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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 958

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 236/10, Beschluss v. 15.09.2010, HRRS 2010 Nr. 958


BGH 2 StR 236/10 - Beschluss vom 15. September 2010 (LG Wiesbaden)

(Besonders) schwere Brandstiftung (Räumlichkeit, in der sich Menschen zur Tatzeit aufzuhalten pflegen; Wohnung; einheitliches Gebäude; Mischgebäude).

§ 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Tatbestand des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB auch dann erfüllt sein, wenn ein einheitliches zusammenhängendes Gebäude nur zu einem Teil Räumlichkeiten enthält, die zum zeitweisen Aufenthalt von Menschen dienen.

2. Ausschlaggebend für die "Einheitlichkeit" des Gebäudes ist allein seine bauliche Beschaffenheit. Insoweit genügt es nicht, wenn eine Räumlichkeit "angebaut" ist, unmittelbar angrenzt oder sich in räumlicher Nähe befindet (BGHSt 35, 283, 285; BGH NStZ 1991, 433). Erforderlich ist insbesondere, dass zwischen den verschiedenen Gebäudeteilen eine Verbindung besteht, beispielsweise durch ein gemeinsames Treppenhaus (BGHSt 34, 115, 120), einen gemeinsamen Flur oder ineinander übergehende Räume (BGHSt 35, 283, 286). Gegen ein einheitliches Gebäude kann das Vorhandensein einer Brandmauer, besonderer sonstiger Brandschutzvorrichtungen oder einer nur ausnahmsweise, unter Beseitigung besonderer Schutzvorrichtungen benutzbaren Verbindung sprechen (BGHSt 35, 283, 286).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 22. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und mit Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Angeklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gewannen die Eheleute G. die Angeklagte sowie den gesonderten verfolgten Go. dazu, die von ihnen im Einkaufzentrum S. P. betriebene Textilreinigung in Brand zu setzen. Bei dem S. P. handelt es sich um ein Einkaufs- und Freizeitzentrum mit Tiefgarage, einer angegliederten Ladenstraße sowie einem Bäderteil mit Restaurant. In dem Teil der Ladengalerie, in dem auch die Reinigung gelegen ist, befindet sich zudem ein Fitness-Studio, das bis Mitternacht geöffnet hat (UA S. 5).

Gemäß dem gemeinsamen Tatplan betrat die Angeklagte am 3. März 2007 um 21.38 Uhr das Einkaufszentrum. Sie hielt sich anschließend rund 40 Minuten in der Reinigung auf, wobei sie in telefonischem Kontakt mit Go. stand, der die Ladenstraße auf und ab ging und auf Wachmänner und Passanten achtete. Nachdem die Angeklagte in der Reinigung an zwei Stellen Feuer gelegt hatte, kam es gegen 22.30 Uhr zu einer explosionsartigen Verpuffung, die sämtliche Fenster hin zur Ladenpassage beschädigte. Ein Ausbreiten des Brandes wurde durch die einsetzende Sprinkleranlage verhindert. Die Eheleute G. meldeten den Schaden, wie zuvor geplant, ihrer Versicherung.

2. Soweit die Strafkammer die Angeklagte wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 3, § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB verurteilt hat, hält dies rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Kammer hat keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB getroffen.

Die Reinigung, in der die Angeklagte den Brand gelegt hat, stellt als solche keine Räumlichkeit im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, da sich dort zur Nachtzeit keine Menschen aufzuhalten pflegten. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Tatbestand des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB indes auch dann erfüllt sein, wenn ein einheitliches zusammenhängendes Gebäude nur zu einem Teil Räumlichkeiten enthält, die zum zeitweisen Aufenthalt von Menschen dienen. Ausschlaggebend für die "Einheitlichkeit" des Gebäudes ist allein seine bauliche Beschaffenheit. Insoweit genügt es nicht, wenn eine Räumlichkeit "angebaut" ist, unmittelbar angrenzt oder sich in räumlicher Nähe befindet (BGHSt 35, 283, 285; BGH NStZ 1991, 433). Erforderlich ist insbesondere, dass zwischen den verschiedenen Gebäudeteilen eine Verbindung besteht, beispielsweise durch ein gemeinsames Treppenhaus (BGHSt 34, 115, 120), einen gemeinsamen Flur oder ineinander übergehende Räume (BGHSt 35, 283, 286; Wolff LK, 12. Aufl. StGB § 306a Rn. 12, 21 mwN). Gegen ein einheitliches Gebäude kann das Vorhandensein einer Brandmauer, besonderer sonstiger Brandschutzvorrichtungen oder einer nur ausnahmsweise, unter Beseitigung besonderer Schutzvorrichtungen benutzbaren Verbindung sprechen (BGHSt 35, 283, 286).

Ob sich die Reinigung vorliegend mit einer zum Aufenthalt von Menschen dienenden Räumlichkeit in einem einheitlichen Gebäude befand, lässt sich den Feststellungen der Kammer nicht hinreichend deutlich entnehmen. Das Fitness-Studio - auf das die Strafkammer offensichtlich abstellt - liegt zwar im gleichen Teil der "Ladengalerie", in dem sich auch die Reinigung befindet. Weitergehende Feststellungen zur baulichen Beschaffenheit, die eine Bewertung der Einheitlichkeit des Gebäudes zulassen, fehlen indes. Aufgrund der Feststellungen erscheint es zwar möglich, dass das Fitness-Studio mit der Reinigung über einen gemeinsamen Korridor verbunden ist; dies jedenfalls dann, wenn die Kammer den Begriff "Ladengalerie" als Korridor und nicht etwa als Baukomplex als solcher verstanden haben will. Dagegen spricht allerdings, dass sie den unmittelbar an die Reinigung angrenzenden Teil, der vorliegend als gemeinsamer Korridor in Betracht käme, abweichend als "Ladenpassage" bezeichnet (UA S. 8). Unabhängig davon bleibt offen, ob diese vor der Reinigung befindliche Passage allseits abgeschlossen ist und damit überhaupt ein verbindender Raum sein kann. Dies ergibt sich - entgegen der Annahme des Generalbundesanwalts - auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsfeststellungen, weshalb auch die Annahme, die Ladenpassage selbst könne eine "Räumlichkeit" im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB sein, nicht von den Feststellungen getragen wird. Dafür fehlt jeglicher Hinweis. Gegen eine allseits abgeschlossene Passage spricht vielmehr, dass die Kammer - offensichtlich synonym gemeint - insoweit auch von einer "Ladenstraße" spricht (UA S. 5, 8, 17).

3. Da weitergehende Feststellungen nicht ausgeschlossen sind, war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Beihilfe zum versuchten Betrug, da diese mit dem Brandstiftungsdelikt in Tateinheit stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 958

Externe Fundstellen: NStZ 2011, 214

Bearbeiter: Karsten Gaede