungen Papiere und Bargeld weg. Bei der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Drogen- und Alkoholkonsums nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt. Die Nebenklägerin leidet seit der Tat unter Ängsten und befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung.

II.

1. Die Revision des Angeklagten

Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen den geständigen Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

2. Revision der Staatsanwaltschaft

Auch das auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

a) Die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Urteils hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die "unwiderlegten" Angaben des Angeklagten zu seinem Rauschmittelkonsum seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ist deshalb von einer nicht ausschließbar erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit ausgegangen.

Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass die Feststellungen zum Rauschmittelkonsum des Angeklagten vor der Tat auf dessen Einlassung in der Hauptverhandlung beruhen und dass Einlassungen eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne Weiteres als "unwiderlegbar" hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09; BGHSt 34, 29, 34; NStZ-RR 2003, 371). Vielmehr hat der Tatrichter auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen.

Diesen Maßstäben wird das Urteil indes gerecht. Sachverständig beraten stellt das Landgericht mehrere Indizien fest, die für einen vorangegangenen Rauschmittelkonsum des Angeklagten sprechen, so u.a. dass der Angeklagte seit vielen Jahren Rauschmittelmissbrauch betreibt, er im Januar 2011 volltrunken in ein Krankenhaus eingeliefert worden ist, er eine Woche nach der Tat leicht alkoholisiert angetroffen worden ist, es vor der Tat Hinweise zum Drogenkonsum aus seiner Umgebung, insbesondere von seiner Ehefrau gegeben hat, ein Kokainkonsum über einen längeren Zeitraum hinweg rechtsmedizinisch nachgewiesen ist, der Tat akute Eheprobleme und der Verlust des Arbeitsplatzes als möglicher Anreiz für gesteigerten Rauschmittelkonsum unmittelbar vorausgegangen sind und dass der Angeklagte bei der Aufnahmeuntersuchung in der Justizvollzugsanstalt Angaben zu seinem regelmäßigen Konsum gemacht hat. Auch mit den dem behaupteten Rauschmittelkonsum entgegenstehenden Indizien hat sich das Landgericht ausführlich auseinandergesetzt, so u.a. damit, dass der Angeklagte sich gegenüber seinem Bewährungshelfer und seinem Drogenberater bei Gesprächsterminen im Vorfeld der Tat unauffällig benommen hat, dass die Geschädigte bei der Tatausführung weder rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen noch Alkoholgeruch bei ihm wahrgenommen hat, dem bei der Tatausführung zutage getretenen Leistungsverhalten und dass eine am 21. Mai 2011 abgegebene Urinprobe ebenso wie am 10. August 2011 untersuchte Leberwerte unauffällig waren.

Dass das Landgericht in Kenntnis und Abwägung all dieser Umstände den Angaben des Angeklagten nicht zuletzt auf Grund seines in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks von dessen Persönlichkeit - unter Zugrundelegung des Zweifelsgrundsatzes - Glauben geschenkt hat, hält sich im Rahmen freier tatrichterlicher Beweiswürdigung, mag auch ein anderer Schluss ebenso möglich oder vielleicht sogar naheliegender gewesen sein.

b) Anders als die Revision besorgt der Senat nicht, dass die Strafkammer die Aufgabenverteilung zwischen Sachverständigem und Gericht nicht beachtet hat, bzw. dass die Strafkammer verkannt haben könnte, dass es sich bei der Beurteilung der Steuerungsfähigkeit um eine Rechtsfrage handelt; für eine solche Annahme ergeben sich aus den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte.

c) Auch die sonstigen Strafzumessungserwägungen des Landgerichts lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten erkennen. Insbesondere hat die Strafkammer bei der Bewertung möglicher ausländerrechtlicher Folgen nicht verkannt, dass hier kein Fall einer zwingenden Ausweisung vorliegt, sondern dass der Ausländerbehörde ein Ermessen zusteht, im Rahmen dessen mögliche Härten zu berücksichtigen sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 90

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel