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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 148

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 305/11, Urteil v. 19.10.2011, HRRS 2012 Nr. 148


BGH 2 StR 305/11 - Urteil vom 19. Oktober 2011 (LG Gießen)

Formelle und materielle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach der Weitergeltungsanordnung des BVerfG (Meistbegünstigungsprinzip; Vertrauensschutz; Gesetzlichkeitsprinzip; Anwendung auf Raub- und Erpressungsdelikte).

§ 66 Abs. 1 StGB a.F.; Art. 316e Abs. 2 EGStGB; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 2 Satz 2 GG; Art. 104 GG; § 249 StGB; § 250 StGB; § 251 StGB; § 252 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts bildet in der Übergangszeit die Rechtsgrundlage für Eingriffsmaßnahmen in das Freiheitsrecht des Angeklagten. Sie tritt dabei vorläufig an die Stelle eines Gesetzes im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG und enthält eine außerordentliche Eingriffsermächtigung, die eng auszulegen ist. Während der Dauer der Weitergeltung von § 66 Abs. 1 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf derzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ihre Anordnung in der Regel nur verhältnismäßig sein, "wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO). Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen.

2. Im Hinblick auf die Eigenschaft der Maßregel als Sicherungsmittel kommt es bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, anders als bei der gesetzgeberischen Vorbewertung durch den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsguts, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität.

3. Der Staat hat die Aufgabe, die Rechtsgüter potentieller Tatopfer vor Verletzungen durch Straftaten zu schützen. Je existentieller die betroffenen Güter für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Beeinträchtigungen sein. Für die Anwendung des § 66 StGB sind aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts als zu schützende Rechtsgüter das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die sexuelle Selbstbestimmung potenzieller Tatopfer (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von Bedeutung. Die Gewichtung dieser Rechtsgüter durch das Bundesverfassungsgericht ist bei der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Maßregelanordnung in der Übergangszeit zu beachten.

4. Danach reichen etwa Betäubungsmitteldelikte regelmäßig nicht als Maßregelanlass aus; andererseits genügen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern oder Vergewaltigung (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Raubdelikte im Sinne des zwanzigsten Abschnitts des Strafgesetzbuchs (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.) können schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung sein. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Einfacher Raub oder räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt gegen Personen, schwerer oder besonders schwerer Raub sowie schwere oder besonders schwere räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt oder Einsatz objektiv gefährlicher Tatmittel zählen unzweifelhaft zu den "schweren Gewalttaten". Werden dagegen zur Tatbegehung ausschließlich Drohungen ausgesprochen, die der Täter tatsächlich nicht realisieren will, und ist angesichts objektiv ungefährlicher Tatmittel keinesfalls mit einer Gewalteskalation zu rechnen, die Leib oder Leben von Opfern konkret gefährdet, dann wird durch zukünftige Taten kein Rechtsgut bedroht, dessen Schutz die Anwendung der verfassungswidrigen Norm auch in der Ãœbergangszeit rechtfertigen könnte. Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB stellen, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten ist, für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung dar.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 15. März 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit darin die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Die Maßregel entfällt.

Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die in der Revisionshauptverhandlung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Maßregelausspruch beschränkt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte am 26. August 1982 in A., am 15. September 1982 in L., am 25. Februar 1985 in M., am 3. Juli 1989 in B. und am 28. August 1989 in H. jeweils einen Banküberfall unter Drohung mit einer Scheinwaffe und versuchte am 10. Oktober 1989 in E. eine weitere derartige Tat. Er wurde wegen der ersten beiden Verbrechen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, wegen der dritten Tat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und wegen der letzten dieser Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zur anschließenden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Es kam ferner zu zwei Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten. Ab Juni 2003 wurde die Sicherungsverwahrung des Angeklagten vollzogen; seine Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolgte am 5. Mai 2010. Der Angeklagte konnte danach nicht im Berufsleben Fuß fassen. Nachdem auch seine alkoholkranke Lebensgefährtin in finanzielle Schwierigkeiten geriet, entschloss sich der Angeklagte erneut dazu, eine Bank zu überfallen.

2. Der Angeklagte ging wieder nach dem gewohnten Muster vor.

a) Am 19. Oktober 2010 fuhr er nach G., trank sich in einer Gaststätte Mut an, erwarb - wie in allen Fällen zuvor - in einem Kaufhaus eine Spielzeugpistole und beging gegen 13.00 Uhr einen Überfall auf die Filiale der S. - Bank. Dort bedrohte er die Bankmitarbeiter Ma., O. und Bu. sowie eine Kundin, die Zeugin R. Er erklärte dabei: "Dies ist ein Überfall", hielt die Scheinwaffe in Richtung der Bankangestellten Ma. sowie der Zeugin R. und forderte die Herausgabe von Bargeld. Da seine Aufforderung zunächst nicht ernst genommen wurde, sagte er: "Wenn Sie mir kein Geld geben, muss ich die Frau erschießen". Damit war die Zeugin O. gemeint, doch bezog die Zeugin R. die Drohung auf sich, verspürte Todesangst und geriet in Panik. Der Angeklagte erzwang schließlich die Herausgabe von 3.000 Euro Bargeld. Die Zeugin R. hat das Geschehen bis heute nicht verarbeitet und wagt es kaum noch, alleine in die Stadt zu gehen.

b) Nachdem die Beute aus dem Überfall in G. rasch verbraucht war, fuhr der Angeklagte nach Ha. und traf dort den Sohn seiner Lebensgefährtin ebenfalls in desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen an. Daraufhin entschloss er sich abermals zu einem Banküberfall, zumal er glaubte, dass es darauf "nicht mehr ankomme". Am 26. Oktober 2010 fuhr er nach E., trank in einer Gaststätte zur Beruhigung Bier, erwarb in einem Kaufhaus wieder eine Spielzeugpistole und suchte gegen 14.15 Uhr die Filiale der C. bank in der Innenstadt auf. Er begab sich zum Kassenschalter, richtete den Lauf der halb in seiner Jackentasche verdeckten Spielzeugpistole auf die Bankangestellte Ra. und erklärte: "Das ist ein Überfall". Die Zeugin Ra. nahm dies zunächst nicht ernst und lachte ihrer Kollegin Ge. zu, die aber schon einen Alarmknopf drückte. Der Aufforderung des Angeklagten, das Bargeld herauszugeben, widerstand die Zeugin Ra. zunächst mit der Bemerkung, dass dies wegen einer Ausgabesperre nicht rasch möglich sei. Sie versuchte den Angeklagten in ein Gespräch zu verwickeln. Der hinzu kommende Bankangestellte K. wurde vom Angeklagten ebenfalls in Schach gehalten. Da die Herausgabe von Geld auf sich warten ließ und Kunden die Bank betraten, betonte der Angeklagte: "Wenn nicht gleich Geld kommt, muss ich von der Waffe Gebrauch machen".

Die Zeugin Ra. holte daraufhin 600 Euro in Papiergeld und Münzrollen hervor, steckte dieses Geld in eine Plastiktasche und übergab es dem Angeklagten, der mit der Beute floh.

3. Das Landgericht hat die Taten als schwere räuberische Erpressung in zwei Fällen bewertet und den Angeklagten zu Einzelstrafen von je fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten zusammengezogen hat. Ferner hat es nach § 66 Abs. 1 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Es hat ausgeführt, der Angeklagte sei wegen eines Hanges zur Begehung gleichartiger Taten im Sinne der §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, für die aufgrund des eingeschliffenen Verhaltensmusters eine hohe Rückfallgefahr bestehe, für die Allgemeinheit gefährlich. Die Maßregelanordnung sei verhältnismäßig, da durch künftige Taten gleicher Art erhebliche psychische Beeinträchtigungen von Bankangestellten und Kunden zu befürchten seien.

II.

Die Revision des Angeklagten ist wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkt worden (vgl. schon BGH, Urteil vom 27. Januar 1955 - 4 StR 594/54, BGHSt 7, 101, 102 f.). Sie ist begründet, denn der Maßregelausspruch kann keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat an sich rechtsfehlerfrei die formellen und materiellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 StGB a.F. bejaht. Die Änderung der Norm durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300), das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, ergibt auch unter Beachtung des Meistbegünstigungsprinzips aus Art. 316e Abs. 2 EGStGB keine andere Bewertung zugunsten des Angeklagten. Jedoch sind beide Fassungen des § 66 Abs. 1 StGB nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 derzeit wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig; die Vorschrift gilt vorläufig nur unter eingeschränkten Voraussetzungen weiter (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931, 1945).

Die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts bildet in der Übergangszeit die Rechtsgrundlage für Eingriffsmaßnahmen (vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 2011, § 31 Rn. 227) in das Freiheitsrecht des Angeklagten. Sie tritt dabei vorläufig an die Stelle eines Gesetzes im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG (krit. Hillgruber JZ 2011, 861, 863) und enthält eine außerordentliche Eingriffsermächtigung, die eng auszulegen ist.

Während der Dauer der Weitergeltung von § 66 Abs. 1 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf derzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ihre Anordnung in der Regel nur verhältnismäßig sein, "wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist" (BVerfG aaO). Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11; Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11; s.a. Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11). Im Hinblick auf die Eigenschaft der Maßregel als Sicherungsmittel kommt es bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, anders als bei der gesetzgeberischen Vorbewertung durch den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsguts, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität.

Der Grad der Wahrscheinlichkeit gleichartiger Rückfalltaten ist im vorliegenden Fall vom Landgericht rechtsfehlerfrei als hoch eingeschätzt worden. Die von dem Angeklagten ausgehenden Gefahren rechtfertigen es unter den besonderen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der Weitergeltungsanordnung allerdings nicht, gegen ihn die Sicherungsverwahrung anzuordnen.

Der Staat hat die Aufgabe, die Rechtsgüter potentieller Tatopfer vor Verletzungen durch Straftaten zu schützen. Je existentieller die betroffenen Güter für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Beeinträchtigungen sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 186). Für die Anwendung des § 66 StGB sind aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts als zu schützende Rechtsgüter das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die sexuelle Selbstbestimmung potenzieller Tatopfer (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von Bedeutung. Die Gewichtung dieser Rechtsgüter durch das Bundesverfassungsgericht ist bei der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Maßregelanordnung in der Ãœbergangszeit zu beachten.

Danach reichen etwa Betäubungsmitteldelikte regelmäßig nicht als Maßregelanlass aus (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; Beschluss vom 11. August 2011 - 4 StR 279/11); andererseits genügen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; Beschluss vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11) oder Vergewaltigung (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11).

Raubdelikte im Sinne des zwanzigsten Abschnitts des Strafgesetzbuchs (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.) können schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung sein. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Einfacher Raub oder räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt gegen Personen, schwerer oder besonders schwerer Raub sowie schwere oder besonders schwere räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt oder Einsatz objektiv gefährlicher Tatmittel zählen unzweifelhaft zu den "schweren Gewalttaten". Werden dagegen zur Tatbegehung ausschließlich Drohungen ausgesprochen, die der Täter tatsächlich nicht realisieren will, und ist angesichts objektiv ungefährlicher Tatmittel keinesfalls mit einer Gewalteskalation zu rechnen, die Leib oder Leben von Opfern konkret gefährdet, dann wird durch zukünftige Taten kein Rechtsgut bedroht, dessen Schutz die Anwendung der verfassungswidrigen Norm auch in der Übergangszeit rechtfertigen könnte. Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB stellen, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten ist, daher für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung dar. Eine allein psychische Beeinträchtigung reicht in der Regel nicht aus.

Der Senat schließt im vorliegenden Einzelfall mit Blick auf die stets gleichartigen Vor- und Anlasstaten des Angeklagten eine hohe Wahrscheinlichkeit der konkreten Gefährdung von Leib oder Leben künftiger Tatopfer durch vergleichbare Rückfalltaten aus. Der Angeklagte hatte bei allen Vor- und Anlasstaten stets die Anwendung von Gewalt angedroht, diese aber nie angewendet oder dies auch nur versucht. Die von ihm verwendeten Mittel waren durchweg objektiv ungefährliche Spielzeugpistolen. Es gibt derzeit keine konkreten Hinweise darauf, dass künftige Rückfalltaten vom Angeklagten mit größerem Gewaltpotential begangen werden könnten als die bisherigen Taten. Deshalb ist die Maßregelanordnung nach dem Maßstab des Übergangsrechts hier unverhältnismäßig und muss entfallen.

Rechtsprechung anderer Senate (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2011 - 4 StR 362/11) steht dem nicht entgegen. Soweit im Beschluss des 3. Strafsenats vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11 - eine andere Wertung anklingt, war diese für die dortige Entscheidung nicht tragend.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 148

Externe Fundstellen: StV 2012, 213

Bearbeiter: Karsten Gaede