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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 851

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 242/10, Beschluss v. 18.08.2010, HRRS 2010 Nr. 851


BGH 2 StR 242/10 - Beschluss vom 18. August 2010 (LG Aachen)

Beweiswürdigung (Verwertung eines heimlich aufgenommenen privaten Gesprächs; allgemeines Persönlichkeitsrecht; Recht am gesprochenen Wort; Abwägungslehre); sexueller Missbrauch.

Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK; Art. 6 EMRK; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine heimliche Aufnahme des gesprochenen Wortes, mit der der Aufzeichnende einen sexuellen Missbrauch zu seinen Lasten belegen will, ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stets unverwertbar.

2. Einzelfall einer unzureichenden Beweiswürdigung bzw. eines unzureichenden Tatnachweises durch die Auswertung einer heimlich aufgezeichneten Gesprächsaufnahme.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. September 2009 aufgehoben

a) mit den Feststellungen im Fall 1 (II. 1. d. bb. der Urteilsgründe)

b) in den Adhäsionsaussprüchen betreffend die Nebenkläger D. und S.; von einer Adhäsionsentscheidung hinsichtlich des Nebenklägers S. wird abgesehen.

2. Die Sache wird, soweit sie die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 und den Adhäsionsausspruch zugunsten des Nebenklägers D. betrifft, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, als Erzieher Kinder männlichen Geschlechts zu betreuen. Außerdem hat es die Verpflichtung des Angeklagten ausgesprochen, den Nebenklägern D. und S. jeweils ein Schmerzensgeld zu zahlen sowie dem Nebenkläger D. seine materiellen Schäden zu ersetzen.

Die auf die Rüge materiellen Rechts und auf Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. a) Das Landgericht hat zu Fall 1 festgestellt, dass der Angeklagte zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. Februar 2007 und September 2007 mit dem damals zehn Jahre alten Nebenkläger D., den er als Erziehungsbeistand betreute, im Schlafzimmer seines Hauses so genannte "Grusel-Videos" fertigte, bei denen er in der Dunkelheit sich und den Nebenkläger filmte. Bei jedenfalls einer dieser Gelegenheiten führte der Angeklagte an dem Penis des Geschädigten Onanierbewegungen aus.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft im Fall 1 ausschließlich aus der Inaugenscheinnahme eines vom Nebenkläger mit seinem Handy heimlich gefertigten Mitschnitts eines Gespräches gewonnen, das er mit dem Angeklagten am 7. April 2008 in dessen Pkw führte. Der Nebenkläger hatte um dieses Gespräch gebeten und es ohne Wissen des Angeklagten aufgenommen, um ihn des sexuellen Missbrauchs zu überführen.

An der Verwertung der durch den Nebenkläger im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung gemachten, den Angeklagten belastenden Angaben hat sich das Landgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten des aussagepsychologischen Sachverständigen insgesamt gehindert gesehen. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dem Nebenkläger fehle die Aussagetüchtigkeit. Er habe nach seinen Angaben sowohl in der Exploration als auch in der Zeit der Hauptverhandlung unter starken Albträumen gelitten. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die Regulationsmechanismen der Wirklichkeitskontrolle und Realitätsüberwachung bei dem Zeugen destabilisiert und beschädigt worden seien. Infolge vor seinem inneren Auge ablaufender, sich verändernder Bilder sei ihm eine sichere Unterscheidung zwischen extern erlebten und intern generierten Wahrnehmungsinhalten nicht mehr zuverlässig möglich.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen hat die Kammer auch die ersten Angaben des Nebenklägers gegenüber Zeugen aus seinem privaten Umfeld sowie bei seinen ersten polizeilichen Vernehmungen nicht für verwertbar erachtet, da er über die gutachterliche Stellungnahme hinaus bereits zu diesem Zeitpunkt unter massiven Albträumen und sich aufdrängenden inneren Bildern gelitten habe. Außerdem hat sie den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, soweit ihm vorgeworfen worden war, vom Ende des Jahres 2004 bis September 2007 bei weiteren sieben Gelegenheiten am Penis des Nebenklägers D. gegen dessen körperlichen Widerstand Onanierbewegungen ausgeführt und in zwei weiteren Fällen derartige Handlungen gemeinschaftlich mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter verübt zu haben.

c) Das Urteil begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken, soweit das Landgericht die Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 allein auf den Inhalt des aufgenommenen Gespräches gestützt hat. Allerdings rügt die Revision insoweit ohne Erfolg, dass die heimliche Aufnahme wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bereits unverwertbar sei. Das Landgericht hat sich in seinem Beschluss vom 30. April 2009, in dem es die Anordnung der Inaugenscheinnahme durch den Vorsitzenden bestätigte, an den vom Bundesverfassungsgericht für Eingriffe in das Recht am gesprochenen Wort entwickelten und vom Bundesgerichtshof übernommenen Maßstäben und Kriterien orientiert (vgl. BVerfGE 34, 238 = NJW 1973, 891 sowie BGHSt 36, 167 = NJW 1989, 202).

Seine dabei vorgenommene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts, auf die der Senat Bezug nimmt, nicht zu beanstanden.

Jedoch tragen der in den Urteilsgründen auszugsweise (UA 21-25) mitgeteilte Gesprächsinhalt und die dazu von der Kammer in der Beweiswürdigung gemachten Ausführungen die Feststellungen zu Fall 1 nicht. An keiner Stelle ist von Seiten des Angeklagten ausdrücklich die Rede davon, dass er im Tatzeitraum am Glied des Nebenklägers Onanierbewegungen ausgeführt hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann die festgestellte Tathandlung auch aus dem Gesprächskontext, soweit er sich aus den Urteilsgründen erschließen lässt, nicht mit für eine Verurteilung ausreichender Sicherheit abgeleitet werden. Sich vom Wortlaut entfernenden Interpretationen der Äußerungen des Angeklagten sind ohnehin enge Grenzen gesetzt, da sich das Landgericht - wie ausgeführt - gehindert gesehen hat, auf außerhalb des Gesprächs liegende Beweismittel, insbesondere die Aussagen des Nebenklägers, zurückzugreifen, die unter Umständen als Referenzpunkte für eine solche Auslegung hätten dienen können. Dass das Gespräch zweifelsfrei "sexuelle Themen" wie Masturbation, Erektion und Orgasmus zum Gegenstand hatte (UA 54), reicht für den Schluss der Kammer auf die konkret abgeurteilte sexuelle Handlung des Angeklagten nicht aus, zumal der Nebenkläger den Angeklagten bewusst auf solche sexuellen Themen angesprochen hatte. Auch daraus, dass der Angeklagte den Nebenkläger auf dessen Bemerkung, dass es sich für ihn komisch anfühle, wenn "man dran spiele", gefragt hat, "oder Idee, dass ich daran spiele oder so?", ergibt sich entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht, dass der Angeklagte tatsächlich entsprechend den Feststellungen im angenommenen Tatzeitraum Onanierbewegungen am Glied des Nebenklägers vorgenommen hat. Schließlich vermag der Senat dem vom Landgericht für wesentlich gehaltenen Umstand, dass in der Aufnahme noch von "anderen Filmen" (als Gruselfilmen) die Rede ist, keine maßgebliche Bedeutung beizumessen. Denn auch dies lässt unter alleiniger Zuhilfenahme des mitgeteilten Gesprächsinhalts keinen Schluss auf die abgeurteilte Tat zu, die im Übrigen nach den Feststellungen der Kammer im Zusammenhang mit der Fertigung so genannter "Gruselvideos" und gerade nicht bei der Herstellung anderer Filme begangen worden sein soll.

2. Aufgrund der Aufhebung im Fall 1 kann auch der daran anknüpfende Adhäsionsausspruch zugunsten des Nebenklägers D. keinen Bestand haben.

Dies gilt gleichermaßen für den Adhäsionsausspruch zugunsten des Nebenklägers S., da der Adhäsionsantrag erst nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft und damit verspätet gestellt wurde (§ 404 Satz 1 StPO).

Damit fehlt es - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - an einer von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzung (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2004 - 2 StR 37/04). Insoweit war von einer Entscheidung zur Höhe des Anspruchs abzusehen (siehe § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO; Senat, Urteil vom 17. März 2004 - 2 StR 474/03).

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 851

Bearbeiter: Karsten Gaede