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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 395

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 384/12, Urteil v. 27.03.2013, HRRS 2013 Nr. 395


BGH 2 StR 384/12 - Urteil vom 27. März 2013 (LG Bad Kreuznach)

Gefährliche Körperverletzung durch Übertragung von HIV (Vorsatz).

§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 15 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 16. März 2012 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hierbei hat es Einzelstrafen von zwei Jahren und einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt und in die Gesamtstrafe vier Einzelstrafen in Höhe von zweimal drei Monaten, einmal sechs Monaten und einmal neun Monaten aus früheren Verurteilungen einbezogen. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie ihn im Adhäsionsverfahren verurteilt, an eine der beiden Geschädigten ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro zuzüglich Zinsen zu zahlen. Die umfassend eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist in vollem Umfang begründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts infizierte sich der heute 30-jährige, an Politoxikomanie leidende Angeklagte im Jahr 2001 oder 2002 mit dem HI-Virus. Dies wurde anlässlich einer Inhaftierung festgestellt und ihm vor seiner Entlassung im Jahr 2002 mitgeteilt. Im Rahmen eines weiteren Aufenthalts in einer Haftanstalt wurde er im Jahr 2003 umfassend über die Risiken der Infektion und die von ihm einzuhaltenden Sicherheitsmaßregeln aufgeklärt. Ihm war daher bekannt, dass bei ungeschützten Sexualkontakten die Gefahr einer Infektion des jeweiligen Sexualpartners bestand. Nicht geklärt werden konnte, ob er Kenntnis davon hatte, dass das bei Analverkehr bestehende Infektionsrisiko vielfach höher ist als bei vaginalem Geschlechtsverkehr.

Der Angeklagte kümmerte sich nach seiner Haftentlassung nicht weiter um seine Infektion und setzte auch die insoweit in der Haft begonnene Therapie nicht fort. In der Folgezeit hatte er mit mehreren Frauen ungeschützten vaginalen und analen Geschlechtsverkehr.

Zwischen August 2008 und November 2010 hatte der Angeklagte eine intime Beziehung zu der damals 18 bis 20 Jahre alten Nebenklägerin S. Es kam regelmäßig zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr, häufig auch zu Analverkehr. Der Angeklagte klärte die Nebenklägerin nicht über seine Infektion auf. Er nahm eine von ihm für möglich gehaltene Infektion der Nebenklägerin billigend in Kauf. Bei einem der Sexualkontakte in der vorgenannten Zeit infizierte sich die Nebenklägerin. Sie ist hierdurch, obgleich sie bislang noch keine Dauertherapie benötigt, psychisch stark belastet.

In der Woche vor dem 11. November 2010 kam es zwischen dem Angeklagten und der damals 23 Jahre alten Zeugin H. mehrfach zu ungeschütztem vaginalen, oralen und analen Geschlechtsverkehr. Hierbei infizierte sich die Zeugin mit dem HI-Virus. Der Angeklagte klärte sie über seine Infektion nicht auf und nahm ihre Infektion billigend in Kauf.

Das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten angenommen, dass beide Infektionen in einem drogeninduzierten Rauschzustand verursacht wurden, durch welchen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten jeweils erheblich vermindert war.

2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet.

a) Die Beweiswürdigung weist weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit das Landgericht dem Sachverständigen Dr. K. darin gefolgt ist, dass die Infektionen beider Geschädigter dem Angeklagten zuzurechnen sind, begegnet dies keinen Bedenken. Schon aufgrund der Identität der Virenstämme ist danach mit einer "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" von einer Verursachung durch den Angeklagten auszugehen. Diese Wahrscheinlichkeit wurde hier noch durch den häufigen bzw. mehrmaligen Vollzug des Analverkehrs gesteigert, der ein besonders hohes Infektionsrisiko birgt. Andere Geschlechtspartner der Geschädigten wiesen nach den Feststellungen des Landgerichts keine HI-Infektion auf. Die Annahme der Ursächlichkeit des Angeklagten ist daher rechtsfehlerfrei. Eine zur Verurteilung hinreichende Überzeugung des Tatrichters setzt nicht den Ausschluss jeder theoretischen Möglichkeit eines abweichenden Verlaufs voraus.

Auch die Annahme des bedingten Vorsatzes ist rechtsfehlerfrei. Dass das Landgericht dem Angeklagten aufgrund rechtsfehlerfreier Erwägungen seine Einlassung nicht geglaubt hat, er habe bereits nach dem ersten Sexualkontakt mit der Nebenklägerin S. geglaubt, nun sei es "zu spät" - was entgegen seiner Einlassung gerade für seine Kenntnis und daher seinen Vorsatz gesprochen hätte - nötigt entgegen der Annahme der Revision nicht dazu anzunehmen, der Angeklagte habe beim ersten Sexualkontakt keinen (bedingten) Vorsatz gehabt. Dies hat der Tatrichter aufgrund der Aussagen der Zeugen, die den Angeklagten aufgeklärt und belehrt hatten, als widerlegt angesehen. Die unklare und an sich widersprüchliche Erwägung, der Angeklagte habe "gedankenlos gehandelt und die Infektion damit billigend in Kauf genommen" (UA S. 13), beruht ersichtlich nur auf fehlerhafter Formulierung.

b) Die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Keinen Bedenken begegnet insbesondere, dass das Landgericht die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB als nicht gegeben angesehen hat. Soweit die Revision die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB vermisst, hätte auch eine solche Prüfung hier ersichtlich nicht zu einer Strafmilderung führen können. Denn das bloße Anerkenntnis einer Schmerzensgeldzahlung führte hier offenkundig nicht zu einem umfassenden Ausgleich mit dem Tatopfer. Ein "kommunikativer Prozess" der Versöhnung ist nicht ersichtlich; ob der mittellose Angeklagte jemals Leistungen erbringen wird, ist mindestens fraglich. Die Zumessung der Gesamtstrafe ist nicht zu beanstanden.

3. Keinen Bestand kann aber der Maßregelausspruch haben. Dies beruht zwar nicht, wie die Revision rügt, auf einem angeblichen Vorrang des § 35 BtMG gegenüber § 64 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung ist vielmehr gerade umgekehrt für § 35 BtMG kein Raum, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB gegeben sind.

Die Anordnung ist aber rechtsfehlerhaft, weil - wie auch die Staatanwaltschaft unter dem Gesichtspunkt des § 301 StPO zutreffend rügt - ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten zu Rauschmitteln und den Taten weder festgestellt noch vom Landgericht näher geprüft worden ist. Eine nähere Erörterung eines solchen Zusammenhangs, welcher der Natur der Sache nach nicht nahelag, war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht "zu Gunsten" des Angeklagten angenommen hat, seine Steuerungsfähigkeit sei aufgrund akuten Drogenrausches bei allen möglichen Infektionsgelegenheiten erheblich vermindert gewesen.

Überdies hat das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen angenommen, die erforderliche Therapiedauer liege bei "zweieinhalb Jahren". Da die Höchstfrist der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 1 S. 1 StGB auf zwei Jahre beschränkt ist, ist damit eine hinreichend konkrete Erfolgsmöglichkeit nicht dargetan; die Anordnung war vielmehr unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2012 - 3 StR 65/12, NJW 2012, 2292). Auf die rechtsfehlerhafte Bezugnahme des Landgerichts auf den seit geraumer Zeit nicht mehr geltenden "§ 64 Abs. 2" alter Fassung und auf den seit nunmehr 18 Jahren für verfassungswidrig erklärten Maßstab der "Aussichtslosigkeit" einer Therapie kommt es daher nicht mehr an.

4. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich zu Lasten des Angeklagten nur gegen den Strafausspruch wendet, ist in diesem Umfang begründet.

Die Annahme minderschwerer Fälle, zu der das Landgericht jeweils unter Einbeziehung des vertypten Milderungsgrunds gemäß § 21 StGB gelangt ist, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat sich der Annahme des Sachverständigen angeschlossen, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es mit beiden Geschädigten (auch) dann zum Sexualverkehr gekommen sei, wenn die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen Drogenkonsums erheblich vermindert gewesen sei. Diese pauschale Annahme reicht, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend hervorgehoben hat, angesichts der Umstände der Einzelfälle nicht aus. Es fehlt an jeglichen konkretisierenden Feststellungen außer den Einlassungen des Angeklagten, er habe vor dem ersten Geschlechtsverkehr mit der Zeugin S. "Extacy konsumiert", habe seine Infektion dauerhaft "verdrängt", habe "nicht daran gedacht" oder gedacht, jetzt sei es "schon zu spät" (UA S. 8/9). Beim ersten Verkehr mit der Zeugin H. sei er "sauer gewesen" (UA S. 9). Diese Einlassungen hat das Landgericht gerade nicht geglaubt (UA S. 9/10). Es war daher im Einzelnen zu erläutern, wieso gleichwohl eine erhebliche Verminderung von Steuerungsfähigkeit angenommen wurde und welche konkrete Ausprägung dieser Zustand beim Angeklagten gehabt haben könnte. Eine Annahme "zu Gunsten", also unter Anwendung des Zweifelssatzes, würde eine abgeschlossene Beweiswürdigung voraussetzen, die für das Revisionsgericht nachprüfbar dargelegt werden muss. Die Anwendung des Zweifelssatzes kann eine sachgerechte Beweiswürdigung nicht ersetzen, sondern setzt sie ihrerseits voraus.

Soweit das Landgericht angenommen hat, es lägen "außergewöhnliche Tatumstände" vor (UA S. 14), erschließt sich diese Bewertung auch im Übrigen aus den Urteilsfeststellungen nicht.

5. Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Dies gilt auch im Hinblick auf die Maßregelanordnung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass aufgrund neuer Feststellungen die rechtsfehlerfreie Anordnung einer Maßregel möglich und geboten ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 395

Externe Fundstellen: StV 2013, 698

Bearbeiter: Karsten Gaede