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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 521

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 524/10, Beschluss v. 02.03.2011, HRRS 2011 Nr. 521


BGH 2 StR 524/10 - Beschluss vom 2. März 2011 (LG Frankfurt am Main)

Beschwer des Angeklagten nach Verfahrenseinstellung wegen eines Prozesshindernisses (mangelnde Anklage; Verjährung: Verfolgungswille, Überprüfbarkeit in der Revision).

§ 78 StGB; § 78c StGB; § 200 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar ist der Angeklagte durch die Verfahrenseinstellung wegen eines Prozesshindernisses in der Regel nicht beschwert (BGHSt 23, 257, 259; BGH NJW 2007, 3010, 3011). Eine Beschwer kann aber dann bestehen, wenn die Einstellung wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses erfolgt und der Angeklagte behauptet, es liege ein weiteres, nicht behebbares Prozesshindernis vor. In einem solchen Fall kann der Angeklagte mit der Revision ein rechtliches Interesse daran geltend machen, dass das Verfahren endgültig eingestellt wird.

2. Der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden bestimmt die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung (vgl. BGH NStZ 2004, 275 mN). Dabei kommt es jedenfalls dann entscheidend auf den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses und vor allem auf die dort vorgenommene Beschreibung des strafbaren Verhaltens des Angeklagten an, wenn dieser dem Antrag der Staatsanwaltschaft entspricht.

3. Die Klarstellung der Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs in der Anklageschrift hinsichtlich Zeit und Sachverhalt ist notwendige Voraussetzung, um Beginn und Ende der Verfolgungsverjährung beurteilen zu können. Eine Tat, die nicht in diesem Sinne ordnungsgemäß angeklagt ist, kann vom Tatrichter nicht daraufhin überprüft werden, ob sie möglicherweise verjährt ist. Dies gilt gleichermaßen für das Revisionsgericht. Mangels tatsächlicher Grundlage für die Prüfung der Verjährung muss der Revision somit der Erfolg versagt bleiben (vgl. auch BGH NJW 2011, 547).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt, die Anklageschrift genüge nicht den an sie gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet im Sinn von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Revision des Angeklagten nicht bereits mangels Beschwer unzulässig. Zwar ist der Angeklagte durch die Verfahrenseinstellung wegen eines Prozesshindernisses in der Regel nicht beschwert (BGHSt 23, 257, 259; BGH NJW 2007, 3010, 3011). Eine Beschwer kann aber dann bestehen, wenn die Einstellung wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses erfolgt (Meyer-Goßner 53. Aufl. vor § 296 StPO Rn. 14; BayObLG JR 1989, 487; OLG Stuttgart NJW 1963, 1417) und der Angeklagte behauptet, es liege ein weiteres, nicht behebbares Prozesshindernis vor. In einem solchen Fall kann der Angeklagte mit der Revision ein rechtliches Interesse daran geltend machen, dass das Verfahren endgültig eingestellt wird.

So verhält es sich hier. Die Einstellung durch das Landgericht erfolgte wegen Mängeln der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift. Dabei handelt es sich um ein Prozesshindernis, das grundsätzlich im weiteren Verfahren behoben werden kann. Es ist jederzeit möglich, eine neue, den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO genügende Anklage zu erheben. Dagegen macht der Angeklagte geltend, die ihm vorgeworfenen Straftaten seien verjährt. Träfe dies zu, müsste das Verfahren gegen ihn endgültig eingestellt werden, da es sich bei der Verjährung um ein nicht behebbares Verfahrenshindernis handelt.

2. Die Revision ist jedoch unbegründet. In den Fällen 1) - 8) ergibt die Prüfung durch den Senat, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten nicht verjährt sind, während es in den Fällen 9) und 10) bereits an einer ordnungsgemäßen Anklage fehlt, welche als Grundlage für eine Prüfung der Verjährungsfrage durch das Landgericht hätte dienen können.

a) Die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 21. Juli 2008 legt dem Angeklagten Betrug in zehn Fällen in der Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 30. April 2003 zur Last. In den Fällen 1) bis 8) wurde die fünfjährige Verjährungsfrist (§§ 78 Abs. 1 Nr. 4, 263 Abs. 1 StGB) durch den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2004 rechtzeitig unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB). Dieser erfasst entgegen der Ansicht der Revision auch die Straftaten, die der Angeklagte im Sinne der Anklage als faktischer Geschäftsführer der Firma S. GmbH begangen haben soll.

Grundsätzlich bestimmt der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung (vgl. BGH NStZ 2004, 275 mN). Dabei kommt es jedenfalls dann entscheidend auf den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses und vor allem auf die dort vorgenommene Beschreibung des strafbaren Verhaltens des Angeklagten an, wenn dieser - wie im vorliegenden Fall - dem Antrag der Staatsanwaltschaft (Bd. II 24) entspricht.

Aus dem Durchsuchungsbeschluss vom 15. Oktober 2004 ergibt sich, dass der Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden umfassend auf alle betrügerischen Aktivitäten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Versendung von Informationsbriefen gerichtet war. Die Durchsuchungsanordnung wurde mit einer Darstellung des "Geschäftsmodells" des Angeklagten begründet, mit dem er die Abnehmer seiner Informationen betrügerisch geschädigt haben soll. Diese Beschreibung erfasste alle gleichartigen Handlungen des Angeklagten unabhängig davon, unter welchem Firmennamen er aufgetreten ist. Der Durchsuchungsbeschluss war darüber hinaus nicht auf die Geschäftsräume der Firma M. beschränkt, sondern erstreckte sich auf die Person des Angeklagten und auf seine Wohnanschrift. Auch dieser Umstand macht den umfassenden, auf die im Durchsuchungsbeschluss geschilderte Begehungsweise gerichteten Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft deutlich. Dass zum damaligen Zeitpunkt der Ermittlungen nur die Aktivitäten des Angeklagten als faktischer Geschäftsführer der Firma M. bekannt und im Beschluss genannt waren, ist demgegenüber ohne Belang. Bei jeweils identischer deliktischer Vorgehensweise kommt es auf sein Handeln als Person an, nicht darauf, welcher Firmennamen er sich, möglicherweise zur Verschleierung seiner Verantwortlichkeit, im Einzelnen bediente.

b) In den Fällen 9) und 10) fehlt es bereits an der erforderlichen Grundlage für die Prüfung der Verfolgungsverjährung. Insofern liegt keine den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entsprechende Anklage vor, da sie ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (siehe im Einzelnen das auf Revision der Staatsanwaltschaft ergangene Urteil des Senates vom heutigen Tage - 2 StR 524/10). Im Fall 9) bleibt mit Rücksicht auf den bloßen Hinweis "ab Anfang April 2002" unklar, wie lange der betreffende Faxabruf eingerichtet war und genutzt wurde. Im Fall 10) ist für den Faxabruf "Gratisurlaub! Für alle Altersgruppen" überhaupt keine Tatzeit angegeben. Die exakte Festlegung des Tatzeitraumes ist jedoch unabdingbar, um die dem Gericht zur Aburteilung gestellte Tat im prozessualen Sinne zu umgrenzen sowie die Reichweite der Rechtskraft zu bestimmen.

Die Klarstellung der Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs in der Anklageschrift hinsichtlich Zeit und Sachverhalt ist aber auch notwendige Voraussetzung, um Beginn und Ende der Verfolgungsverjährung beurteilen zu können. Eine Tat, die nicht in diesem Sinne ordnungsgemäß angeklagt ist, kann vom Tatrichter nicht daraufhin überprüft werden, ob sie möglicherweise verjährt ist. Dies gilt gleichermaßen für das Revisionsgericht. Mangels tatsächlicher Grundlage für die Prüfung der Verjährung muss der Revision somit der Erfolg versagt bleiben (vgl. auch BGH NJW 2011, 547).

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 521

Externe Fundstellen: BGHSt 56, 183; NJW 2011, 2308; NStZ 2011, 418; NStZ 2011, 650

Bearbeiter: Karsten Gaede